Von Franck Sezelli

Juan löste sich aus den Armen der jungen Opata. Die leidenschaftliche Schwarzhaarige kuschelte sich eng an ihn und flüsterte: »Du machst mich glücklich! Ich möchte immer mit dir zusammensein.«
»Ich liebe dich!« Er liebte sie wirklich, so schön wie mit ihr war es vorher bei keiner.
Toha gab ihm einen Kuss und erhob sich von den weichen Fellen. »Bleib noch liegen! Ich fache das Feuer an.«
Der Bauernsohn schaute der Amazone, die ihn nächtens sehr in Anspruch genommen hatte, verträumt hinterher. Ihre Rundungen, der warme bronzene Ton der Haut, die langen blauschwarzen Haare, die glutvollen dunklen Augen – alles gefiel ihm an diesem Weib. Sie war anders, als die beiden, bei denen er zuerst war. Toha war liebevoll und zärtlich, bei der Tagesarbeit mehr bittend als Befehle erteilend. Juan fragte sich manchmal, ob sie wirklich eine echte Opata war. Aber natürlich war sie es. Seit Generationen wohnten die Ahnen von Toha in Matape, das schon immer als Amazonendorf bekannt und wegen der furchtlosen Kriegerinnen früher auch berüchtigt war.
Juan gehörte zu den Nachfahren spanischer Einwanderer in die Neue Welt. In Erfüllung eines alten Vertrages zwischen den Kolonisten und den Amazonen war er für drei Monate zum Dienst in Matape verpflichtet worden.
Felipe, Juans Vater, hatte das Schicksal schwer beklagt, als das Los auf seinen Sohn fiel. Aber alle Jammerei half nicht, Gesetz ist Gesetz!

Vor der Hütte war plötzlich Getrappel von vielen Schritten zu hören, auch aufgeregtes Gemurmel. Ohne anzuklopfen, wurde die Tür aufgerissen und im Raum standen drei bewaffnete hochgewachsene Frauen. In ihren Gürteln steckten große Dolche, in den Händen hielten zwei eine Doppelaxt, eine trug ein Schwert. Toha tat ganz unerschrocken: »Seid gegrüßt, liebe Schwestern! Was führt euch in meine Hütte?«
Die Anführerin Bâtú sprach mit unduldsamer Stimme: »Pâo schickt uns, um das Mannsstück abzuholen. Er soll jetzt endlich Achi beiwohnen. Sie ist schon lange dran, das weißt du!«
»Ich geb ihn nicht wieder her!«, erwiderte Toha trotzig.
Juan zählte an den Fingern ab. War er wirklich schon zu lange bei Toha? Er wollte nicht schon wieder zu einer anderen gehen. Aber es gab die geschriebenen und – wohl noch wichtiger – ungeschriebenen Gesetze.
Bâtú wandte sich an Juan: »Kommst du freiwillig mit oder sollen wir dir Fesseln anlegen?«
Zur Liebsten gewandt zuckte der Bursche entschuldigend mit den Schultern und sagte dann zu den Bewaffneten: »Ganz ruhig! Ich komme schon mit.« Als er zur Tür hinausgeführt wurde, umklammerte Toha ihn von hinten. »Ich lass dich nicht gehen, bleib bei mir! Ich liebe dich doch!«
Der starken Uéca gelang es, sie mit Gewalt von dem Mann loszureißen. »Du kommst mit mir mit! Die Älteste will dich sprechen.«

Achi befahl Juan, ein Stück Land hinter dem Haus zu roden. »Ich will hier Gemüse anbauen, arbeite ordentlich!«
Juan machte sich an die Arbeit. Am späten Nachmittag schlich Toha heimlich heran. »Liebster, ich warte in der Nacht auf dich! Sieh zu, dass du wegkannst!« Der junge Mann fühlte sich hin- und hergerissen. Er war glücklich über die große Liebe Tohas, hatte aber auch Angst vor der Rache der Dorffrauen, wenn er ihnen nicht zu Willen war.
»Mal sehen, was sich ergibt. Was wollte denn Pâo von dir?«
»Ach nichts, nur Vorhaltungen wegen unserer Traditionen.« Sie schaute ringsum, ob sie beobachtet wurde, und lief dann schnell weg.
Am Abend lobte Achi Juans Arbeit. Ich glaube, sie will noch was von mir, dachte der sich. Als Zeit zur Nachtruhe war, legte er sich auf die Felle, drehte sich zur Seite und murmelte: »War anstrengend, bin müde.« Fast im gleichen Moment war er eingeschlafen – oder tat zumindest so. Die neben ihm Liegende hatte sich das ganz anders vorgestellt. Aber was sollte sie machen? Als die Frau in der Nacht wach wurde, war der Platz neben ihr leer. Mit einem schlimmen Verdacht rannte sie zum Haus der verhassten Toha. Von drinnen klangen verräterische Geräusche …

Am nächsten Morgen beachtete Achi den Mann gar nicht, der wieder auf ihr Lager gefunden hatte, sondern lief geschwind zu Pâo. Die Älteste rief Toha zu sich, die alles gestand: »Was soll ich machen? Ich liebe Juan! Ja, ich habe ihn des Nachts auf mein Lager bestellt – und er ist gekommen. Er liebt mich ebenfalls!«
Die Älteste war ratlos. Die Opata lebten seit Ewigkeiten ohne Männer – und sie liebten dieses Leben. Von Zeit zu Zeit holten sie sich welche aus der Umgebung, früher mit Gewalt, heute mittels des Abkommens. Sie gehörten der Gemeinschaft, der Ältestenrat bestimmte, wann wer bei wem wohnen durfte. Geduldig redete sie auf die Verstörte ein, führte ihr die uralten Sitten ihres Volkes vor Augen und warnte davor, diese zu missachten. Pâo hatte noch nie gehört, dass eine Opata einen Mann für sich allein beanspruchte. Toha hielt den Kopf gesenkt, hinter den nach vorn fallenden langen Haaren sah man die Tränen nicht.
Die Erste nahm sich auch Juan vor: »Was bist du nur für ein Mann? Habe ich dir bei deiner Ankunft in Matape nicht deine Pflichten erklärt?«
»Ich …, ich …«, stammelte der junge Mann eingeschüchtert, die beiden Bewaffneten neben ihm, die ihn hergebracht hatten, hielten die Dolche gezückt. »Ich mache, was Ihr wollt, Herrin!«

Am Tage arbeitete Juan zu Achis vollster Zufriedenheit. Nachts dachte er allerdings an seine geliebte Toha. Die Frau neben ihm mit ihren fettigen Haaren, den fleischigen Armen und dem übel riechenden Atem wollte ihm absolut nicht gefallen. So drehte er ihr wieder den Rücken zu.
Mitten in der Nacht war Toha so frech, hereinzuschleichen und den Liebsten zu wecken. Schnell waren beide in ihrer Hütte und fanden sich in einer leidenschaftlichen Umarmung.

Noch vor Sonnenaufgang holten Bewaffnete das Paar. Toha fand sich am Pfahl auf dem Dorfplatz wieder. Viele Frauen kamen, um sie anzustarren, zu beschimpfen oder bloß zu fragen: »Was machst du nur, Schwester?«
Gegen Mittag brachte sie Bâtú zur Schamanin. »Was ist in dich gefahren, Toha? Du warst immer ein Vorbild. Nun aber enttäuschst du mich.«
»Ich habe doch nichts Schlimmes getan! Niemandem ist Böses widerfahren. Aber ich liebe Juan und möchte immer mit ihm zusammenbleiben!«
»Du weißt, dass das nicht geht, Schwester. Wir sind ein Volk stolzer Frauen, niemand darf uns beherrschen! Wenn wir Männer auf Dauer duldeten, würden sie bald die Macht an sich reißen. So wie es bei den anderen ist, fast überall auf der Welt. Das wollen wir nicht!«
»Aber …, aber …, ich liebe ihn, möchte ohne ihn nicht mehr leben!« Die Verliebte blieb uneinsichtig.
Die weise Frau seufzte: »Das ginge nur, wenn du mit dem Bauernlümmel zu den Spaniern gehst. Dein Leben würde sich total ändern. Die Männer würden über dich bestimmen, nicht nur dein Juan, alle in seinem Haus und Dorf. Du hättest nichts zu sagen, wärest nur eine Arbeitskraft und müsstest Juan immer zu Willen sein, egal, wie du dich fühlst. Diese Menschen haben ein heiliges Buch, darin steht: ›Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN. Denn der Mann ist des Weibes Haupt.‹ Willst du denn Untertanin sein? Überlege dir das gut!«

Am Nachmittag versammelte sich der Ältestenrat. Juan war am Pfahl gefesselt, gegenüber stand Toha zwischen Bâtú und Uéca. Die Versammlung erörterte das ungehörige Fehlverhalten der beiden. Als Toha das Wort bekam, blieb sie dabei: »Ich liebe Juan! Bitte lasst ihn mir!«
Sie war nicht zur Vernunft zu bringen. Pâo machte ihr klar, dass sie niemals in Matape oder einem anderen Opatadorf weiter mit Juan zusammensein könnte.
»Dann gehe ich mit ihm in sein Zuhause«, schluchzte sie.
Alle Argumente, die Toha die Illusion nehmen sollten, die sie offenbar von der Männerwelt hatte, schlug sie in den Wind.
»Würdest du deinen Pflichten nachkommen, wenn Toha nicht mehr im Dorf ist?«, fragte eines der alten Weiber.
»Aber – ich denke, Toha will mit mir kommen …«, antwortete der Gefesselte, dabei seiner Liebsten in die Augen schauend.
Mit schneidendem Ton erwiderte Pâo: »Deine Zeit bei uns ist noch nicht um! Willst du Krieg provozieren?«
Der Bauernsohn erschrak, er kannte die Erzählungen von den grausamen Kriegerinnen, die früher in die Dörfer der Kolonisten eingefallen waren. Bisher hatte er nur die Strafe des Gouverneurs gefürchtet. Da fiel ihm Ramiro ein, der etwas einfältige Nachbarssohn, der auf Juan wegen dessen Entsendung zu den Amazonen neidisch war. »Was wäre, wenn statt meiner ein anderer stattlicher Mann zu euch kommt?«, wagte er zu fragen.
Nach einer lebhaften Diskussion entschied Pâo. Das Dorf würde sich nicht beim Gouverneur beschweren, wenn der Ersatzmann innerhalb einer Handvoll Tagen da wäre und die volle Dienstzeit ableistete.

»Ich bin so glücklich, Juan, bei dir bleiben zu können.« Toha himmelte ihn an.
»Ich bin froh, nach Hause zu kommen. Du bist jetzt meine Frau!« Der Siedlersohn war stolz auf seine schöne Geliebte.
Nach über zwei Tagen anstrengenden Fußmarsches und zwei kalten Nächten langten die beiden hungrig und erschöpft am Hof von Juans Vater an.
Felipe empfing seinen Sohn mit den Worten: »Wieso bist du schon zurück? Und wen bringst du da mit?«
Juan stellte Toha als seine Frau vor, die nun das Leben mit ihm teilen würde.
»Das ist doch gar kein richtiger Christenmensch!« Felipe verzog angewidert das Gesicht. »Kannst du wenigstens kochen?«, wandte er sich an die Eingeborene.
»Si, señor«, war die leise gesprochene Antwort.
»Dann überlege schon mal, was du uns heute Abend auf den Tisch bringst.« Er funkelte die ungeliebte junge Frau aus böse blickenden Augen an. »Halte keine Maulaffen feil! Der Schweinestall muss ausgemistet werden, da bin ich nicht dazu gekommen.«
Toha schaute Hilfe heischend zu ihrem Liebsten. Der aber fuhr sie an: »Hast du nicht gehört, was mein Vater gesagt hat?«
Die bis eben so glückliche Opata drehte sich um und lief mit hängenden Schultern zum Schweinestall. Ob die Schamanin doch Recht hatte?, fragte sie sich zutiefst erschrocken.

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