Von Ingo Pietsch

Mein Name ist Asrom Tangyr. Ich bin von Beruf Privatdetektiv oder wie die meisten sagen würden: „Schnüffler“.

Seit fünf Jahren hänge ich auf dieser Raumstation Irgendwo im Nirgendwo fest und versuche mich vergeblich über Wasser zu halten, um mir endlich ein Ticket von diesem Schrotthaufen leisten zu können.

Mein Büro und gleichzeitig auch Zuhause liegt in den unteren Ebenen. Auf der Erde würde man wohl „Downtown“ dazu sagen.

Defekte Klima- und Belüftungsanlagen, jede Menge Ungeziefer und eine hohe Kriminalitätsrate.

Die Polizei kommt hier nur runter, wenn jemand ermordet wurde. Wenn überhaupt.

Wir leben hier nach eigenen Gesetzen und versuchen uns, so weit möglich, aus dem Weg zu gehen.

Ich war ziemlich erstaunt, als Christina mein Büro betrat.

So hatte sie sich jedenfalls vorgestellt.

Ich ließ meine Flasche mit Alkohol, den es komischerweise in rauen Mengen gab und Lebensmittel knapp waren, in einer Schublade verschwinden.

Christina sah sich um und tatsächlich schämte ich mich für die Unordnung. Ich wollte ihr einen Stuhl anbieten, den ich für Klienten nicht besaß und so blieb sie einfach mitten im Raum stehen.

Blonde Haare, die ihr halbes Gesicht bedeckten, ein dezenter Mantel, der ihr teures Kleid verhüllte und Beine bis zum Boden. Ich meine, so richtig lange Beine.

Ich schaute zur Tür, ob mich jemand reinlegen wollte, denn Christina gehörte ganz sicher nicht auf diese Ebene.

„Mister Tangyr, ich benötige ihre Dienste.“ Ihre Stimme klang so anziehend, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich musste schlucken. So wie sie aussah und ihrer Ausstrahlung nach, brauchte sie unbedingt Personenschutz. Meinen Personenschutz.

„Um was geht es denn?“, fragte ich in möglichst neutralem Ton, um nicht zu viel Interesse zu zeigen. Es geht doch nichts über Professionalität.

„Mein Mann“, sie warf ein Foto auf meinen Schreibtisch. „treibt sich nächtelang hier herum und ich möchte gerne wissen, mit wem und warum.“

„Haben Sie eine Idee, wo genau? Die unteren Ebenen sind sehr weitläufig.“

Sie nannte mir einige Namen der Clubs, die sie mal aufgeschnappt hatte. Die gehörten alle einer Familie. So ne Art Mafia. Erpressung, Waffenschmuggel, Drogen.

Christina klimperte mit den Augen. „Hier ist die Anzahlung. Den gleichen Betrag erhalten Sie bei Abschluss des Geschäfts.“

Sie reichte mir eine neutrale Kredit-Karte, die ich in mein Lesegerät steckte. 

2000 Einheiten! Allein damit kam ich schon von der Station runter.

„Abgemacht. Soll ich Sie ein Stück nach oben begleiten. Hier kann es ziemlich rau zugehen.“

„Danke, ich weiß mich zu wehren.“ Sie zog ihren Mantel ein Stück zur Seite und ich sah eine ziemlich große Elektropistole in einem Strumpfband stecken.

„Oh, das glaube ich ihnen gerne. Wie kann ich Sie erreichen?“

„Ich melde mich in einer Woche wieder.“ Mit diesen Worten verschwand sie wieder aus meinem Büro.

Von draußen hörte ich noch ab und zu ein Zischen einer Elektropistole – wahrscheinlich Christinas.

 

Also schnappte ich mir noch am gleichen Abend meinen Mantel und Hut, um das nächste Etablissement der Familie aufzusuchen.

Ich hasste diesen Hut, doch er schützte meinen Kahlkopf vor dem Zeug, welches so von der Decke tropfte.

Zwei Türsteher flankierten den Eingang des Clubs. Sie ließen mich ohne jegliche Kontrolle passieren.

Drinnen fiel mir auf den ersten Blick auf, dass sich hier nur Menschen aufhielten.

Die nichtmenschlichen Bewohner der Station blieben meist unter sich.

Ich setzte mich an die Bar und bestellte einen Drink.

Im Halbdunkel tanzte eine Frau in knappem Outfit an einer Stange und es liefen mehrere Holo-Sport-Übertragungen.

Der Barkeeper reichte mir mein Getränk und ich zeigte ihm das Foto.

Während er ein Glas abtrocknete nickte er zu einem Mann, der in einer Nische saß und den Club beobachtete.

Viel war jetzt noch nicht los.

Ich nahm meinen Drink und ging zu ihm hinüber.

„Mister Tangyr. Ich schätze, Sie sind beruflich hier.“ Er prostete mir zu.

„Oh, mein Ruf eilt mir voraus.“ Ich setzte mich seitlich an den Tisch, damit er weiter seinen Club überblicken konnte. Schließlich wollte ich ihn nicht unnötig provozieren.

Er schüttelte den Kopf: „Der Mann, den Sie suchen, ist nicht hier.“

„Dann werde ich wohl mal wieder verschwinden.“ Ich wollte aufstehen, aber meine Beine versagten ihren Dienst. Irgendetwas war im Drink gewesen.

„Es ist nichts persönliches, das können Sie mir glauben. Aber wir alle hier unten haben ein großes Interesse daran, dass Sie ihre Nase nicht in jede Angelegenheit stecken. Schafft ihn weg!“

 

Das war auch das Letzte, was ich hörte, bevor ich wieder aufwachte.

Die gute Nachricht war jedenfalls, dass ich noch lebte.

Die Schlechte: Ich saß auf meinem Bürostuhl und konnte mich nicht bewegen.

Wenigstens eine vertraute Umgebung.

Außer, dass mein Büro vollgestellt war mit Fässern, an denen rote Lichter blinkten.

So langsam merkte ich im ganzen Körper so ein Kribbeln. Ich bekam doch ein wenig Angst.

Die Tür ratterte, als sie entriegelt wurde und fuhr zur Seite. Eine Frau betrat das Lager.

Nicht irgendeine Frau, nein, Christina.

Wahrscheinlich wäre ich der Familie auch weiterhin aus dem Weg gegangen, wenn sie mich nicht reingelegt hätte.

„Tangyr, Sie würden wirklich alles tun, wenn ihnen eine Frau schöne Augen macht.“

Ich war mir nicht sicher, ob es eine Frage oder Feststellung war.

„Was wollen Sie eigentlich noch von mir? Und warum haben Sie mich nicht gleich umgebracht?“

„Ihre Tür ist durch ein Lese-Gerät gesichert, dass Biometrische Daten liest. Es hätte erkannt, wenn Sie tot wären und wir hätten keinen Zugang zu ihrem Büro bekommen. Außerdem haben die Wände Augen und Ohren. Dann hätte unser Plan möglicherweise nicht funktioniert.“

„Und, hat es geklappt? Haben Sie irgendwas in meinem Aktenschrank gefunden, was ihnen weiterhilft?“

Sie kam ganz dicht an mein Gesicht heran und ich konnte ihr dezentes Parfüm riechen. Schade, dass sie auf der falschen Seite stand.

„Ja. Wissen Sie, die Familie beherrscht schon nahezu die halbe Station. Jetzt wollen wir den Rest auch noch übernehmen. Dazu müssen wir ein wenig Verwirrung stiften. Rein zufällig liegt ihr Büro genau unter einem Energieverteilknoten. Eine kleine Explosion und schon fällt da oben der Strom aus.“

„Klein? Mit dem Zeug sprengen Sie die ganze Station. Und die Lüftungsanlagen? Die meisten Bewohner sind Sauerstoffatmer.“

„Zerbrechen Sie sich nicht für uns ihren Kopf. Es gibt natürlich Notstromaggregate. Aber ein bisschen Kollateralschäden gibt es immer.“

„Soll es so enden zwischen uns? Es hat doch gerade erst angefangen.“

Christina beugte sich herunter und küsste mich auf den Mund. Sie schmeckte nach Pfirsich. Mit ihren Zähnen zog sie an meiner Unterlippe. Leider spürte ich das kaum. Ich glaubte sogar, dass Sabber aus meinem Mundwinkel lief. Zumindest konnte ich halbwegs normal sprechen.

Christina drehte sich um: „Leben Sie wohl!“

Die Tür schloss sich und wurde verriegelt.

Die Betäubung hatte so weit nachgelassen, dass ich meinen Oberkörper wieder drehen konnte.

Meine Arme und Beine gesellten sich wieder dazu.

Ich zog mich an einem der Fässer hoch und landete abrupt wie ein nasser Sack auf dem Boden.

Durch robben schaffte ich es zu meinem Aktenschrank. Ich zog die unterste Schublade auf und ertastete darunter ein Funkgerät, mit dem ich einen Freund kontaktieren konnte. Aber es funktionierte nicht. Alle Signale waren gestört.

Ich dachte nach. Die Fässer konnten jeden Moment explodieren.

Durch die Tür kam ich auf keinen Fall. Ich sah mich um: Eines der Fenster!

Die gingen natürlich nicht auf. Aber es musste doch irgendwas geben.

Mein Revolver! Schusswaffen waren auf der Station verboten. Aber ich besaß eine Replika aus Kunststoff gefertigt, die einen Schuss abfeuern konnte.

Sie stand auf dem Aktenschrank. Ein echter Hingucker.

Ich zog mich an den Schubladen hoch und entsicherte die Pistole.

Wenn die Scheibe bersten sollte, würde der Sog alles,was nicht gesichert war, nach draußen ziehen. Ich zog meinen Gürtel aus und befestigte ihn an der Wand. Dann steckte ich mein Handgelenk hindurch und hielt mich fest.

Ich hoffte, dass der Notfall-Energieschild diesen Teil rechtzeitig abdichten würde.

Es knallte laut und ich hörte ein Pfeifen in den Ohren.

Das Fenster hatte Risse bekommen. Doch es hielt. Aus Wut warf ich den Revolver hinterher.

Aber bevor ich aus Verzweiflung nicht mehr weiterwusste, machte es „Wusch“ und ich sah die Station von außen.

Schwerelos trieb ich im Leeren Raum dahin.

Die Station war gigantisch. An den oberen Docks waren Raumschiffe verankert.

Ich entfernte mich immer weiter. Die Fässer schwebten in einiger Entfernung vor mir. Es gab keine Geräusche. Auch nicht, als die Bomben hochgingen, Flammen aufstoben und gleich wieder erloschen. Ein kleines Feuerwerk.

Man sagt, wenn man die Luft anhält, überlebt man im Vakuum länger.

Auf jeden Fall war mir kalt und mein Körper begann steif zu werden, ehe ich ihn wieder überhaupt hatte richtig bewegen können. Auch fehlte meine linke Hand. 

Oh nein, meine Dart-Hand! Und ich war ein guter Dart-Spieler gewesen.

Was einem im Moment des Todes so in den Sinn kommt. 

Wie Lippen, die nach Pfirsich schmecken.

Langsam froren meine Augen zu.

Und mein letzter Gedanke war: „Jetzt hast du es doch von der Station runtergeschafft.“