Von Helga Rougui

Irgendetwas ist schiefgegangen.

Ich war bei meinem Meister im Büro, um das Abendessen zu besprechen. Er hatte beim Frühstück Toast Hawai erwähnt, und ich wußte nicht, woher den nehmen – außerdem hatte ich schon eine gut abgehangene Kamelhüfte von Jazar, meinem Lieblingsmetzger in Basra, herbeigeschafft – sollte ich die jetzt alleine essen?

Also, wir so im Büro – und plötzlich ging die Tür auf, und da stand Dr. Bellows. Der Colonel erschien wie ein Gespenst, so als ob er sich draußen auf dem Gang buchstäblich angeschlichen hätte, um – ja was? Um uns bei verbotenen Küssen zu überraschen? Meine Güte, wir befinden uns mitten in den Sechzigern, in einer Fernsehserie für Teenager, und die sexuelle Revolution steht erst kurz bevor.

Wie auch immer. Ich war dermaßen erschrocken, daß ich mich weggeblinzelt habe, ohne genau zu zielen – und jetzt sitze ich hier in einem engumgrenzten Raum aus Bakelit, der zwar weibliche Rundungen aufweist, die aber nicht den meinen entsprechen. Meine Kleidung habe ich in der Eile im Büro fallenlassen – wie wird mein Meister dem Colonel das Häuflein Stoff zu seinen Füßen erklären? Eine rosa Pluderhose, ein rotes Samtleibchen, einen rosa Seidenschleier und einen rotgoldenen Fez – nicht gerade die übliche Astronautenkleidung.

Ich versuche mich zu rühren, die fremden weiblichen, recht knapp bemessenen Formen kneifen mich in meine üppigeren Körperteile, mein Hin- und Hergezappel bringt nicht viel – es ist und bleibt unbequem hier drinnen.

Ich wende meinen Blick zu zwei kleinen Lichtpunkten auf Augenhöhe, schaue durch leere Pupillenlöcher in einen Raum voller Menschen, die sich um Tische drängeln, auf denen sich Stoffe, Blusen – sind das Blusen? sie sehen eher aus wie Unterhemden mit kurzen Ärmeln – Plastikgegenstände, die ich nicht kenne, und Töpfe mit künstlichen Blumen häufen. Über die Hälfte der Menschen hier hat eine dunkle Hautfarbe, wodurch ich mich gleich weniger verloren fühle – sie schauen, abgesehen von ihrer fremdartigen Kleidung, aus wie die Kunden auf einem Bazar in meiner Heimatstadt Basra – nur daß unsere Händler nicht so minderwertiges Zeugs verkaufen. Schlechtes Material und schlampige Verarbeitung – da steckt nicht das handwerkliche Können von Generationen dahinter.

Mein Blick fällt auf einen Spiegel, der allerdings viel besser und klarer ist als unsere in Babylonien. Ich sehe – mich, wie es scheint, in der Gestalt, die mich umgibt. Ich stecke offensichtlich in einer Puppe, die in einem Hochzeitskleid steckt, einem billigen Fähnchen für – ich linse auf das Preisschild, das an meiner bzw. ihrer Taille baumelt – 49 Euro. Ich will schon meine Unterarme auf Brusthöhe verschränken und zum Blinzeln ansetzen, um diesen unhaltbaren Zustand zu ändern und wenigstens das Material des Kleides, das steif und kratzig ist, in Seide zu verwandeln, da fällt mir etwas viel Gravierenderes auf. Diese Puppe hat steife Arme, deren einer angewinkelt in die Hüfte gestemmt scheint, während der andere leicht gebeugt herabhängt. Ich versuche die Position der Arme zu verändern, aber es geht nicht. Und um zu blinzeln, brauche ich meine Augenlider und meine verschränkten Arme. Was nun? Wie komme ich hier wieder raus? Hat jemand eine Idee?

Als ob es mich gehört hätte, schaut ein kleines, vielleicht siebenjähriges Mädchen mit schwarzen Rastazöpfen hoch und blickt direkt in die Augenhöhlen der Puppe. Meine Augäpfel rotieren und versuchen ihr zu winken – so weit Augäpfel etwas Derartiges fertigbringen, und ich klimpere ganz schnell mit den Augenlidern, um ihr zu zeigen – hier bin ich – hier ist jemand drin – hilf mir – laß mich raus –

Sie aber schaut erschrocken weg und zupft dann ihre Mutter am Ärmel, die an einem Wühltisch zwei fleischfarbene Riesenschlüpfer hochhält und miteinander vergleicht, und sagt:

– Maman, la poupée là-bas, elle a bougé. Ses yeux …

– Non mais, ma petite, que tu t’imagines encore? T’as trop joué à l’ordi, non? Viens, on y va … 

Und in der nächsten Minute sind beide durch den Ausgang verschwunden, verschluckt von der Menschenmenge, die sich eilig am Kaufhaus Tati auf dem Boulevard Rochechouart vorbeischiebt.

Und ich? Habe keine Ahnung, wie ich mich befreien kann. Vielleicht habe ich Glück und Haji bemerkt meine Notlage? Der Herr über alle Dschinns sieht fast alles – oft zu meinem Leidwesen -, diesmal hoffe ich darauf. Mit Schaudern denke ich an eine erneute Wartezeit von zweitausend Jahren.

Was wird mein Meister denken, wenn ich nicht zurückkehre?