Von Christoph Klaus

Mit Stolz trug sie den Namen Elvira und bislang mit Geduld die Last ihres Berufes: Hausfrau. Damit gehörte sie zu jener gepeinigten Bevölkerungsgruppe, die zwar beständig Geld auszugeben gezwungen, dieses selbst zu erwirtschaften aber nicht in der Position ist. Wie ihre Leidensgenossinnen war sie auf finanzielle Zuwendung angewiesen, vom Gatten, vom Sozialamt oder der Bank in Form eines »Hausfrauenkredits«. Ich habe mich immer gefragt, wie Letzterer unter der zuvor beschriebenen Voraussetzung je zurückgezahlt werden könnte, außer man verkauft das Haus, dessen Frau man ist und dessen Eignerin man dafür hätte sein müssen. Da Elvira zur Miete wohnte und auch die erstgenannte Geldquelle regelmäßig versiegte, war ihr Leben von einer gewissen Kargheit gezeichnet. So gab es zum Frühstück wieder einmal statt Kaffee nur den aufgewärmten Rest Tee vom Vorabend. Ihrem Mann würde das neuerliche Unmutsbekundungen abnötigen, wenngleich dieser Missstand eigentlich in dessen eigener Verantwortung stand.

Elviras Mann hieß Herbert. Ehe man jetzt das Bild zu imaginieren versucht, das mit diesem Namen assoziiert ist: Er war ein Fleisch gewordener Berg von 150 kg Lebendgewicht, dessen Existenz dem Begriff »Leben« nicht so recht gerecht werden wollte. Diese drei Zentner verursachten ihm eine Trägheit in jedweder Hinsicht, an der er auch die Wahl seiner Profession ausgerichtet hatte. Er glaubte, als Schriftsteller müsse er sich nicht viel bewegen. Ob er derer ein angehender oder doch einfach nur ein erfolgloser war, entzieht sich meiner Kenntnis; für Elviras Situation machte es ohnehin keinen Unterschied. So hatte sie sich in die Notwendigkeit gefügt, den Dingen selbst zum Anstoß zu verhelfen.

Bevor ihr Mann heute Morgen am Frühstückstisch erschien und sich wie erwartet über das Getränkeangebot beklagte, hatte sie dort bereits den Laptop aufgebaut und die Internet-Seite geöffnet, auf die sie kürzlich gestoßen worden war.

»Wenn du Kaffee trinken willst, musst du etwas dafür tun«, begann sie ihre vorbereitete Verteidigung.

»Und was? Es gib kein Arbeitsamt für Schriftsteller.«

»Dann schau ins Internet. Da stehen immer wieder irgendwelche Ausschreibungen«, sprach Elvira und drehte ihm den Bildschirm in Blickrichtung.

»Eine Frau am Küchentisch erwürgt mit dem Kabel vom Toaster ihren Mann«, las Herbert die Themenstellung für ein Literaturprojekt vor, das sich ein Verlag ausgedacht hatte, wohl einzig mit dem Ziel, ihm Unbequemlichkeiten zu verschaffen. »Was soll das denn sein? So etwas geht doch gar nicht.«

»Eben«, entgegnete Elvira, »und weil alle so denken, ist das deine Chance. Wenn du es schaffst, zu diesem Thema eine Geschichte zu schreiben, kann das deiner Karriere nur förderlich sein.«

»Aber so etwas funktioniert doch schon allein technisch nicht.«

Er griff nach dem Zollstock, den der Schublade entnehmen zu können ohne sich von seinem Platz erheben zu müssen ihm entgegenkam. Damit vermaß er auf etwas unbeholfene Art das Netzkabel des Toasters, der in seiner Reichweite auf der Arbeitsplatte des Küchenschranks platziert war.

»Genau ein Meter«, verkündete er das Ergebnis der Aktion.

Anschließend versuchte er, mit demselben Werkzeug den Durchmesser seines Halses zu bestimmen, was erwartungsgemäß schwieriger war und demzufolge ein mit höherem Fehler behaftetes Resultat lieferte. 

»22 cm«, verkündete er, das »genau« aus genanntem Grund weglassend. »Für den Umfang muss man das noch mit Pi oder Daumen multiplizieren, glaube ich.«

Den Fakt ignorierend, dass das Wunderwerk der Informationstechnik vor ihm auf dem Tisch zu mehr als nur zum Surfen im Internet zu gebrauchen war, kramte er den Taschenrechner hervor. Weil er auf dessen Tastatur kein Symbol für »Daumen« fand, entschied er sich für »Pi« und kam so zum korrekten Ergebnis.

»Der Umfang beträgt dann knapp 70 cm.«

»Würde also genügen«, mutmaßte die Gegenseite.

»Um das Kabel um den Hals zu legen vielleicht, zum Erwürgen muss man aber auch noch daran ziehen. Da bleiben noch 30 cm, für jede Hand also 15.«

»Müsste trotzdem reichen«, erklärte Elvira, nach einem kritischen Blick auf ihre nicht gerade zierlichen, dennoch nicht überdimensionierten Hände.

»Ja, nur ist das Kabel aus glattem Kunststoff. Wahrscheinich würde es aus der Hand rutschen«, gab sich Herbert weiterhin voll des Zweifels. Nach kurzem Nachdenken ergänzte er: 

»Also, wenn du mir beweisen kannst, dass es funktioniert, schreibe ich die Geschichte.«

Das war zumindest eine Ansage. Elvira überlegte. Nebenbei schob sie schnell noch zwei Brotscheiben in das Gerät und setzte es in Betrieb. Nachdenken macht schließlich hungrig und bislang hatte das Frühstück nur aus Diskussion bestanden. Während die Maschine ihren Dienst versah, machte Elvira nun ihrerseits verschiedene Messungen, sowohl an dieser selbst als auch am Hals ihres Gatten.

»Wenn das Kabel im Gerät ausreichend zugentlastet ist, könnte man das Gehäuse selbst als Fixpunkt verwenden und sogar mit beiden Händen am anderen Ende ziehen. Dann sollte das Kabel lang genug sein«, offenbarte sie ihre Gedanken.

»Schon möglich, aber das müsste getestet werden«, wusste sich Herbert seiner Skepsis nicht vollends zu entledigen. Wahrscheinlich aber wollte er es sich nur nicht gefallen lassen, zur Arbeit angetrieben zu werden.

»Gut, versuchen wir es«, fügte sich Elvira der Forderung.

Der Toastvorgang war gerade abgeschlossen. Sie entnahm dessen leicht verkohltes Ergebnis dem Röstschacht und zog den Stecker aus der Dose. Sie stellte den Apparat auf der Brust ihres Gatten ab, den sie mit der Anweisung »Halte mal fest« in die aktive Beteiligung an diesem Experiment einband. Dann legte sie das Netzkabel um seinen Hals.

»Eigentlich müsste das Ende ausreichend sein«, schätzte sie die Eignung von dessen verbleibendem Rest als Handgriff ein.

»Aber kannst du auch mit genügend großer Kraft daran ziehen?« Herbert war immer noch nicht überzeugt.

»Gut, ich ziehe jetzt«, erklärte Elvira und setzte die Ankündigung in die Tat um.

»Das genügt nicht. Ich merke das ja kaum.«

»Du hast recht. Das Kabel ist sehr glatt. Ich werde versuchen, das Ende in eine Schlaufe zu legen. Dann kann ich kräftiger ziehen… Ja, es scheint zu gehen.«

»Jetzt spüre ich zumindest etwas.«

»Ich glaube, ich kann noch stärker ziehen. Sag Bescheid, wenn du keine Luft mehr bekommst.«

»Mach ich«, waren Herberts letzte Worte.

Elvira zog kräftig mit beiden Händen. Herberts Kopf verfärbte sich zunächst rot, dann blau. Er begann zu röcheln, aber Elvira ließ nicht nach. Solange Herbert nicht, wie vereinbart, erklären würde, keine Luft mehr zu bekommen, durfte sie nicht aufhören; anderenfalls liefe sie Gefahr, eine erneute Zurechtweisung zu empfangen und Herberts von Anfang an fundierte Gewissheit endgültig zu zementieren, dass einem solchen Ansinnen mit derart untauglichen Mitteln einfach kein Erfolg beschieden sein konnte. Dass sie es schließlich doch tat, lag daran, dass Herberts massiger Körper zusammensackte und vom Stuhl fiel, wobei Elvira, mit ihm zu Boden gezogen, zum Abfangen des Sturzes zwei freie Hände benötigte. Der Beweis war dennoch erbracht. Herbert tat weder einen Laut noch eine Bewegung mehr.

Der Rechtsmediziner würde später feststellen, dass Elvira ein folgenschwerer Fehler unterlaufen war. Sie hatte vom Toaster mehrere Maße abgenommen, um festzustellen, wie das gekantete Blech von dessen Gehäuse in Verbindung mit den spritzgegossenen Kunststoffapplikationen beim Vorgang des Würgens an Herberts Hals anliegen würde. Allerdings hatte sie das getan, während sich das Gerät in Betrieb befand, ohne zu beachten, dass sich der Bügel zur Bedienung der Absenkmechanik dabei in einer anderen Position befindet. Dieser hatte während des Experiments so ungünstig gegen Herberts Hals gedrückt, dass jener, sich verbal zu äußern, außerstande gewesen war.

 

Mein Telefon klingelte. Elvira war dran.

»Schatz, es hat genau so funktioniert, wie du es vorausgesagt hast. Herbert, dieser Trottel, ist voll darauf hereingefallen«, berichtete sie, noch in Erregung als Folge des soeben stattgefundenen Vorkommnisses.

Ich jubilierte. Ich hatte meine Geschichte zu einem unmöglich realisierbaren Thema und ich hatte meine Elvira. Eine leichte Befürchtung hegte ich lediglich bezüglich dessen, ob man der trauernden Witwe im Nachgang dieser Ereignisse eine Mordanklage anhängen würde. Glücklicherweise geschah das nicht. Die Meinung der Gerichtsmedizin, dass Herberts Tod ein Unfall infolge eines zwar folgenschweren, dennoch Versehens gewesen war, wurde durch eine wie auch immer zustande gekommene Sprachaufzeichnung des verhängnisvollen Morgens bestätigt. Aus später nicht mehr nachvollziehbaren Gründen war die Audiorecorder-App auf Elviras Telefon aktiviert worden, die den Ablauf des gesamten Geschehens dokumentiert hatte. Die Staatsanwaltschaft kam jedenfalls recht schnell zu der Auffassung, dass es sich um einen bedauerlichen Unglücksfall handelte, zumal sich der Geschädigte freiwillig an dem Experiment beteiligt hatte. Die Akten wurden mit der finalen Notiz geschlossen, dass Herbert in Ausübung seines Berufes bei gefährlichen Recherchen zur Vorbereitung eines literarischen Werkes bedauerlicherweise zu Tode gekommen war.

So waren schließlich alle zufrieden; fast alle. Lediglich die Redaktion des Verlages, der dieses verheerende Thema ausgeschrieben hatte, verspürte ein gewisses Unbehagen. Dort würde man bei der Formulierung künftiger Aufgabenstellungen mehr Umsicht walten lassen.