Von Martina Zimmermann

Es war Sommer. Wie in jedem Jahr fuhren wir in unserem Urlaub an die Nordsee. Wir liebten Norderney. Diese Insel hat Flair. Das Wetter war sehr gut. Wind gibt es dort immer, aber heute schien die Sonne warm und lud förmlich dazu ein, zum Strand zu gehen.

 

„Petra, komm mit, wir vertreten uns die Füße“, rief Annette. „Ich komme“, rief ich zurück.  Unbekümmert und fröhlich, mit den Füßen im Wasser. So frei, mit dem Wind im Gesicht und der Luft mit dem leichten Salzgeschmack auf der Zunge, liefen wir und keiner sagte ein Wort. Mittlerweile waren wir weit weg vom Trubel um uns herum war kein Mensch mehr zu sehen. Hier gab es nur noch Natur. Gerade als wir auf die Dünen zulaufen wollten, bemerkte ich plötzlich diese Flasche im Sand. Ich hob sie auf und bemerkte einen Zettel darin.

„Das gibt es doch nicht. Es scheint eine Flaschenpost zu sein“, rief ich neugierig. Wir setzten uns in den Sand mitten in den Dünen und ich versuchte die Flasche zu öffnen. Der Schraubverschluss war so fest zu gedreht, dass ich dachte, ich bekomme sie nicht auf. Doch plötzlich ließ sich der Verschluss drehen. Vorsichtig zog ich an dem Zettel in der Pulle. Mit etwas Mühe und Geschick, gelang es mir den Zettel herauszuziehen. Danach rollte ich das Blatt auseinander, um es lesen zu können.

Wie erstarrt schauten wir beide auf das Papier. In roter Schrift, oder war es etwa mit Blut geschrieben, standen die folgenden Worte :

 

HILFE !!!

„ICH WURDE ENTFÜHRT UND WERDE FESTGEHALTEN AUF NORDERNEY.

BITTE HELFEN SIE MIR!“

MARTIN MUNKES

 

„Mein Gott, das kann nicht wahr sein“, hauchte ich und meine Hände zitterten. Annette war genauso blass wie ich. „Was sollen wir tun?, fragte ich. „ Ich weiß nicht“, antwortete Annette. „Wir wussten nicht, ob der Brief noch aktuell ist und wie lange er schon hier gelegen hatte.

 

„Wir gehen zur Polizei, das wird das Beste sein“, beschloss ich. Annette nickte und sofort machten wir uns auf den  Weg zurück, um dann die nächste Dienststelle der Polizei aufzusuchen. Dort angekommen, überreichten wir aufgeregt unseren Fund. Der Polizist blickte ernst auf das Papier und stellte uns einige Fragen dazu. Wo genau wir die Flasche gefunden hatten und wann. Wir gaben alles zu Protokoll. Dann erklärte der Polizist, dass sich die Kommissare mit dem Fall beschäftigen würden. Für uns wäre alles erledigt. Wir gaben nur noch unsere Adresse an, falls noch Fragen offen wären und damit wurden wir entlassen.

„Wir könnten doch einmal nachforschen, ob wir diesen Martin Munkes irgendwo googlen können. Vielleicht kommt etwas dabei heraus?“ Annette hielt ihr Telefon bereits in Position und gab den Namen ein. Es dauerte nicht lange. Tatsächlich gab es ein Martin Munkes, er ist Entwickler in einer Software Firma.  „Aber vielleicht wird dieser Martin ja nicht einmal vermisst?“, gab ich zu Bedenken. Ich hatte meine Gedanken noch nicht ganz ausgesprochen, da hatte Annette schon die Nummer der Firma gewählt und erkundigte sich nach Martin Munkes.

„Es tut mir  leid, aber Herr Munkes befindet sich zur Zeit im Urlaub“, erklärte die freundliche Dame in der Leitung. „Ach das ist ja  schade.“ Mit gespielten Bedauern in der Stimme und einige Fragen später erfuhren wir, Martin befindet sich auf Norderney.  Dort machte er jedes Jahr Urlaub und ging immer ins gleiche Hotel.

Wir beschlossen in jedem Hotel zu fragen, ob sie einen Gast namens Martin Munkes hätten. Nachdem wir das dritte Hotel erreicht hatten, erzählte uns der Portier, dass er Herrn Munkes seit zwei Tagen nicht mehr gesehen hatte.

Er wollte raus in die Natur in die Dünen. Dort gab es alte verlassene Gebäude, für die er sich interessierte.

Wir bedankten uns und verließen das Hotel.

„Was meinst du, sollen wir uns einmal umschauen, dort in den Dünen? Es könnte in der Nähe sein, wo wir die Buddel gefunden haben? Vielleicht wird dieser Martin dort festgehalten?“

„Sollten wir nicht zuerst die Polizei von unseren Ermittlungen in Kenntnis setzen?“, fragte Annette. „Wir schauen doch nur“, erwiderte ich. Annette hatte stumm genickt und dann machten wir uns auf den Weg. Genau wie vorher immer am Wasser entlang bis wir weit draußen waren, wo die Natur noch vollkommen war. Wir verließen den Strand und schlenderten durch die Dünen. Zunächst einfach ohne jedes Ziel. Die Augen offen und aufmerksam für alles. „Dort drüben, scheint eine alte Ruine zu sein“, rief Annette aufgeregt. Wir liefen dort hin und schauten nach. Als wir uns  im Schutz der Dünen näherten, sahen wir plötzlich zwei Männer. Sie unterhielten sich und schauten sich verdächtig um. Einer der  beiden trug eine Waffe, das konnten wir deutlich erkennen. Wir duckten uns blitzschnell. Gott sei Dank, hatte uns keiner der  beiden bemerkt.

„Ich könnte mir vorstellen, dass Martin dort festgehalten wird“, flüsterte ich Annette zu. Sie nickte und zog ihr Telefon aus der Tasche. Noch in den Dünen liegend, rief sie bei der Polizei an und meldete, was wir gerade sahen. „Sie bleiben wo sie sind“, befahl der Polizist am anderen Ende.“

Annette bejahte und legte auf. „Wir sollten nachschauen“, schlug sie vor. „Wir haben doch gerade die Anweisung bekommen nichts zu tun“, erwiderte ich. Doch Annette robbte sich in diesem Moment schon näher an die alte Ruine heran. Meine Einwände verwehten im Winde. Annette war schon weiter vorne und stand jetzt hinter der Ruine. Ein altes Haus, welches vielleicht einmal ein Lokal war, oder eine Herberge. Sie schaute durch das Fensterloch hinein und warf mir einen erstaunten Blick zu. Gerade als ich mich zu meiner Schwester begeben wollte, kam einer der Männer aus dem Haus. Die Waffe auf Annette gerichtet. „Was machen sie hier?“, fragte er und seine Stimme klang dunkel und bedrohlich. Ich duckte mich derweil so tief ich konnte in den Sand. Gott sei Dank blieb ich unbemerkt. „Komm, wir gehen rein“, befahl der Mann und machte eine eindeutige Handbewegung mit seiner Waffe. Annette befolgte seine  Anweisungen und ging um das Haus herum, aus meinem Sichtfeld. Aufgeregt und zugleich besorgt überlegte ich was ich tun könnte. Warte ich ab bis die Polizei eintrifft, oder versuche ich meiner Schwester zu helfen?

 

Meine Gedanken überschlugen sich und ich musste etwas tun. Also robbte ich flach auf dem Boden in Richtung Ruine. Als ich genau wie Annette zuvor an der Rückseite stand, hörte ich Stimmen. Es schienen die beiden Männer zu sein, die wir von  Weitem gesehen hatten.

„Warum mischen sie sich auch ein? Wir überlegen, was wir mit ihnen machen“, sagte der eine und ich glaubte fest, dass sie meine Schwester damit meinten. Hoffentlich überlegen sie noch länger, so dass die Polizei vorher hier ist, dachte ich. Dann vernahm ich ein Stöhnen. Es schien auch aus dem gleichen Raum zu kommen. Martin? Oder Annette? Ich traute mich nicht durch das Fenster zu schauen, dadurch war Annette schon aufgefallen, aber was sollte ich tun?

Vorsichtig schlich ich zur anderen Seite. Ich versuchte einen Blick in das Gebäude zu erhaschen, aber ich konnte nichts sehen. Vorsichtig, wie in Zeitlupe, bewegte ich mich hinein. Angespannt bis zum letzten Muskel, konnte ich durch einen Schlitz in der alten zerfallenen Holztür schauen. Annette saß neben einem Mann, gefesselt auf dem Boden. Beide hatten Knebel im Mund.

„Oh Gott, was soll ich tun?

Hoffentlich kommt die Polizei sofort, bevor noch jemand umgebracht wird“, dachte ich.

Dann sah ich, wie einer der Männer auf Martin zuging und ihm ganz nahe die Pistole auf die Brust setzte. Ich erschrak so heftig, dass ich auf eine alte Latte getreten war, diese knackte.

„Ach du Schande“, dachte ich. Aus den Augenwinkeln konnte ich noch erkennen, dass der Mann von Martin abließ und jetzt auf mich zukam. Starr vor Angst versuchte ich im letzten Augenblick, in eine Art Schrank zu flüchten. Hier wurden bestimmt einmal Besen oder ähnliches abgestellt. Jetzt stand ich darin und versuchte leise zu atmen. Aber mein Herz raste so schnell, dass ich meinte, jeder könnte es hören.

Gerade als ich dachte, jetzt ist alles aus und ich werde entdeckt, rief der andere Mann.

„Da ist etwas, da draußen!“ „Was ist los?“, fragte der Mann, der immer noch vor meinem Schrank stand. „Keine Ahnung, aber ich dachte, ich hätte etwas gesehen.“

„Ich schaue nach“, beschloss der Mann, der vor mir gestanden hatte und für einen Moment atmete ich erleichtert aus. Er ging vor die Tür und um das Haus herum. Der andere Mann bewachte derweil Annette und Martin, ebenfalls mit einer Waffe in der Hand.

„Was ist los? Kannst du etwas sehen?“, fragte er und ging dabei in Richtung Eingang um nach seinem Partner Ausschau zu halten. Genau in diesem Moment wurde er überwältigt. Die Polizei war eingetroffen und sein Kollege war schon ergriffen worden. Ich stieg aus dem Schrank und lief zu Annette und Martin. Froh darüber, dass ihr nichts geschehen war, öffnete ich ihre Fesseln und die von Martin. 

Annette war mit einem Schreck in den Gliedern davon gekommen und Martin leicht geschwächt, aber ohne größere Blessuren. Beide völlig erleichtert.

Es stellte sich heraus, dass Martin durch Zufall an ein Drogenversteck geraten war. Er wollte sich die alte Ruine anschauen. Zu spät erkannte er die Gefahr und bevor er flüchten konnte, wurde er auch schon fest gehalten.

Tatsächlich hatte er die Botschaft mit Hilfe seines eigenen Blutes geschrieben. Es war ihm für kurze Zeit gelungen, die Fesseln abzusteifen. Mit einem kleinen Ritz in seinem Finger, gelang es ihm ein Stück Papier zu beschriften dann die Flasche aus dem Fenster zu werfen mit der Hoffnung, der Wind und der Sand würden ihr übriges tun und die Flasche ins Meer treiben, oder jemand würde sie in den Dünen finden. Er lächelte erleichtert und erklärte:

„ Zum Glück hat es funktioniert und ihr habt mich gerettet.“

 

 

 

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