Von Liv Walle

Eine Tür knallt zu und ich fühle, wie mein Gehirn versucht, aus meinem Kopf zu springen.

»Zu laut!«, stöhnt jemand neben mir.

Langsam hebe ich meinen Kopf und öffne die Augen. Ein gleißend helles Licht blendet mich. Ich versuche, meine Augen mit meinen Händen abzuschirmen, doch ich kann sie nicht bewegen.

»Scheiße! Was soll das? Geht das nicht leiser?«, meldet sich die Stimme neben mir zu Wort und ein metallisches Klappern hallt von allen Seiten auf mich ein.

Ich drehe meinen Kopf zur Stimme und unternehme einen neuen Versuch, meine Augen zu öffnen.

 

»Jo!«

Ich lache vor Erleichterung leise auf. Wenigstens ist Jo bei mir. Mein Kopf sinkt langsam wieder nach unten, doch noch bevor ich ihn wieder ablegen kann, erklingt die Stimme einer Frau. Laut.

»Emilia Hampe! Sie sind Verdächtige in einer Mordermittlung.«

Warum ist diese Stimme nur so laut? Es hallt von allen Seiten auf mich ein und erst als der dumpfe Schmerz abebbt, verstehe ich, was sie sagt.

Mord.

Mein Kopf schnellt hoch. Ich reiße meine Augen auf und ignoriere den Schmerz, der sich in mir ausbreitet.

 

»Okay, das ist mal was Neues.«

Jos Kopf erhebt sich deutlich gemächlicher von der Tischplatte. Seine braunen lockigen Haare liegen ihm wirr im Gesicht. Mein Blick gleitet zu seinen Händen, die mit Handschellen gefesselt auf dem Tisch liegen.

»Ich finde, das hättest du mir ruhig sagen können.«

»Ich habe niemanden umgebracht!«

Mein Kopf schnellt von Jo zu der Frau, die sich uns gegenüber auf einen Stuhl setzt.

Oder vielleicht doch? Was ist passiert und wie sind wir hier gelandet? Ich versuche mich zu konzentrieren, und doch kann ich nicht sagen, wann und wo meine Erinnerungen aufgehört haben.

 

»Kann ich zu Protokoll nehmen, dass Sie, Herr Jonathan Emanuel Theodor zu Lichtental, die Möglichkeit, dass die hier anwesende Emilia Hampe einen Mord begehen würde, für möglich halten?«

»JO!«, kreische ich.

»Sie können zu Protokoll nehmen, dass nur meine Mutter mich mit all diesen Namen ansprechen darf.«

Er stöhnt auf, als er versucht, sich mit einer schnellen Kopfbewegung die Haare aus dem Gesicht zu schütteln.

»Könnte ich bitte erfahren, was hier eigentlich los ist?«

Meine Stimme klingt schrill und laut.

 

»Ich würde sagen, wir haben eindeutig zu viel getrunken.«

Langsam fällt sein Kopf wieder in Richtung Tischplatte.

»Ich werde Ihnen ein Glas Wasser holen lassen.«

Die Frau erhebt sich und verlässt den Raum.

 

Ich schaue zu Jo.

»Kannst du aufhören mit den Witzen! Was ist hier los?«

»Keine Ahnung. Ich lag auf einem Sofa und Polizisten standen vor mir. Das ist alles. Woran kannst du dich erinnern?«

»Wir waren in der Bar und die Band hat gespielt.«

Ich stocke und überlege.

»Du hast mir das Foto gezeigt.«

 

 

»Ich bin nicht naiv!«, sage ich über den Lärm der Band hinweg und schaue in Jos starres Gesicht. Langsam zieht sich seine rechte Augenbraue in die Höhe und in seiner Hand wackelt leicht sein Telefon.

»Ich habe doch gesagt, dass er bei einem Geschäftsessen war!«, setze ich nach.

»Das ist nicht gerade das Ambiente für ein Geschäftsessen«

»Ich glaube ihm. Was ist das sonst für ein Zeichen für unsere Beziehung?«

»Das hier ist ein großes blinkendes Alarmzeichen«

Er schiebt mir sein Handy über den Tisch, steht auf und verschwindet in der Menschenmasse.

 

Ich starre auf das Foto vor mir. Ich sehe den Mann, den ich seit fast 2 Jahren liebe.

Er sitzt an einem alten Holztisch. Sein Jackett hängt über dem Stuhl, seine Ärmel sind hochgekrempelt und sein Hemdkragen steht offen. Er lächelt.

Ihm gegenüber sitzt eine Frau, deren Gesicht ich nicht erkennen kann. Sie trägt ein langes rotes Kleid und ihr blondes Haar ist aufwendig hochgesteckt.

»Es tut mir leid.«

Jo kommt wieder und stellt klirrend 2 Gläser und eine Flasche Tequila auf den Tisch.

 

 

»Okay, der Tequila erklärt die Kopfschmerzen, aber nicht wie wir hier gelandet sind.«

Wieder versucht Jo mit sichtbaren Schmerzen, seine Haare aus seinem Gesicht zu entfernen.

»Aber wir haben nur noch über das Foto geredet und …«

»Warte…«, fällt er mir ins Wort.

»Was?«

»Wir sind zu ihm gefahren! Du wolltest ihn zur Rede stellen. Meinst du, wir haben Felix umgebracht?«

»Ich bringe doch nicht meinen Freund um!«

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ist Felix tot? Und warum sollte ich ihn umbringen?

»Gut, das wäre auf jeden Fall nicht das schlimmste Opfer.«

Jo grinst.

»Jo!«, ich trete ihn unter dem Tisch und versuche mich zu konzentrieren. Ich starre ihn an und versuche mich an irgendetwas zu erinnern. Mein Blick schweift zu seinen Händen. Sie liegen, wie auch meine, in Handschellen gefesselt auf dem Tisch. Ich schaue genauer hin. Seine Handballen sind blutverschmiert.

 

Ich versuche ihn aufzufangen, doch meine Reflexe reagieren erst, als er mir im Flug die Flasche reicht und ein Schwall Tequila über meine Hand läuft. Ich lache laut auf, als er stöhnend vom Bürgersteig aufsteht und seine blutigen Hände an der Hose abwischt.

»Seid ihr sicher, dass ich warten soll? Ihr solltet vielleicht lieber zu Hause bleiben«, ruft uns der Taxifahrer, aus der noch immer geöffneten Beifahrertür, entgegen.

»Wir wohnen hier nicht und wir brauchen noch einen Fluchtwagen. Lassen Sie das Ding«, er zeigt auf den Taxameter, »einfach laufen. Das bezahle ich gerne, wenn der Mist mit dem Idioten endlich ein Ende hat.«

»Kannst du wenigstens so tun, als würdest du ihn nicht total scheiße finden? Ich meine, wir sind seit fast 2 Jahren zusammen und du und ich sind Freunde seit dem Kindergarten. Ich kenne mich mit Menschen aus. Du musst nicht auf mich aufpassen.«

Ich stolpere und Jo fängt mich auf.

»Emi, der Typ ist einfach nicht gut für dich!«

Vorsichtig stellt er mich wieder auf die Beine und blickt hoch zu den Fenstern im 1. Stock.

»Es ist alles dunkel. Bist du sicher, dass er zu Hause ist?«

»Er wollte sich ausruhen. Vielleicht schläft er schon.«

Wir biegen um die Ecke, gehen durch die nur angelehnte Seitentür ins Haus und steigen die Treppe hinauf. Als wir oben angekommen sind, nehme ich einen großen Schluck aus der Flasche und lehne mich dann gegen die Klingel.

Ich werde herausfinden, wo er gestern Abend war und Jo endlich beweisen, dass er sich irrt.

 

Nachdem mein Finger einige Minuten auf der Klingel liegt, öffnet sich die Tür der Nachbarwohnung.

»Ich vermute, er ist nicht da, Schätzchen.«

Ich drehe mich zu einer älteren Dame im Morgenmantel um.

»Sag den Trotteln, wenn sie nicht aufhören, rufe ich die Polizei«, ertönt eine tiefe wütende Männerstimme aus der Wohnung hinter ihr.

»Soweit muss es ja nicht kommen.«

Jo lacht und zupft mich am Arm.

»Lass uns gehen.«

Während wir den Flur in Richtung Ausgang torkeln, dreht er sich beim Vorbeigehen noch einmal zu der Frau.

»Sorry, für die Störung«, flüstert er und zwinkert ihr, mit einem charmanten Lächeln, zu.

 

 

»Wir waren also nicht bei ihm.«

Erleichtert atme ich aus, als die Tür wieder aufschwingt und die Frau abermals den Raum betritt. Sie stellt zwei Gläser mit Wasser vor uns ab.

»Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Sie legt einige Bilder vor uns auf den Tisch.

Sie zeigen Jo und mich und sind seltsam verwaschen, als wären sie aus großer Entfernung aufgenommen worden.

Auf dem ersten Foto tritt Jo gegen eine Tür, während ich daneben auf dem Fußboden sitze. Ich schaue genauer hin. Die Tür kommt mir bekannt vor.

»Und wie genau soll ich das jetzt trinken?«

Jo wackelt mit seinen Händen und wieder erfüllt ein metallisches Klappern den Raum.

Mein Blick schwingt auf das zweite Bild. Die Tür ist offen und jetzt weiß ich, wo wir waren.

»Kacke!«, entfährt es mir und die Frau und Jo schauen mich an, »Wir sind raus in seine Waldhütte gefahren.«

 

 

Die Tür splittert. Ich kreische.

»JO!«

»Sorry, Emi, aber ich muss mal. Wo ist die Toilette?«

Ich starre ihn entsetzt an und dann auf die offene Tür neben mir.

»Grade zu«, hauche ich.

Er haut auf den Lichtschalter und als ich aufstehe, höre ich ihn durch das Zimmer hasten.

Mein Blick schweift durch den Wald, bevor ich in das Haus gehe.

 

Wenige Meter von mir entfernt schwingt die Toilettentür wieder auf.

»Das war knapp«, stöhnt Jo erleichtert und fällt gegen den Türrahmen.

»Normale Menschen, hätten sich einen Baum gesucht, das ist dir schon klar, oder?«

Er nickt.

»Hübsch hier. Was treibt er hier so? An den Abenden, an denen er hier ALLEINE rumhängt?«

Langsam stößt er sich vom Türrahmen ab, schwangt durch den Raum und lässt sich auf das Sofa fallen.

»Er arbeitet manchmal von hier aus und sag das nicht so!«

Sein Blick gleitet durch den Raum. Die Hütte ist nicht groß. Gerade einmal ein kleines Wohnzimmer mit einer offenen Küche und ein Kamin haben hier Platz.

»Sein Arbeitszimmer ist im Keller. Bitte tritt die Tür nicht auch noch ein.«

Ich lasse mich auf den Sessel neben ihm fallen.

»Warum sollte ich?«

»Ich habe das Gefühl, abgeschlossene Türen provozieren dich.«

Stille breitet sich zwischen uns aus. Ich spüre wie meine Körper schwerer wird und meine Augen langsam zufallen.

»Warum schließt er seine Tür zum Arbeitszimmer ab? Von außen waren auch keine Kellerfenster zusehen.«

Er richtet sich auf.

»Was arbeitet er denn da unten?«

Mit letzter Kraft zucke ich mit den Achseln.

»Kein Plan, ich durfte nie…«

Lautes Getrampel reißt mich aus meinem Dämmerzustand, als Polizisten das Haus stürmen.

 

 

»Ihr Waldhaus«, korrigiert mich die Frau.

Ich starre sie an.

»Sie haben das Haus vor 1 1/2 Jahren gekauft.«

Jos Blick schnellt zu mir.

»Das ist Quatsch. Ich habe kein Haus!«

Sie legt einen Ausdruck vor mich. Es ist mein Name und meine Unterschrift unter einer Kaufurkunde für das kleine Grundstück im Wald.

»Em! Was ist hier bitte los?«

Zum ersten Mal hat Jos Stimme jede Lockerheit verloren.

»Ich sage Ihnen, was hier los ist.«

Die Polizistin legt 5 Fotos vor uns auf den Tisch.

»Diese 5 Frauen sind in den letzten 17 Monaten verschwunden. Wir haben gestern ihre Leichnamen im Wald gefunden und alle Spuren führen zu Ihrem Haus!«

Ihre Stimme hallt von den Wänden auf mich ein und hinterlässt eine bedrückende Stille.

»Dieses Dreckschwein! Ich hab dir gesagt, dass er ein Arschloch ist!«

»Du glaubst doch nicht…«

Ich kann nicht weiter sprechen. Niemals! Oder doch?