Von Leonie Rauth
I.
die welt ist so
verschwommen
wie als bräuchte ich eine brille
oder ein hörgerät
oder
eine stimme
aber ich brauche keine brille
und kein hörgerät
nur
eine stimme
es ist als würde man in wasser eintauchen und die augen öffnen
und alles andere schließen
und man sieht
nur
eine verschwommene welt
und man hört
nur
eine verschwommene welt
eben war ich doch noch bei
namevergessen
gedanken ziehen weg wie die wolken am himmel
(sind wolken am himmel?)
der himmel ist auch verschwommen
vor dem fenster
und dahinter
ich
und
das leben
aber das leben lebt ohne mich weiter
ich bin in verschwommenewelt
ich bin in verschwommenegedanken
ich bin gefangen
ich bin
(bin ich?)
da draußen
hinter dem verschwommenen himmel
sind menschen
und da sind stimmen
aber dann sind sie wieder weg
ich kann sie nicht fassen
kann sie nicht einfangen
weil ich der gefangene bin
wie ein schmetterling
man sieht ihn und man will
dass er bleibt
aber dann
ist er weg
bin ich weg?
oder ist die welt weg?
verschwommene welt
wie als
wär sie weggeschwommen
die normale welt
(was ist schon normal?)
und hätte mich zurückgelassen
hier in
verschwommenewelt
verschwommenegedanken
II.
„Ist Adalbert wieder im Ausland?“, frage ich Mutti und ich bin sehr stolz auf das neue Wort, das ich gelernt habe.
Ausland. Wie erwachsen das klingt.
„Was redest du denn für einen Quatsch?!“, fragt Mutti.
Sie wirkt genervt. Wie immer, wenn Adalbert im Ausland ist.
„Na, im Ausland. Jörg war auch im Ausland letzten Sommer.“
Jörg ist mein Schulkamerad. Mutti mag ihn nicht. Wobei, eigentlich mag sie wohl eher seine Eltern nicht.
„Die haben mehr Glück als Verstand.“, sagt Mutti immer. „Und Geld bis zum geht nicht mehr…“
Mutti und Adalbert haben kein Geld bis zum geht nicht mehr. Aber das ist wahrscheinlich auch nur so, weil Adalbert immer im Ausland ist und Mutti immer genervt. Früher, da war Mutti anders. Als Vati noch da war.
Aber Vati ist jetzt wohl auch im Ausland. Nur nicht so wie Adalbert, Adalbert kommt ja immer wieder zurück.
„Nein, Adalbert ist nicht im Ausland. Nur halt nicht ansprechbar.“, antwortet Mutti, jetzt richtig genervt.
Ich glaube, Mutti weiß nicht, was das mit dem Ausland bedeutet. Aber das kann man ihr ja nun wirklich nicht verübeln. Sie ist nun mal tagein, tagaus mit der Arbeit beschäftigt, um so ein schwieriges Wort wie Ausland zu lernen, ist da einfach keine Zeit mehr. Das sage ich Mutti dann auch, aber sie ist sauer.
„Jetzt beeil dich Tommi, sonst kommst du nicht rechtzeitig zur Schule. Und stell nicht immer so dumme Fragen, damit wirst du nicht weit kommen im Leben.“
Ich beeile mich, meine Cornflakes zu essen, weil Adalbert immer noch im Ausland ist und dann ist es besser, wenn man schnell isst. Mutti räumt den Tisch ab und mustert Adalbert mit ihrem bösen Blick.
„Hallo, jemand zuhause?!“, fragt sie und dann muss ich lachen, weil das ja auch eine dumme Frage ist.
Natürlich ist er nicht zuhause, er ist ja im Ausland. Und wie zur Bestätigung meiner Gedanken blickt Adalbert weiter nach draußen.
„Bist du jetzt mal fertig, Tommi?“, fragt Mutti und ich schiebe die leere Müslischüssel zu ihr rüber. „Dafür ist keine Zeit. Los gehen wir.“
„Was ist mit Adalbert?“, frage ich und beiße mir gleich darauf auf die Zunge. Ich sollte ja keine dummen Fragen mehr stellen.
„Der kommt schon alleine klar.“, sagt Mutti. „Geh schon mal vor.“
Was sie wohl jetzt machen? Ich wüsste zu gern, ob Mutti es schafft, Adalbert wieder aus dem Ausland zurück zu holen. Es wäre ja echt ärgerlich, wenn er immer da drübenbleibt sowie Vati.
„Thomas, du sollst vorgehen, hab´ ich gesagt!“, ruft Mutti, aber ich bin wie festgefroren.
III.
Tommi bewegt sich nicht von der Stelle, also schiebe ich ihn kurzerhand einfach nach draußen. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr und merke, dass wir wirklich viel zu spät dran sind.
Alles nur wegen Adalbert. Warum wacht er denn auch nicht auf, verdammt?!
Es ist immer dasselbe mit ihm. Plötzlich fängt er an ins Leere zu starren und dann ist er für Nichts mehr zu gebrauchen. So ein Nichtsnutz! Er verträgt aber auch gar nichts!
Ich schlage ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, damit er sich endlich mal bewegt. Verdammt, immer noch nichts! Es ist, als wäre er in einer anderen Welt… oder wie Tommi seit Neuestem sagt, „im Ausland“. Hat er wohl bei diesem Jörg aufgeschnappt.
Naja, wie auch immer, Adalbert wacht davon auch nicht auf. Aber er muss aufwachen, sonst…
Ich kann ihn unmöglich hierlassen. Wieder einmal ärgere ich mich darüber, mich überhaupt auf so jemanden eingelassen zu haben.
Ich konnte ja auch nicht wissen, dass er so ein Nichtsnutz ist; der gar nichts verträgt! Manchmal muss man ihn nun mal stillschalten, aber dann ist ja auch wieder gut.
Habe ich doch gehofft, es würde helfen, wenn ich Adalbert nach Ernestos Tod heirate, hat es mir nichts als Probleme eingebracht. Als Witwe lebt es sich nicht gut, aber als Adalberts Frau lebt es sich noch schlechter. Immer ist er krank und dann diese ständigen Aussetzer…
Ich starre ihn an. Wie konnte ich nur so naiv sein? Jetzt muss ich ihn entweder hier herausbekommen oder sie würden ihn finden oder…
Mein Blick fällt auf den Toaster auf dem Küchentisch. Ich könnte es wieder tun. Das Kabel baumelt herunter, unschuldig, als wolle es niemandem etwas Böses. Ich schlucke. Ich wollte keinen Toaster mehr haben, nie wieder. Aber Tommi…
Ich muss mich beeilen, sonst bekommt er was mit. Und dann müssen wir hier weg. Neue Stadt. Neuer Job. Neues Leben. Wie damals bei Ernesto. Jetzt geht es nur noch darum, ob mit oder ohne Adalbert.
Ohne. Natürlich ohne. Ich habe es ja immer gewusst. Seit dem Moment, in dem ich die Briefe entdeckt habe. Da habe ich gewusst, Adalbert ist der Kontaktmann, der Verräter. Aber wenn er mich wirklich töten wollen würde, hätte er es dann nicht schon längst getan?
Das Kabel.
Ich muss mich konzentrieren. Wir müssen hier weg, bevor sie kommen. Ernestos Vater und die ganzen anderen Männer. Sie würden mir Tommi nehmen. Und weil niemand mir Tommi nehmen darf, muss ich es wieder tun.
Der Toaster, das Kabel.
Und Adalbert schaut immer noch ins Leere. Die Medikamente scheinen zu wirken. Eigentlich zu lange für meinen Geschmack, aber wenn ich so darüber nachdenke, kommt es mir ja eigentlich recht gelegen. Irgendwann muss ich es ja tun…
„Mutti?“, ruft Tommi. „Ich muss doch zur Schule.“
„Warte Tommi, ich komme gleich.“
Ich schlucke wieder. Ich muss es jetzt tun. Ich habe es doch schon einmal geschafft. Aber da war ich auch wütend. So unfassbar wütend. Ernesto und die fremde Frau und dann schrien wir uns an, der Toaster und das Kabel. Der Toaster und das Kabel. Das Kabel.
IV.
die verschwommenen
gedanken
beginnen sich zu drehen
und sie werden
schneller
und schneller
und schmerz
dann bin ich wieder da
claudia
und tommi
und ernesto
und
claudia
stimmen
und schmerz
schmerz
toasterkabel
schmerz
verschwommenegedanken
schmerz
toasterkabelverschwommenergedankenschmerz
verschwommenergedankenschmerz
schmerz
und nur noch
schmerz
meine stimme
schmerz
ganz verloren
schmerz
meine gedanken
schmerz
ganz verloren
schmerz
schmerz
und dann
verschwommenewelt
verschwommenegedanken
verschwommenerschmerz
weggeschwommen
V.
„Wo ist Adalbert?“, frage ich Mutti, als wir endlich im Wagen sitzen.
„Im Ausland, Schatz, das weißt du doch.“
Ich lächele. Ich bin stolz auf Mutti. Sie hat es jetzt ja auch endlich gelernt, was das mit dem Ausland bedeutet.
„Wo fahren wir hin?“, frage ich und dann merke ich aber gleich, dass das ja eine dumme Frage ist.
In die Schule natürlich! Mutti ist bestimmt sauer, dass ich wieder so dumme Fragen stelle.
Aber Mutti lächelt nur. „Wir fahren ins Ausland, Tommi.“
V 2