von Renate Oberrisser

„So ein schöner Tag wie heuteeee.  Ja so ein schöner Taaag. Ja der dürfte niiiiie vergeeeeehn …“

Hermann radelte leise vor sich hin singend die Straße entlang. Nach dem verhangenen Wochenende war der blaue Himmel mitverantwortlich für seine gute Stimmung.

Fröhlich winkte er den Menschen in vorbeifahrenden Bussen zu. Antwortete hupenden Autos mit einem „ring, ring, ring“ seiner alten Radglocke. Rief den einen und anderen Gruß in offene Fenster aus denen ihm ein ‚Grüß dich Hermes‘ entgegnet wurde. Schnupperte nach dem Duft sich zögerlich öffnender Blütenknospen.

Die sonst so mürrische Frau Müller bedankte sich für die rasche Zustellung ihres Paketes mit einem extra großen Stück Schokoladenkuchen. Und sogar Hubers Hund Fiffi schnappte diesmal nicht nach seinem Hosenbein.

An Tagen wie diesem liebte er seinen Beruf besonders. Für Hermann gab es nichts schöneres als Postbote in seinem kleinen Dorf zu sein.

„Ja, so ein schöner Tag, der dürfte nie vergehen“, dachte er noch, als er sein Fahrrad wie üblich vor dem kleinen Bistro abstellte, um sein wohl verdientes Mittagessen einzunehmen. 

Der Nachmittag war für die Fahrt zu einer ihm bisher unbekannte Adresse vorgesehen.

Irrläufer wurden in der Regel an das zuständige Postamt weitergeleitet. Der in großen roten Buchstaben auf dem Kuvert stehende Hinweis „LEBENSNOTWENDIG“ hatte Hermann jedoch dazu veranlasst, sich mit dem Hauptpostamt in Verbindung zu setzen. Nachdem sich herausstellte, dass die Empfängerin in seiner Reichweite wohnte, war es für ihn eine Verständlichkeit, selbst hinzufahren.

Also trat Hermann nach der Pause, gestärkt und erholt, tatkräftig in die Pedale. Rasch ging es an einem Feld vorbei und an einem Wald. Über eine Brücke und einen Fluss entlang. Immerzu leicht bergauf.

Je weiter er fuhr, desto mehr verzog sich der Himmel. Wind kam auf und erste Regentropfen klopften auf seine Postbotenmütze. Es mutete ihm an wie eine Fahrt in eine andere Welt. Und dann hörte er laute Stimmen.

„Nein, du machst es falsch. Alle machen es so. Darum muss es so richtig sein.“

„Unsinn. Jetzt wird es so gemacht. Das wurde neu festgelegt. Also wird es so gemacht.“

„Guten Tag. Bin ich hier richtig. Sonnleiten. Am Himmelberg?“, erkundigte sich Hermann. „Frau Eva Adam? Ist sie eure Mutter? Wo finde ich sie?“

„Ja. Ja. Irgendwo dort hinten. In diese Richtung.“

„Gib her, lass mich. Du machst es falsch.“

„Nein, dass machen alle so …“

Verwundert fuhr Hermann weiter und vernahm wenig später erneut laute Stimmen.

„Hör auf damit. Das gefällt mir nicht. Ich will das so nicht.“

„Das muss so sein, weil ich das so will.“

„Guten Tag. Bin ich hier richtig. Sonnleiten. Am Himmelberg?“ Erneut fragte Hermann nach Eva Adam. „Ist sie eure Mutter? Wo finde ich sie?“

„Ja. Ja. Irgendwo dort hinten. In diese Richtung.“

„Lass das. Ich will das so nicht. Ich sag es den anderen“

„Verpetze mich nur. Ich mach es trotzdem so wie ich es will.“

Die Straße wurde steiler und obwohl in der Ferne ein Haus zu sehen war, schien es Hermann nicht näher zu kommen. Und wieder und wieder und wieder hörte er laute Stimmen …

„Ich will …“

„Guten Tag. Bin ich hier richtig …“

„Ja. Ja. Irgendwo dort hinten …“

„Nein …“

„Lass dass, …“

„Guten Tag. Bin ich hier richtig …“

„Ja. Ja. Irgendwo dort hinten …“

„Ich sag es den anderen …“

Kopfschüttelnd machte sich Hermann weiter auf die Suche. Selten verdarb ihm etwas oder jemand die Laune. Doch der Wetterumschwung und diese streitenden und unfreundlichen Kinder. Langsam bereute er, diesen Weg auf sich genommen zu haben.

„Guten Tag. Wie schön, dass sie so rasch gekommen sind. Ich bin Eva Adam und warte schon ganz dringend auf einen lebensnotwendigen Brief.“

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