Von Björn D. Neumann

 

Nach einer Ewigkeit hatten sie endlich die Blockhütte erreicht. Steve parkte den Pick-up direkt vor dem Eingang. Er und seine Freundin Emma, sowie ihr befreundetes Pärchen Olivia und Danny wollten eine College-Auszeit in den Bergen verbringen. Mit viel Alkohol und Überzeugungskraft hatten die Jungs geplant, endlich den nächsten Schritt in der Beziehung zu ihren Freundinnen gehen zu können. Die Sonne verschwand inzwischen langsam hinter den Baumwipfeln.

»Ich schlage vor, ich lade mit Steve das Gepäck aus und die Mädels inspizieren schon einmal unser Domizil.«

»Meine Reisetasche kann ich schon allein tragen, Schatzi«, protestierte Emma und gab ihm einen Knuff in die Rippen.

»Wir sind schon große Mädchen!«, pflichtete ihr Olivia bei und schnappte sich eine Tasche.

Das Innere der Blockhütte entsprach jedem Klischee, das man von solch einem Gebäude mitten im Wald hatte. Neben einem großen Kamin, fehlten weder das Hirschgeweih noch eine Schrotflinte an der Wand.

»Ist ja gruselig«, schauderte es Olivia und ließ sich auf die einladende Couch fallen. »Ich wäre ja viel lieber zum Springbreak nach Florida.« Sie seufzte und verzog den Mund. »Was ist da eigentlich unter dem Bettlaken?« In einer Ecke des Raumes stand ein mannshohes Möbelstück, das von einem weißen Laken verhüllt war.

»Sehen wir doch mal nach!« Danny enthüllte einen Standspiegel mit einem langgezogenen »Tadaa!«. Der Rahmen war aus dunklem Eichenholz, in den Fratzen und dämonengleiche Figuren geschnitzt waren.

»Der ist ja scheußlich«, quietschte Emma. »Wer stellt sich denn so etwas ins Wohnzimmer?«

»Passt doch zum Rest der Einrichtung«, lachte Danny und schlug seinem Freund Steve auf die Schulter. »Da hast du uns ja eine schnuckelige Behausung ausgesucht. Finden wir hier auch noch das Necronomicon?«

Steve runzelte die Stirn. »Du liest zu viele Horrorgeschichten. Aber wenn euch das alles hier nicht passt, könnt ihr euch ja demnächst um alles kümmern. Seid doch froh, dass mein verschrobener Onkel uns die Hütte kostenfrei überlässt.« Steves Onkel Jeremiah war der reiche Sonderling der Familie. Niemand wusste, wie er an sein Vermögen gekommen war. Lediglich, dass es irgendetwas mit seltenen Antiquitäten zu tun hatte.

»Ach komm, Steve. Ist doch nur Spaß.« Emma strich ihm beschwichtigend über den Arm und warf Danny und Olivia einen bösen Blick zu. »Die beiden meinen es nicht so. Oder?« Emma liebte den Quaterback der Football-Mannschaft. Auch wenn er und seine Freunde vielleicht eine Spur oberflächlich waren. Einzig das Thema Sex war ein ständiger Streitpunkt zwischen ihnen. Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie letzten Sommer Opfer einer Vergewaltigung wurde. Was er als Zurückweisung empfand, war ihr Schutzmechanismus gegen ein Zuviel an Nähe und Intimität.

»Alter, stell dich nicht so an. Trink erstmal was.« Danny warf Steve eine Bierdose aus der Kühlbox entgegen, die dieser mühelos mit einer Hand fing.

»Wir sollten jetzt Essen machen«, schlug Olivia vor. »Alle Mann ab in die Küche! Auch die Herren der Schöpfung!«

»Ich komme gleich nach«, sagte Emma und hob das Laken auf, um den hässlichen Spiegel wieder zu verhüllen. Auf dem Weg hinaus in die Küche drehte sie sich noch einmal um. Es war ihr, als hätte sie ihren Namen aus Richtung des Spiegels gehört.

***

Danny rieb sich den Bauch. »Was für ein gar köstliches Mahl.«

Die beiden jungen Frauen sahen sich entgeistert an. »Baked Beans mit Toast und Spiegeleiern. Du bist ja leicht zufrieden zu stellen«, witzelte Olivia.

»Du glaubst gar nicht, wie einfach man mich zufriedenstellen kann.« Danny trat hinter sie und knabberte an ihrem Ohrläppchen.

»Lass das, du Wüstling«, kicherte sie gespielt. »Diese Art Befriedigung habe ich nicht gemeint.«

»Apropos. Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?« Steve hob grinsend eine Flasche Scotch hoch. »Wie wäre es mit Flaschendrehen?«

»Wie alt bist du, Steve?« Emma zog eine Augenbraue hoch.

»Alt genug für Scotch und andere Dinge.«

»Soso. Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Doch, das weißt du ganz genau.« Steve drückte Emma einen Kuss auf.

»Meinetwegen. Aber lass deine Finger bei dir.«, seufzte sie.

***

Olivia kippte den Shot in einem Zug hinunter.

»Eigentlich schade«, bemerkte Danny. »Ich hätte lieber erfahren, ob du schon mal was mit einer Mitstudentin gehabt hast.« Vielsagend zwinkerte er Steve zu.

»Mein Gott, geht es auch weniger kindisch.« Emma war genervt. »Lasst uns jetzt was anderes machen.«

»Was schlägst du vor?«, fragte Danny neugierig.

Olivia meldete sich zu Wort.  »Glaubt ihr an Geister?«

»Was soll die Frage jetzt?« Jetzt war Steve genervt. »Das ist nicht kindisch?«

Sie ignorierte den Einwand. »Kennt ihr die Legende von ‘Bloody Mary’?«

»Was soll das sein?« fragte Emma skeptisch.

»Eine Mutprobe. Man muss sich mit einer Kerze vor einen Spiegel setzen und dreimal ‘Bloody Mary’ sagen. Dann erscheint sie.«

»Damit spielt man nicht!« Steve klang aufgebracht und stand auf.

»Sei kein Spielverderber, Steve«, versuchte Olivia ihn umzustimmen.

Mittlerweile war draußen ein Gewitter aufgezogen. Blitze zuckten am Himmel und Donner grollte über den Wald.

»Lass die beiden Spaßbremsen, wir gehen jetzt nach oben. Gute Nacht, ihr zwei.« Danny nahm Olivia in den Arm und ging mit ihr Richtung Treppe zum oberen Geschoss, in dem sich die Schlafzimmer befanden. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich noch einmal kurz um und zwinkerte Steve verschwörerisch zu.

 »So, jetzt sitzen wir zwei Hübschen hier. Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«, fragte Steve mit einem Tonfall in der Stimme, der keinen Zweifel an seinen Hintergedanken ließ.

»Hm, vielleicht habe ich da eine Idee.« Sanft küsste sie Steve, der ihren Kuss leidenschaftlich erwiderte. Dabei drückte er sie in die Kissen des Sofas. Eine Hand schob sich langsam die Innenseite ihrer Schenkel hoch. Die andere suchte den Weg unter ihren Sweater.

»Langsam, Cowboy!« Emma entzog sich der Umklammerung.

»Stell dich jetzt bitte nicht an«, keuchte Steve und versuchte, die vorherige Ausgangsposition einzunehmen.

»Spinnst Du?« Emma stieß ihn von sich weg. »Ich bin noch nicht so weit. Und vor allem nicht hier.«

»Wofür bist du dann mitgekommen?«

»Damit wir uns besser kennenlernen?« Emma stieß hörbar Luft aus.

Aus dem oberen Schlafzimmer war inzwischen deutlich lustvolles Stöhnen zu hören. »Wenigstens haben die ihren Spaß. Ich gehe ins Bett. Du kannst ja nachkommen, wenn du wieder normal bist.«

»Darauf kannst du lange warten«, rief Emma ihm hinterher und mehr zu sich selbst: »Was für ein Idiot!«

 

Hatte sie überreagiert? Seit den Vorkommnissen letzten Sommer, konnte sie körperliche Nähe nur schwer ertragen. Aber sagen konnte sie es Steve auch nicht. Sie war sich sicher, dass er ganz schnell eine Neue an jeder Hand hätte. Wen könnte sie um Rat bitten? Durch ein Geräusch wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Im Haus war es stockdunkel. Das Gewitter hatte sich verzogen und der Mond erhellte leicht das Zimmer und schien direkt auf den verhüllten Spiegel. War da nicht wieder ein Flüstern aus dessen Richtung zu hören? ‘Emma, sieh mich an’ glaubte sie vom Spiegel her zu hören. ‘Emma, ich kann dir helfen’ Wie in Trance ging sie auf den Spiegel zu und zog das Laken weg. Was sagte Olivia? Eine Kerze anzünden und dreimal den Namen ‘Bloody Mary’ rufen? Sie sah zum Kamin, holte dort vom Sims eine Kerze und Streichhölzer. Damit setzte sie sich vor den Spiegel und entzündete die Kerze.

»Bloody Mary! Bloody Mary! Bloody Mary!«, dreimal beschwor sie diesen Namen und aus der Ferne grollte erneut ein Donnern.

***

Steve öffnete die Augen. Er lag ausgestreckt auf dem Bett. Im Dunkeln erkannte er schemenhaft eine Gestalt. Als der Blitz eines neu herangerückten Gewitters das Zimmer erhellte, erstarrte er. Mit einem irren Grinsen blickte sie ihm entgegen. In der Hand hielt sie einen schweren Vorschlaghammer. »Du willst ficken?«, fragte eine nichtmenschliche Stimme. »Fick dich selbst!« Mit dem schleifenden Geräusch des Hammers, der über den Boden gezogen wurde, kam sie unaufhaltsam näher. Der erste Schlag traf ihn mit voller Wucht zwischen den Beinen. Als er wimmernd um Gnade bettelte, zertrümmerte der zweite seinen Schädel.

***

Olivia bewegte sich rhythmisch, sitzend auf Danny. Der bemerkte den ungewollten Besuch als Erster und stieß Olivia von sich herunter. Als sie gerade anfing, sich lautstark zu beschweren, folgte sie Dannys entsetztem Blick. Sie schrie und floh panikartig aus dem Zimmer, während die Gestalt Danny mit ihrem Blick fixierte. Olivia rannte die Treppe hinunter, als sie gellende Schreie aus dem Schlafzimmer hörte. “Das Gewehr! Im Wohnzimmer!”, ging ihr durch den Kopf. Als ihr Blick nach der Schrotflinte über dem Kamin suchte, fand sie nur die leere Halterung.

»Suchst du die hier, Schlampe?«

Langsam drehte sie sich um und sah in die Läufe der Flinte. Das Letzte war ein Blitz.

***

Emma erwachte wie aus einer Betäubung. Sie musste erst einmal ihre Gedanken sortieren. Wie verkatert sah sie sich um. Alles war dunkel. Es musste noch Nacht sein. Schlaftrunken tappte sie durch das Zimmer, rutschte auf einer klebrigen Flüssigkeit aus und schaltete das Licht ein. Ein erstickter Schrei brach aus ihrer Kehle hervor. Auf dem Boden lag Olivia in einer Blutlache. Nackt. Sie rannte nach oben, suchte Steve und Danny. Sie fand beide mit zertrümmerten Gliedmaßen in ihren Zimmern. Geistesgegenwärtig durchsuchte sie Steves Hose, die über einem Stuhl hing, nach den Autoschlüsseln. Sie hörte ein Keuchen. Blickte sich um, aber sah nichts. Sie stürmte hinaus zum Auto. Eine Gestalt stand in der Haustür. Sie drehte den Schlüssel. Stottern. Das Wesen kam näher. Versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Noch näher. Beim dritten Versuch endlich Erfolg. Kieselsteine stoben auf, als sie rückwärts zurücksetzte und wendete. Dann gab sie Vollgas und jagte den Waldweg entlang. Nach einigen hundert Metern kam Emma langsam zur Ruhe. Erst jetzt bemerkte sie ihre blutverschmierten Hände. Ängstlich schaute sie in den Rückspiegel. Sie riss die Augen auf. Was sie sah, ließ ihr Blut in den Adern gefrieren.

 

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