Von Siegfried Reitzig

Es war aus, bis vor wenigen Momenten hatte ich Helga noch geliebt – nun war diese Liebe zerbrochen.

Das Öffnen einer Streichholzschachtel hatte auch meine Augen geöffnet und blitzartig waren die Ereignisse der vergangenen Wochen nicht mehr dieselben.
Was geschehen war, sah nun völlig anders aus und mein Gedächtnis war bereits umgeschrieben.

Wie nur hatte ich mich so irren können?

Das erste Jahr mit Helga war wundervoll gewesen und ich war sicher, mit ihr meine erste wirklich große Liebe gefunden zu haben.
Zwar wohnten wir nicht zusammen aber pendelten regelmäßig zwischen unseren Studienorten Berlin und Hannover hin und her, um Zeit miteinander zu verbringen.
Jedes Wiedersehen war phantastisch schön und wir gehörten zu den Paaren, die keine Langeweile kennen und sich auch einmal selbst genügten. Wir schliefen gemeinsam auf Helgas Matratzenlager in ihrer kleinen 1-Zimmer-Dachwohnung. Am liebsten verbrachten wir unsere Nächte nackt und manchmal trug ich eines ihrer Nachthemden – Helga und ich fanden das sehr erotisch.
Unser Sexleben war lustvoll und wild, voller Zärtlichkeit und Liebe und ohne Hemmungen und Tabus.
Das Vertrauen ineinander war nach und nach ebenso groß geworden, wie unsere Liebe zueinander und die Probleme aus der Anfangszeit der Beziehung hatten immer weiter an Bedeutung verloren, bis sie nahezu verschwunden waren.

Helga hatte mir geholfen, meine Orgasmus-Probleme zu überwinden, nachdem ich gestanden hatte, zuvor mit keiner Frau Sex gehabt zu haben. Ich hatte mit und von ihr gelernt, mich ganz fallenzulassen und meine Verkrampfung zu lösen.

Wir konnten nach der ersten Zurückhaltung unsere Scheu überwinden und es zulassen, dass Helga ihre Perücke ablegte, die sie im Alltag und in der Öffentlichkeit immer trug, denn eine unerklärliche Erkrankung hatte kein einziges Haar an ihrem Körper zurückgelassen.

Helga und ich waren uns unendlich nah, obwohl wir wussten, dass jeder noch ein Stückchen eigenes Leben führte in den Zeiten, zu denen wir nicht zusammen waren.

Ich wusste von dem Ex-Freund Volker aus ihrem Heimatdorf, mit dem sie zuvor eine langjährige Beziehung geführt hatte und kannte ihn flüchtig. Als Volker mit Helgas Bruder die Grüne Woche in Berlin besuchte, begegneten wir uns und Volker versuchte ein Gespräch.
Er erklärte mir, dass er es gut fände, wenn ich ihm wegen seiner Freundschaft mit Helga nicht böse sei.
Ich wunderte mich zwar, wieso er denn böse sein könnte weil sich ja Helga für mich entschieden hatte und gab mich Volker gegenüber großzügig – ich hatte mich nicht genug gewundert.

Ein paar Tage darauf bekamen Helga und ich in den Abendstunden unerwarteten Besuch.

Ich war sehr überrascht, als Helgas Exfreund Volker in Begleitung ihres Bruders in der Tür standen – Helga selbst aber wirkte sehr bestürzt und geradezu fassungslos!
Die beiden Männer gaben vor, doch einmal Helgas Wohnung besichtigen zu wollen, hatten aber keine Zeit für ein Getränk oder einen Smalltalk mitgebracht.
Schon nach wenigen Momenten murmelte Volker, dass er es nicht mehr aushalte oder ähnliches und die beiden verschwanden ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren.

Das Gespräch, um dieses abendliche Ereignis einordnen zu können, wäre zwar nötig gewesen, fand aber nicht statt. Helga schlug vor, sich einen schönen Abend zu machen und ich hatte so etwas wie Mitleid mit Volker, der möglicherweise ein Problem damit hatte, dass seine ehemalige Freundin nun eine neue Partnerschaft eingegangen war.

In den Semesterferien fuhr ich allein in den Sommerurlaub nach Jugoslawien, weil Helga auf dem elterlichen Hof als Erntehelferin gebraucht wurde und mir die schwere Landarbeit nicht zumuten wollte.
Der heutige Abend nun beendete die mehrwöchige Pause im Zusammensein von uns Verliebten und wir wollten das gebührend begehen.
Der Tisch wurde gedeckt und der Wein entkorkt – es duftete verführerisch, im Hintergrund spielte romantische Musik.
Um die zur Abrundung des festlich gedeckten Tisches aufgestellten Kerzen zu entzünden, griff ich nach einer offenbar bereitgelegten Streichholzschachtel.
Ich schob die Lade auf und hatte bereits ein Zündholz in der Hand, als mein Blick auf die Stirnseite der Lade fiel, auf die jemand in roter Farbe den Namen „Helga“ geschrieben hatte.
Das Schließen der Lade gab mir die Gelegenheit, vor dem Anreißen des Streichholzes noch zu schauen, was auf der anderen Stirnseite stand:
Ergänzt durch ein rotes Herz war dort „Volker“ zu lesen.

Diese Schachtel „Welthölzer“ brachte sofort meine kleine heile Welt zum Einsturz und entzündete das Feuer der Zweifel und der Eifersucht in mir!

Ich ließ es nicht mehr zu, dass Helga meinen unbequemen Fragen ausweichen konnte und wir führten endlich das Gespräch, zu dem es in der Vergangenheit bereits mehrfach Anlass gegeben hatte.
Wir beendeten traurig und mit Felsenherzen unsere Beziehung, die von Anfang an ein Dreiecksverhältnis war – ich hatte es nur nicht gesehen und wollte nun kein Teil mehr davon sein.

Die Kerzen blieben aus, das Essen wurde kalt und die romantische Musik war jetzt völlig unpassend!

 

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