Von Marion Manderla

Sie befanden sich auf dem Anflug von Kabul. Durch die Flugzeugluken blickte der Sonnenaufgang sehr bizarr. Fast stechend. Fast nicht erträglich. Der Glanz der immer heller werdenden Sonnenstrahlen erzeugte eine Wärme im Herzen. Wie eine Wiedergeburt.

Katarina und Andreas waren auf dem Weg, auf dem Landeanflug eines Kriegsgebietes.

Ihr einziger Son Quirin hatte in Anbetracht der so schnell entscheidenden, politischen Situation in Kabul seinen Einsatz mit dem Leben als Zeitsoldat gefordert.

Im Juni dieses Jahres wäre sein militärischer Zeitvertrag ausgelaufen.

In nur wenigen Monaten, Wochen, Tagen, Stunden, Sekunden, wäre ein so junges Leben, mit einem Schritt in ein neues, einfach anderes, vielleicht erfüllteres Leben, gegangen.

Vom Abflug in Frankfurt bis zur Ankunft in Kabul sprachen Katarina und Andreas nicht ein einziges Wort.

Sie hatten die Meditationsmusik von der geschenkten CD im Kopf, die Quirin ihnen zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Ein letztes Weihnachten! Ein letztes Mal Familie. Ein letztes Mal ein Sohn!

Im Herzen. Im Gepäck. Als Erinnerung an Worte von Quirin, die stets wie ein Echo in den Köpfen der beiden hallte: „Hey Mama, hey Andreas, fahrt euch mal ein bisschen entspannt runter. Die Jüngsten seit ihr nicht mehr.“ Sie spürten seine sportlichen Arme um sich wie Versöhnung. Sein letztes Lachen. Ein gemeinsames Lachen vor dem Christbaum, den alle zusammen so liebevoll für das Fest geschmückt hatten.

Am Flughafen forderte eine „Armada“ des Heeres einen Ehrengeleitzug zur letzten „Auferstehung.“

Der Atem stockte den Beiden zum Erstarren in der Kehle. Mit welch einer selbstverständlichen und aalglatten Zeremonie ein junges, erloschenes Leben zum Dank des Vaterlandes, der „Ehre“, zum Geleit in die Heimat, abgeholt würde.

In dem Camp der Soldaten befand sich zwischen Hitze, Staub und unmenschlicher, gänzlich kalten Abgeschiedenheit…… ja abgestumpftem Leben, eine Art „Waschsalon“ der gefallenen Soldaten.

Ein großer, weißer Schleier, der als Barriere oder Türe dienen sollte, wehte im leisen Wind.

Katarina vermochte ein letztes Mal ihren geliebten Jungen sehen. Es war der Ruf der Herzen!

Zwischen Andreas und einem Offizier kam es beinahe zu einem Gerangel. Andreas geriet in eine für  ihn sehr hilflose Situation in provokante und haltlose, ja humane, kaum raumgreifende Instabilität.

Kein Raum des nicht verstehen können, um sich selbst zur Besänftigung zu zwingen.

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Aalglatt verhalten, sich nicht identifiziert. Sich selbst nicht authentisch fühlen! Das war in dem Moment ein Zauber, lächerliche Problematiken auszuschalten. Sein und nicht sein. S i c h, Mensch bewusst sein. Hilflos. Im Kind suchend. Kind sein. Das eigene Kind in sich zu spüren und zu umbanden. Achtsamkeit hüten!

Andreas stieß aus Versehen an einen mit Wasser gefüllten Zinkeimer, den er augenblicklich in diesen „Raum der Aufbahrung zur Totenwaschung und –salbung“ schleuderte, ohne darauf abzuzielen, ob er eine Krankenschwester oder einen Sani treffen oder gar verletzen könnte. Gerade so, als wollte er sich selbst seiner Gefühle und eigener Schuld rein waschen. Etwas weg spülen zu wollen.

Kalt, unbarmherzig, selbstverständlich, aalglatt. „Berufssache halt.“

Andreas gab keine Ruhe, denn draußen lungerten bärtige, verschleierte Männer mit einem ihm so der Welt fremden Gesang.

Andreas zog ein Foto seines ermordeten Sohnes aus der Brieftasche. Hielt es in die Menge und schrie vor Erschöpfung und unter Tränen: „Wer von Euch „Barbaren“ hat uns d a s angetan?“

Der Offizier schleuderte Andreas zu Boden. „Nach Schuld, Sühne und Vergeltung suchen, ist der verkehrte Zeitpunkt.“ Erwiderte der Offizier und während dessen Andreas, der an seinen Tränen fast ersticken zu drohte, sich im Sand festkrallte.

Katarina wurde ein letztes Antlitz ihres Sohnes verweigert. Eine Krankenschwester namens Mahin drückte ihr das Bündel, Quirins privater Dinge, in den Arm und Mahin sagte in dem ihr gebrochenem Deutsch: „ Du darfst Sohn so nicht mehr sehen. Starb durch vieles Messerspitze. Erblickst du dein Sohn. Es bringen dir groooossses Unheil. Messer findet dich!“

Katarina vermochte der „Zauberworte“ einer ihr schier „Glaskugelseherin“ nicht.

Die Hand des diensthabenden Offiziers berührte ihren Arm. Und er sprach:

„Lassen sie es für sich und ihre Familie gut sein. Bringen sie ihren Jungen, den Herrn Oberstabsgefreiten Quirin von Arnsfelder „in Ehren entlassen nach Hause“. W I R  sind weiterhin für sie da. Des Trauma genug. Schaden sie sich nicht selbst! Bitte, reisen sie ab in die Heimat, um einem standesgemäßen Begräbnis beizuwohnen!“

ENDE – Teil 1