Von Manuel Fiametta
Alles begann mit diesem Inserat:
Suche Mitarbeiter in der Forschung. Keine Vorerfahrung nötig. Sehr gute Bezahlung.
Maik war Student und sein Studium musste er sich selbst finanzieren. Dazu kam sein angehäufter Schuldenberg, den er mit Pizza ausfahren oder Kellnern nicht tilgen konnte.
Also tippte er die Nummer aus dem Inserat in sein Handy.
Jetzt, in dem dunklen und miefigen Gang mit diesem komischen Typen, hätte Maik sich gewünscht, die Nummer niemals gewählt zu haben.
Herr Greven, der Leiter des Forschungsprojektes, hielt einen riesigen Schlüsselbund in der Hand, welcher von einer der wenigen noch funktionierenden Neonröhren angestrahlt wurde.
„Da ist das gute Stück“, murmelte er und schloss eine dicke Stahltür auf.
Maik blickte in einen weiteren, schier endlosen Gang. Auch dieser war sehr dürftig beleuchtet. Die meisten Lichter hatten ihre Arbeit schon eingestellt, andere überlegten es sich noch und flackerten ab und zu auf.
Während Maik mit Entsetzen feststellte, dass die roten Spritzer an der Wand Blut waren, erschauerte er nur wenige Meter weiter. Ein blutiger Handabdruck war dort zu sehen, Haarbüschel und ein paar Schneidezähne lagen auf dem Boden.
Greven ging an all dem vorbei, als wäre es das Normalste auf der Welt. Maik hingegen musste aufpassen, sich nicht vor Panik in die Hose zu machen.
„So, Herr Faber, Sie haben den Gang überlebt.“ Grevens Grinsen beruhigte Maik keineswegs. Im Gegenteil. Seine Fratze machte ihm noch mehr Angst.
Sie standen vor einer weiteren Stahltür, die mit vier Vorhängeschlössern gesichert war. Für jedes brauchte man einen anderen Schlüssel.
Als auch das letzte geöffnet war, gelangten sie in ein kleines Büro. Hier standen Spinde, dazu gab es eine Dusche mit Toilette und eine kleine Sitzecke. Auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangstür befand sich eine weitere Tür mit wiederum vier verschiedenen Vorhängeschlössern.
„Dort drüben hängen Ganzkörperoveralls und in dem Regal obendrüber liegen Handschuhe und, wenn Sie brauchen, ein Mundschutz.“
Maik war das alles nicht geheuer, doch er traute sich nicht, näher nachzufragen. Wo er war, wusste er nicht, hatte er sich doch mit Greven am Bahnhof getroffen und musste seine Augen verbinden lassen.
„Die Forschung ist streng geheim!!“, hatte Greven gemeint.
„Ich bin fertig“, flüsterte Maik, nachdem er sich einkleidete.
„Sehr schön. Dann können wir ja jetzt rein gehen.“
Greven rieb sich die Hände.
„Wenn Sie eine empfindliche Nase haben, sollten Sie sie zunächst zuhalten. Ich war drei Tage nicht mehr hier und es könnte ein wenig stinken… Ach, und erschrecken Sie sich nicht, falls es laut werden sollte. Da drinnen herrschte in den letzten Tagen absolute Dunkelheit und wir werden gleich die Flutlichtanlage einschalten.“
Greven sagte dies mit funkelnden Augen und einem verschmitzten Lachen.
Die Tür öffnete sich und ein bestialischer Gestank kam Maik entgegen. Er musste würgen.
„Schwacher Magen, was?“, konstatierte Greven.
„Was stinkt da so?“ Maik bekam keine Antwort.
Sie standen in einer Schleuse. Vor ihnen erstreckte sich eine meterlange Plexiglas-Schiebetür, durch die man aber zunächst nichts sah.
Greven saß vor einer Apparatur mit vielen Knöpfen und Hebeln. Einen der Hebel drückte er nach unten.
Der Raum hinter dem Plexiglas erstrahlte derart, dass es selbst Maik in den Augen schmerzte und er wegschauen musste.
Was er aber wahrnahm, waren unfassbare, ins Mark gehende Schreie. Er sah noch nicht, wer oder was diese Laute verursachte.
Immer wieder testete Maik, ob sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Irgendwann war es dann soweit und er erkannte, was sich dort in Käfigen aufhielt: Menschen.
Nackt und schmutzig. Es waren einige, genaugenommen siebzehn, und jeder hatte eine Nummer an Bauch und Rücken eingebrannt. Die Nummern dienten der besseren Unterscheidung der Menschen und das Einbrennen der Qual.
„Sind Sie wahnsinnig?“, schrie Maik Greven an.
„Ich? Nein, ich denke nicht. Sie wissen noch nichts.“
„Ich brauche auch nichts mehr wissen. Ich sehe, was hier abgeht.“
Maiks Angst verwandelte sich in Entsetzen und Wut.
„Freundchen“, sagte Greven und stellte klar, wer hier der Boss war, „Sie tanzen jetzt erst mal nach meiner Pfeife. Die Käfige müssen gesäubert werden. Ich sperre die Horde in den linken Käfig und sie machen den anderen sauber. Klaro?!“
Maik nickte, wusste er doch, dass er hier erstmal nicht rauskam.
„Gehen Sie nicht zu nah an die Stäbe. Die greifen raus und schnappen Sie.“
Seine Nase hatte sich mittlerweile mit dem Geruch arrangiert. Er schrubbte den Boden, während ihn die Menschen anstarrten.
Nachdem Maik damit fertig war, sperrte Greven die Horde in den sauberen Käfig und setzte die Gitterstäbe wieder unter Strom.
„Jetzt den anderen“, befahl er Maik.
Als er auch den geschafft hatte, musste er noch den Gang zwischen den Käfigen reinigen. So kam er den Menschen immer näher, bis er wenige Meter vor ihnen stehen blieb. Er sah, wie sie aus ihren Näpfen fraßen. Ein Sprung von Nr. 10 an das Gitter schreckte ihn auf.
Durch fettige Haarsträhnen, sahen ihn leuchtend blaue Augen an. Die Frau legte ihre Hand an das engmaschige Gitter des Schiebers, das nicht unter Strom stand. Maik war unsicher, doch diese Frau zog ihn magisch an. Er kam dem Gitter immer näher und streckte seine Hand aus. Durch das Eisen berührten sich ihre Handinnenflächen. Ihre fühlte sich sehr rau an, aber auch angenehm warm.
Sekunden der Stille vergingen, bis Nr. 5 die Kontaktaufnahme bemerkte und wutentbrannt angerannt kam. Mit einem lauten Schrei und einem Biss in den Arm von Nr. 10 beendete er den Moment.
Mit großen Schritten und einem Elektroschocker kam Greven in den Raum. „Was ist denn hier los?“, wollte er wissen.
„N-N-Nichts“, stotterte Maik und schrubbte weiter.
„Dann ist ja gut. Wenn Sie fertig sind, kommen Sie zu mir. Ich bin im Büro.“
Bevor Maik den Raum verließ, suchten seine Augen nochmal Nr.10.
Greven erklärte ihm die ganze Anlage. Mit dieser könne man so ziemlich alles machen: es regnen lassen, Wärme, Kälte und Sturm erzeugen. Kleidung gab es keine und die Nummern auf den Körpern mussten in regelmäßigen Abständen neu eingebrannt werden. Essen gab es auch nicht täglich.
„Finden Sie das nicht pervers?“
„Sie denken, ich bin der Perverse?“
„Um ehrlich zu sein: Ja.“
„Die Menschen sehen immer nur das Offensichtliche, fragen aber nicht nach den Hintergründen. Ich tue nur Gutes.“
„Was sind die Hintergründe? Sagen Sie es mir doch.“
„Noch nicht, Junge. Noch nicht. Aber ich fange an, dich zu mögen. Ich darf doch du sagen? Du hast heute gut gearbeitet. Komm, wir machen Feierabend.“
Maik wollte unbedingt wiederkommen, wollte wissen, weshalb die Menschen eingesperrt waren. Dann war da noch Nr. 10. Also schwieg er über das, was er gesehen hatte. Tage. Wochen.
Der Ablauf war immer gleich: Greven holte Maik am Bahnhof ab und verband ihm die Augen. Nach Feierabend setzte er ihn dort wieder ab. Der Verdienst diente auch als Schweigegeld. So viel Geld hatte Maik noch nie in den Händen gehalten.
Er und Nr. 10 kamen sich näher. Ihre Blicke trafen und ihre Hände berührten sich. Mehr nicht und doch war es für Maik stets etwas Besonderes.
An einem Montagmorgen war es dann soweit. Greven fuhr mit Maik nicht in den Bunker, sondern in sein Haus.
„Nehmen Sie Platz.“
Maik saß an einem dieser ganz teuren Schreibtische.
„Herr Faber, Sie haben in den letzten Wochen hervorragende Arbeit geleistet. Ich mag Sie und vertraue Ihnen, deshalb ist heute der Tag, an dem Sie erfahren, was es mit den Menschen in den Käfigen auf sich hat.“
Maik schluckte und es schien, als ob die Spucke ihm im Halse stecken blieb.
„Schauen Sie sich diese Akte an.“
Greven reichte Maik eine Akte, auf der groß NUMMER 8 stand. Maik öffnete sie und sah das Foto eines gepflegten Mannes mit Anzug und Krawatte. Auf der nächsten Seite befand sich eine DVD in einer Klarsichtfolie.
„Legen Sie sie ruhig ein.“
Maik erstarrte, als er auf den Bildschirm blickte. Was der Mann sagte, ließ ihn verstört zurück.
„Glauben Sie immer noch, ich wäre der Böse“, wollte Greven wissen.
„Die sind freiwillig hier? Alle?“ Maik konnte es nicht fassen.
„Alle.“
„Darf ich die Akte von Nr. 10 haben?“
Greven gab sie ihm.
Maik sah eine wunderschöne Frau und wollte nicht glauben, was aus ihr geworden war.
„Das gibt es doch nicht. Ich kann das alles nicht begreifen. Was ist der Grund?“
„Nun, diese Leute sind reich. Sehr reich. Sie konnten sich alles kaufen. Manche wurden dadurch bekloppt.“
„Das ist mir zu einfach.“
„Ich gehöre auch zum elitären Kreis. Bei einer dieser langweiligen Feiern unter Multimillionären, kam mein Freund Frank auf mich zu. Er erzählte mir von seinem Leben, wie öde alles sei, dass er schon vieles ausprobiert hätte und nun einen neuen Kick brauche. Im weiteren Verlauf des Gesprächs vertraute er mir seine Fantasien an. Mir eilte schon immer der Ruf voraus, das Unmögliche möglich machen zu können. Mein Eifer war gepackt und nach wenigen Monaten war aus der Idee Wirklichkeit geworden. Sie glauben gar nicht, wie verrückt viele Leute sind. Ich musste tatsächlich schon anbauen. Wem eine Domina nicht mehr langt, kommt zu mir.“
„Wie lange bleiben die da drin?“
„Ein Jahr ist das Mindeste. Länger geht immer, kostet halt dann extra.“
„Wo sind sie?“ Maik wollte immer noch nicht wahrhaben, dass die Menschen sich freiwillig einsperren und foltern ließen.
Greven ging mit ihm in den Keller seines Hauses. Dort gab es eine verborgene Tür, die in den Bunker führte.
Maik entriss Greven die Schlüssel und schlug ihn zu Boden. Er rannte durch den Gang, öffnete sämtliche Türen und stand im Forschungsraum.
„Lisa“, rief er.
Nr. 10 drehte sich um und rannte an die Gitterstäbe.
„Ich hole dich hier raus“, schrie er euphorisch und schloss die Tür des Käfigs auf.
„Komm.“ Maik hielt ihr seine Hand hin. Doch Lisa kam nicht.
Er machte einen Schritt in den Käfig. „Lisa, komm bitte.“
„Maik, was machst du da“, brüllte Greven.
In dem Moment kam einer aus der Horde angesprungen und schlug die Tür des Käfigs zu.
„NEIN“, brüllte Greven.
Version 2