Von Ann-Christin Werther
In meinem Schrank war bislang immer alles dunkel und sehr fade gewesen. Es gab nichts außer die Stoffe neben mir, welche glatt, weich, rau, fest, mal elegant und gut verarbeitet waren.
Ich im Gegensatz war schwer, etwas abgewetzt und knirschte leicht beim Bewegen. Ich war darüber sehr unglücklich, denn ich glaubte nicht mehr daran, dass irgendjemand jemals gefallen an mir finden würde.
Die Zeit verging und ich bemerkte wie Kleidungsstück um Kleidungsstück gekauft wurde und es in meinem Schrank immer leerer wurde. Eine Zeit lang war es sehr still und mit der Stille kam die Hoffnungslosigkeit.
Doch eines Tages hörte ich Stimmen. Erst leise und dann immer lauter. Ich horchte auf. Wenn mich nicht alles täuschte vernahm ich eine dunkle Männerstimme.
Er erkundigte sich nach einer Jacke und eine Dame begann zu wühlen. Nebenbei erzählte sie, dass die schönsten Kleidungsstücke schon verkauft wurden und die Lieferungen in diesen Zeiten nur sehr knapp ausfielen.
Es erklang das Rascheln von Stoffen, Türen, die aufgeschlagen wurden und schließlich die Dame, die dem Mann sagte, dass es keine weiteren Klamotten geben würde.
Ich wollte mich schon gerade wieder in meine Ecke verkriechen, bis ich Schritte direkt auf meine Schranktür zukommen hörte. Gespannt hielt ich die Luft an.
Die Türen öffneten sich und eine große Gestalt stand vor mir. Zuerst fielen mir die Augen auf. Sie waren hell blau und sehr sanft. Seine Haare waren braun und auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
„Perfekt“, flüsterte er und strich über das Leder. Er begann zu grinsen, wie als wenn er ein kleines Geheimnis mit mir hätte und ich akzeptierte. Wie eine zweite Haut schmiegten sich die Fasern des Stoffs an seine Haut und umhüllten ihn wie eine Rüstung.
„Ich habe gefunden, was ich suchte!“, rief er der Verkäuferin zu und verließ den Laden.
In der Zeit, in der ich schon zu ihm gehörte, ist viel passiert. Ich war dabei als er eine wunderschöne Frau kennenlernte und wir eine Familie wurden. Er war zu Beginn sehr schüchtern und fast unbeholfen, doch je mehr die Zeit von ihm Stärke verlangte desto sicherer wurde er. Die Zeiten wurden allmählich besser und die Stadt erholte sich on Schweren Zeiten. Die Grenzen wurden geöffnet. Die Familie war für ihn immer sehr wichtig gewesen. So fuhren sie jedes Jahr in den Urlaub. Nachts wurde es so arg kalt, dass alle ihre Jacken anziehen mussten und sich dicht aneinander kuschelten. Gebannt hörten sie im zu wie er über die Sternenbilder sprach. Ich erinnerte mich an alle gemeinsamen Urlaubsfahrten indem ich ihn bei Wind und Wetter warmhielt. Einmal fing er den größten Fisch und konnte sich gar nicht einkriegen vor Stolz. Ein kleines Mädchen sah ihm dabei gebannt zu.
Er war ein gutmütiger, gerechter und vor allem ein glücklicher Mann. Ich merkte, wie sich das Leder manchmal mehr und mal weniger um ihn spannte. Die Zeit zog uns alle mit sich. Die Kinder wurden älter und die Knochen langsam schwerer.
Eine Zeit lang bekam ich sehr wenig von meiner Umwelt mit. Es war ziemlich dunkel und kalt. Ich wusste nicht genau was geschehen war. Vorgefallen war nichts und er war auch nicht verändert gewesen. Das einzige was mir einfiel, war der sterile Raum in dem ich ihn als letztes in einem Bett gesehen hatte. Er sah damals schwach und blass aus. Sehr verändert und nicht mehr so stark und sicher wie ansonsten. Das nächste an das ich mich entsinnen konnte, war das ich weggeschlossen wurde und die Einsamkeit mich empfing.
Es gab wohl für mich keine Verwendung mehr, dachte ich und wurde sehr traurig. Wir zwei hatten doch so viel miteinander durchgemacht, als dass er mich jetzt einfach so vergessen könnte. Doch die Zeit lief weiter und er kam nicht zurück. Irgendwann wusste ich das er nie mehr kommen würde. Er war ohne mich gegangen, wie ein stück Stoff, welches sich Faden um Faden auflöst.
Eines Tages kam es dazu, dass ich hoffnungslos in der Ecke lag, keinen Sinn mehr in meiner Existenz sah und schon daran dachte, mich Naht für Naht auf zu lösen. Ich wollte schon mit dem Prozess beginnen, als ich Schritte hörte.
Es war beinahe wie damals, als die Türen meines Schranks geöffnet wurden und er von mir stand. Licht drang durch den Spalt zwischen den Toren.
Ich hörte ein tiefes atmen und dann wurden die Schranken zur Außenwelt geöffnet. Ein enttäuschtes Gefühl erfasste mich, als ich sah, dass nicht er vor mir stand, sondern das kleine Mädchen, welches nun groß geworden war. Sie berührtet das Leder meine Arme und ich sah eine Träne herunterrollen. Ich wusste warum sie weinte und ich konnte sie verstehen. Ich vermisste ihn genauso.
Langsam nahm sie mich vom Haken und zog mich über ihre Arme. Ich schmiegte mich an sie, wie eine zweite Haut und spulte alle Erinnerungen an eine gemeinsame Zeit ab. Das Angeln, den Urlaub, die Feste. Die guten schönen und auch die unschönen Seiten. Ich zeigte ihr alles damit sie sah, dass er glücklich war. Ich denke das es ihr gefiel und sie sich geborgen fühlte. Es war wohl eine Zeit vergangen, dass sie sich so gefühlt hatte und auch ich spürte wieder einen Sinn in meinem Dasein.
Sie begann zu Lächeln, zog meinen Reißverschluss zu und verließ das Haus.