Von Anne Zeisig

Der Knuffke unter mir mit der Terrassenwohnung fliegt mit seinem Freund nach Ibiza. Abfeten auf ‘White-Rainbow-Partys’ nennt der das.

Für die Oldies unter uns, er nennt alles ab Vierzig ‘Best Ager’.

Es sind nur weiße Klamotten angesagt und von nachts bis morgens gleichgeschlechtlich Saufen, Flirten, Sex. Er ist Friseur und schwul. Erfüllt also das Klischee eines Hairstylers, wie er sich nennt.

 

Ich kümmere mich derweil um die schneeweiße Kätzin Rosa, zweimal täglich Biofutter und Wasser, einmal am Tag das Katzenklo reinigen.

Das Besondere: Die Mieze macht drei Rollen vorwärts, wenn sie frisches Katzenstreu vorfindet. Putzig. Aber artgerecht?

Frischluft hat das Stuben-Tigerchen noch nie an ihren Schnurrhärchen gespürt.

 

Hanne hatte immer gesagt: „An meine Haare lasse ich nur den Knuffke! Du kannst sagen, was du willst, die Homos schneiden am besten!“

 

Ich bin nun hier im Haus das letzte Urgestein.

Die anderen sind im Pflegeheim gelandet, oder auf dem Friedhof. Wie meine Hanne.

Zum Zeitvertreib mache ich dieses Jahr Urlaubs-Nachbarschaftshilfe.

Denn: Ich bin noch rüstig!

 

Und komme so nebenbei auf Schusters Rappen im Viertel herum, wenn ich Freiherr-Von-Doghaus-Zu-Leinen von den Herrhausens aus dem Loft ganz oben Gassi führe, während dieses Neureichenpärchen in Dom-Rep kurt.

Also: Die sind da alljährlich zur Kur, nennen das aber Wellness plus Abchillen mit fünf Sternen und Nordic-Walking am Strand. Sie laufen dort mit Skistöcken im Sand herum. Aber nicht barfuß, sondern mit Wanderschuhen. Abends gibt es dort eine Fuß-Reflexzonen-Massage mit einem Ski-Gong und Low-Carb-Ernährung.

Sowas kann ja jeder machen, wie er will.

 

Wir sind immer nach Schleswig-Holstein gefahren. An die Bucht von Langballig. Hanne und ich mochten das Kitzeln des Sandes unter den Fußsohlen, wie er durch die Zehen rieselte. Und der Wind unsere Unterhaltung in Wortfetzen zerriss und weit wegtrug. Zum Abendessen gab es unser heißgeliebtes ‘Schnüss’, eine Milchsuppe mit Gemüse und reichlich Brot mit Räucherschinken.

Die Zeiten ändern sich.

Man kannte seinerzeit keine Kohlenhydrate und war trotzdem gesund.

 

Bello.

So nenne ich insgeheim den mittelgroßen Rassehund der Herrhausens, der viele schwarze Flecken auf seinem weißen Fell trägt, damit es wenigstens einen gewissen Kontrast gibt zum weißen Mobiliar.

Hundi muss alle drei Stunden an die Luft und bekommt, ebenso wie Rosa, morgens und abends sein Futter, welches Frauchen vorgekocht und eingefroren hat. Das muss ich nur in der Mikrowelle auftauen.

Hundi hat sogar ein eigenes Zimmer mit allem Drum und Dran. Einschließlich Kleiderschrank mit Klamotten, sowie einem Plüsch-Schlafplatz, und sein Stammbaum hängt golden eingerahmt an der Wand.

 

Hanne und ich hatten eine Promenadenmischung aus dem Tierheim. Bella durfte in der Küche auf ihrer Lieblings-Schlafdecke von uns gehen. Ist neunzehn Jahre alt geworden mit Allerwelts-Futter. Kein Bio oder so. Bella, Hanne und ich, wir brauchten keine Herkunfts-Urkunden.

Wir hatten uns. Und am Hundestrand von Langballig konnte sich unsere Hündin austoben!

 

Und dann gibt es da noch meine unmittelbaren Nachbarn gegenüber auf gleicher Etage.

Das ist die Familie Urkansky mit dem hochbegabten Töchterchen Analkya-Sokratia-Lena, die nach der Schule das Klavier malträtiert, weil in ihr eine großartige Pianistin schlummert.

Das meint zumindest ihre Mutter. Eine füllige Frau mit Waldorfschulen-Vergangenheit, was sie mir insgeheim anvertraute. Denn ihr Mann sei Beamter, der dürfe das niemals erfahren!

 

Meine Hanne hätte dazu gesagt: „Waldorfsalat ist doch lecker! Mögen Beamte sowas nicht?“

 

Ich hatte während meiner Schulzeit keinen Kochunterricht. Ich konnte da nicht mitreden.

 

Außer der Tochter haben die Urkanskys einen Papagei.

Und der singt den lieben langen Tag die Tonleiter rauf und runter. Der kann das besser, als die Kleine am Klavier!

Ara-Bella würde dem Töchterlein die Motivation rauben, meint die Mutter, aber man habe das Tier väterlicherseits geerbt wie auch die Wohnung.

Das verpflichte zur Tierliebe.

 

Wasser zum Baden und Saufen braucht Ara-Bella täglich morgens. Frischgezapft vom Kran aus der Küche. Und Körner nur, wenn der Napf leer ist. Dann hängt da noch diese Kreide im Käfig, wo sie mit ihrem Schnabel herumschabt.

Offenbar ihr einziges Vergnügen in der warmen Jahreszeit auf dem Balkon.

Der Piepmatz schaut recht traurig in die Natur und beneidet seine Artgenossen in Freiheit, die in der alten Eiche vor der Loggia herumträllern. Zwar nicht musikalisch korrekt, aber irgendwie schöner.

Die Urkanskys verbringen den jährlichen Urlaub in Luxemburg an der Mosel.

 

„Wird schon seine Richtigkeit haben“, hatte meine Hanne angemerkt, „wenn der Herr Finanzbeamte meint, er müsse während der Ferien reiche Steuersünder jagen, dann soll er das tun. Aber deshalb erhöht unsere Regierung die Rente auch nicht.“

 

Inzwischen ist nicht mehr Luxemburg das Steuerparadies, sondern die Jersey-Inseln, aber das hat sich offenbar noch nicht bis zu dem Herrn Finanzbeamten herumgesprochen.

 

Ich vollziehe die Nachbarschaftshilfe ohne Bezahlung. Habe keine Lust, die eine oder andere Zuwendung in das Formular vom Finanzamt einzutragen und womöglich noch Steuern nachzahlen zu müssen. Trotz Altersfreibetrag.

 

* * *

 

Hole also die Papageienvoliere vom Balkon, schließe nach dem Lüften alle Fenster der Urkansky-Wohnung und entlasse Ara-Bella zum Freiflug in die Kiefer-Natur-Wohnung, damit sie wenigstens einen gewissen Eindruck von Freiheit und Abenteuer erhält.

 

Bei dem White-Homo habe ich der Kätzin Rosa zur Probe eines von Bellos Hundegeschirren umgelegt, damit das arme Vieh auch mal frische Luft schnappen kann. Die Samtpfote hat um sich gekrallt, als ich mit ihr und dem Rassehund der Herrhausens endlich die Wiese im Stadtpark erreiche.

Dabei steht ihr die Leine gut. Ist mit Swarowski-Kristallen besetzt. Aber offensichtlich etwas zu groß für die Kätzin. Ehe ich um mich blicke, hat sie sich befreit und läuft Richtung See.

Das Tier ist scheint überfordert, weil es sonst nur weiße Hochglanz-Lackfronten kennt.

 

Jedenfalls laufen Hundi Freiherr-Von-Irgendwo mit Gebell und ich ihr mit lautem Rufen hinterher, aber die Mieze bleibt verschollen. Ich plumpse atemlos und ausgelaugt auf die Wiese, drehe mich auf den Rücken und strecke stöhnend meine Glieder aus.

Bin ja auch nicht mehr der Jüngste.

 

„Je oller, je doller“, hätte Hanne gesagt und schnippisch geflüstert, „das haste nun davon.“

 

Bello-Von-Der-Leinen, oder so ähnlich, schleckt mir mit seiner nassen Zunge mitfühlend das Gesicht ab.

 

Ich musste für einen kurzen Moment eingenickt sein. Schlage die Augen auf und stelle fest: Der Rassewauwau hat auch Reißaus genommen!

 

Ein Erkundungsrundgang bringt nichts.

Katze und Hund sind unauffindbar.

Gesenkten Hauptes trotte ich heim.

 

* * *

 

Als hätten zwei Pechsträhnen nicht gereicht, muss ich bei den Urkanskys feststellen, dass ich vergessen habe, das Fenster im Bad zu schließen: Der Ara hatte sich seinen Artgenossen in Freiheit angeschlossen. Ich hoffe, dass der Tonleiter-Musikus schnell lernt, wie man sich Nahrung in freier Wildbahn besorgt, weil das Leben außerhalb vom Hotel Mama auch seinen Reiz haben kann.

Sorge macht mir jedoch der Winter.

 

Auch Minka würde schnell kapieren, dass sie Mäuse im Stadtpark zum Fressen gerne haben würde, aber bei dem adligen Hund von den den Herrhausens bin ich mir nicht so sicher, ob der noch Wolf-Gene in sich trägt. Und selbst wenn. Das nächste Schaf ist in dieser Großstadt meilenweit entfernt!

 

„Kopf hoch!“, ruft mir meine Frau gedanklich zu, „du hast immer eine Lösung parat.“

 

* * *

 

Also: Wegen Hannes preisgünstiger Discounter-Bestattung war noch was auf dem Konto übrig, denn ohne sie wollte ich nie mehr nach Langballig fahren!

Und genau diese Summe musste ich nun in das mich gesetzte nachbarschaftliche Vertrauen investieren.

Es zog mich in eine große Zoo-Handlung.

Zwangsläufig.

 

* * *

 

Zuerst hat Friseur Knuffke mit Sonnenbrand bei mir geklingelt und sich bei mir bedankt, weil Rosa-Mieze keine Purzelbäume mehr schlägt, wenn das Streu erneuert wird, sondern artgerecht um die Füße von Herrchen herumschleicht. Zudem sei das Tier vor Gram über des Besitzers Abwesenheit quasi über Nacht ergraut.

(Von meinem Budget hätte ich keine reinrassige Katze kaufen können)

Das schlechte Gewissen des Homos war ihm eine größere Summe an mich wert.

 

Die Herrhausens haben sich zwar gewundert, weil ihr Wauwau von Fellwäsche zu Fellwäsche die schwarzen Punkte verloren hat.

 ( In der Zoohandlung gab es nur weiße Hunde in Größe und Statur von Freiherr-Von-Doghaus-Undsoweiter, da hatte ich mit der Haartönung nachgeholfen, die Hanne immer benutzt hatte, um ihre Grauen zu eliminieren: ‘Black Beauty’ von Schwarzkopf)

Herrhausens meinten, der Fellfarbwechsel sei für diese Rasse normal und fanden es rührend, dass Hundi fremdelte, sie also wirklich vermisst hatte.

Auch das belohnen sie mit einigen Euros.

 

Und die Urkanskys?

Die Mama ist froh, dass Ara-Bella dem Töchterlein keine korrekten Tonleitern mehr vorgibt, weil dem Kind dadurch womöglich ein künstlerisches Trauma drohen könnte.

Stattdessen krakehlt das Tier fortan auf dem Balkon in der Voliere: „Scheiß Mami! Scheiß Mami!“

 

Das wiederum findet der Vater realitätsnah, was ihm einen Zehner wert ist.

Beamte sind – geizig – ist normal.

 

„Steuerfrei“, zwinkert er mir zu, „ich bin ja nicht immer im Dienst.“

 

“Geb ‘s lieber bei der Steuererklärung an!“, höre ich meine Frau sagen.

 

„Hanne, du fehlst mir! Ich vermisse dich!“

 

Lehne mich seufzend im Fernsehsessel zurück und blicke zum leeren Platz auf dem Sofa, wo meine Frau immer ihre Füße hochgelegt hat.

 

In den Herbstferien werde ich achtsamer mit den Tieren meiner Nachbarn umgehen.

 

anne z. 3. VERSION