Talita Schönberg

Was für ein riesen Mist. Ich saß echt in der Tinte. Schlimmer konnte es eigentlich nicht werden. Und im selben Moment, in dem ich das dachte, schlug ich panisch die Hände vor den Mund … Also besser gesagt die Flossen. Wenn das Schicksal oder der Karma- Gott, wer auch immer mir das angetan hatte, das hörte, dann war ich erledigt. Hilflos dachte ich über meine aktuelle Lage nach.

 Erst gestern war ich mit meinen Freunden aus der 9. Klasse, über die Gänge der Gesamtschule St. Benedikt getobt. Ich war ein Sportass, der beste Torschütze der Schulmannschaft und nicht nur deswegen bei allen beliebt. Ich beherrschte den Pausenhof und die Schulflure und fühlte mich wie der König dieses Reiches. Alles hätte so perfekt bleiben können, wäre nicht im Rahmen eines Integrationsprojektes der Stadt, vor einer Woche dieser Slumdog Millionär für Arme aufgetaucht. Bhavin hieß er, was so viel wie Lebensretter bedeutete. Er kam aus Indien und hatte seit Geburt an verkrüppelte Beine. Vor einem halben Jahr wurde sein Leben gerettet und ein deutsches Ehepaar entschied sich ihn zu adoptieren. Und so kam er in den Genuss, Besitzer eines modernen, sportlichen Rollstuhls zu werden und dank des Integrationsprojekts, auf einer öffentlichen Gesamtschule lernen zu dürfen. Mir gefiel das gar nicht. Schon seit dem ersten Tag zog dieser stille Exot alle in seinen Bann. Vor allem die Mädchen waren entzückt von diesem braungebrannten, geheimnisvollen Superhirn. Und dann auch noch das Getue mit seiner Religion. Was bitte war am  Hinduismus mit seinen tausend Göttern schon so besonders? Er ging mir mit seinen Yogi- Zitaten und Karma- Geschwafel gehörig auf den Leim. Ich beschloss ihm zu demonstrieren, wer der Gebieter der heiligen Hallen dieser Schule war.

In der Pause kreisten meine Freunde und ich Bhavin auf der Jungentoilette ein.

„Na? Gerade mal wieder den Gott der Porzellanschüssel angebetet?“

Alle lachten, ein guter Start wie ich fand. Bhavin ließ sich davon nicht beirren, seine Miene blieb entspannt und freundlich wie immer.

„Gott versteckt sich auch in einem Wassertropfen im Ozean“, sagte er.

 „Weißt du Bhavin, mich würde mal interessieren was du so angestellt hast in deinem früheren Leben. Es wird ja einen Grund haben, warum du jetzt als Krüppel hier rum kriechst! Hast du dir mal einen fetten Burger gegönnt oder gar jemanden ermordet?“

 Wieder Gelächter. Die Schulglocke kündigte das Ende der Pause an und beflügelt von dem lachen und den gebannten Blicken der andern, gab ich dem Rollstuhl einen festen Tritt. Ungebremst rollte Bhavin auf das Pissoir zu und kippte letztendlich mit dem Kopf zuerst ins Klo. Ohne mich nochmal umzudrehen, lief ich mit den anderen zur Turnhalle. Dort begann in Kürze der Sportunterricht.

 

Das muss gestern gewesen sein, ich erinnere mich nur noch daran, wie ich vom Stufenbarren fiel und alles schwarz wurde. Und dann wurde ich hier im Wasser wach. Zuerst befand ich mich noch in einem großen, runden Glasgefäß. Doch dann wurde ich von einem Jungen in eine Plastiktüte verfrachtet und in den Rucksack geworfen. Alles um mich herum erschien riesig. Panisch stellte ich fest, dass an der Stelle wo mir früher Arme und Beine herausragten, jetzt goldene Flossen waren. Ich versuchte zu schreien, um meiner Angst Ausdruck zu verleihen, doch mehr als ein paar Luftblasen im Wasser brachte ich nicht zustande. Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass ich durch mein Verhalten schlechtes Karma gesammelt haben musste. Nach dem Sturz vom Barren, fristete ich nun mein Dasein als verdammter Goldfisch. Ich war wie Bhavin: still, ohne Beine mit einem exotischen Aussehen, allein in der Fremde. Eine Träne rollte aus meinen Augen und blieb unbemerkt in dieser Flut an Wasser. Ich bereute meine Worte zu ihm und hatte das Gefühl ihn zum ersten Mal richtig zu verstehen. Ich hatte einen großen Fehler begangen, Bhavin so zu behandeln, doch auch die Reue brachte mich nicht aus dieser misslichen Lage.

 

Zu allem Überfluss wollte der Besitzer dieses Haustieres nun doch lieber einen Hamster. Also beschloss er, sich dieses stillen, nutzlosen Goldfisches in der Schultoilette zu entledigen. Zum Glück war die Tüte zu groß zum herunterspülen und es verstopfte nur den Abfluss. Und da schwamm ich nun, in meinem Plastikbeutel in der Toilette und betete und flehte in meiner Verzweiflung um Hilfe zum Gott der Porzellanschüssel. Der Sauerstoff wurde immer knapper in der Tüte und das letzte, was ich sah, bevor das Licht für mich ausging, war Bhavin. Die Götter hatten mich erhört und mir Hilfe auf Rädern geschickt. Beherzt griff Bhavin ins verstopfte Klo und zog den Beutel heraus.

 

Durch das Piepen meines Weckers wurde ich wach und stellte beruhigt fest, dass es sich um einen Alptraum gehandelt haben musste. Ich machte mich für die Schule fertig und verabschiedete mich von meiner Mutter. Lachend wischte sie mir etwas von meiner Stirn und meinte: „Wer hat dich denn heut Nacht mit Gold überschüttet?“

Mit Gänsehaut und Unbehagen betrachtete ich die kleine glitzernde Schuppe in Mutters Händen und nachdenklich machte ich mich auf den Weg zur Schule.

 

Ich war ungewöhnlich still im Unterricht und beobachtete Bhavin aus dem Augenwinkel. Er wirkte still und besonnen wie immer, verhielt sich kein Stück anders als sonst. Er hatte mich nicht mal verpfiffen. Als es nun um die Teamzusammenstellung zur Gruppenarbeit ging, meldete ich mich zum Erstaunen der anderen freiwillig, als Partner von Bhavin. Auch dadurch ließ er sich nicht beirren und rollte mit gleichbleibend freundlicher Miene auf mich zu. Ich holte tief Luft und sagte: „Entschuldige für gestern, ich hab mich wie ein Idiot verhalten.“

Erneut keine Regung von ihm.

 „Keine Ahnung wie das alles passieren konnte, du weißt schon mit dem Karma und so, aber du warst ein echter Bhavin, also voll der Lebensretter und so. Ähm und deswegen wollt ich danke sagen und so und fragen, ob wir vielleicht mal ein paar Körbe auf dem Hof werfen wollen, also wenn du mir verzeihen kannst? … Also vielleicht können wir ja Freunde werden oder so, also irgendwann … also sorry nochmal“

Es war so peinlich wie ich da stand und meine Entschuldigung stammelte, während alle um uns herum verstummt waren und uns ansahen. Und plötzlich war es mir so, als wäre Bhavin´s Gesicht noch etwas weicher und beseelter als sonst geworden und endlich erlöste er mich und antwortete lächelnd: „Bäume verweigern niemanden ihren Schatten, nicht einmal dem Holzfäller.“

 

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