Von Ingo Pietsch

Heute war der letzte Teil der Abschlussprüfung zum Gas- und Wasserinstallateur.

Markus schritt den Gang zu den Werkstätten der Berufsschule entlang. Er hatte ihn schon hunderte Male zurückgelegt, doch war er aufgeregt, wie niemals zuvor.

Denn alles in diesem Anbau bestand aus rot-schwarzen Steinen und Fliesen und vermittelte eine karge, bedrückende Atmosphäre. Und nicht nur das machte ihm Angst.

Die mündliche Prüfung, Kundengespräche, und auch das Schriftliche, jegliche Art von Berechnungen, hatte er mit Gut bestanden.

Doch das Praktische bereitete Markus Sorgen: Gerade mit dem Schweißgerät hatte er große Defizite.

Alles andere machte ihm eigentlich keine Schwierigkeiten, da er sehr geschickt war.

Aber das Schweißen …

Er blieb vor dem Werkstatt-Raum WC00 stehen und blickte noch einmal auf seinen Zettel: Er war hier richtig – Der Schweiß-Bereich.

Markus faltete die Einladung wieder zusammen, holte tief Luft und drückte die schwere Tür zur Werkstatt auf.

Es roch gewohnt nach Metall, Öl und Holz.

Als Markus um eine Ecke bog, sah er schon den Tisch mit den drei Prüfern:

Sie stellten sich der Reihe nach vor und schüttelten ihm die Hände.

Herr Büsking, sein Klassenlehrer, ein Inhaber einer Heizungsfirma und ein Mitglied der Handwerkerinnung.

Markus stand im Blaumann gekleidet vor dem Tisch und erwartete das Schlimmste.

„So Herr Werder, Sie haben jetzt nur noch den praktischen Teil vor sich, da kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen“, meinte der Vertreter der Innung.

Markus lächelte gequält. Schweiß stand ihm auf der Stirn und seine Hände wurden feucht.

„Herr Büsking hat uns schon von ihren Stärken und Schwächen berichtet“, fuhr der Inhaber fort.

Markus schielte leicht zu seinem Lehrer hinüber. Das war jetzt die Rache, für die vielen kleinen Späße, die er sich erlaubt hatte.

„Deswegen haben wir uns ausnahmsweise mal etwas anderes überlegt, als die übliche praktische Prüfung.“

Herr Büsking stand jetzt auf und ging zu einem Metallregal, an dem verschiedene Werkzeuge hingen und drehte es um.

„Der Toilettentieftaucher“, präsentierte er.

Markus starrte verwirrt auf die drei Toiletten, die nebeneinander auf einem Podest auf der Rückseite des Regals befestigt waren.

Der Lehrer zog noch einen Tisch heran, auf dem alle möglichen Utensilien nebeneinander gereiht lagen: Zangen, ein Pümpel, eine Spirale, Gummihandschuhe, säurefeste Handschuhe, eine Schutzbrille, Handtücher und vieles mehr.

„Dann legen Sie mal los, Herr Werder.“ Der Prüfer las von seinem Zettel ab: „Toilette Nummer 1. Verstopft. Der Besitzer ist um die Siebzig. Hat einen Hund. Was machen Sie?“

Markus zog sich die Gummihandschuhe an. „Als erstes frage ich, ob er etwas entsorgt haben könnte, was eigentlich nicht in die Toilette gehört. Dann mache ich eine Sichtprüfung. Das heißt, ob von außen etwas erkennbar ist. Dann sehe ich mir das Becken an. Das Wasser ist klar. Auf keinen Fall nochmals spülen, damit nichts überläuft. Jetzt versuche ich zuerst ohne Hilfsmittel herauszufinden, was die Verstopfung verursacht haben könnte.“ Markus kniete sich hin und begann im Siphon herumzutasten. Er erfühlte eine feste haarige Masse, die den kompletten Abfluss blockierte.

„Was für einen Hund hat der Mann denn?“, fragte er grinsend.

Der Inhaber antwortete: „Dackel.“

„Und lebt der noch und ist in einem Stück?“

Allgemeines Nicken.

„Ok. Hier meine Theorie: Der Hund trinkt gerne aus der Toilette, die ihm frei zugänglich ist. Und er apportiert gerne. Ich vermute, dass der Hund ständig Socken in die Toilette wirft und anschließend seinen Durst stillt.“ Markus zog mehrere verschiedenfarbige Socken aus dem Siphon.

Alle drei Prüfer machten sich Notizen.

„Gut“, sagte Herr Büsking. „Nun zum zweiten Fall. Nach einer wilden Geburtstagsparty. Die Jugendlichen hatten sturmfreie Bude. Hier ist auch das Becken verstopft.“

Markus öffnete den Deckel. Das Wasser hatte sich rötlich verfärbt. Er zog die Augenbrauen hoch und fasste trotzdem ohne mit der Wimper zu zucken in die rote Lagune.

Markus hatte in seiner Ausbildung eine Menge Abflüsse und Toiletten zu reinigen bekommen. Dabei hatte er ein schier detektivisches Gespür entwickelt, welche Gerätschaften und welches Vorgehen am Besten geeignet waren. Er beobachtete seine Umgebung und auch die Menschen, die ihn umgaben und kombinierte dann.

Ihn wunderte kaum noch etwas. Entsorgten doch viele Leute ihre Speisereste, abgeschnittenes Haar oder Fingernägel über die Toilette. Küchenrollen- und Taschentuchpapier zersetzte sich nur langsam  und sorgten regelmäßig für einen Rückstau. Kleinkinder warfen Spielzeug hinein und Erwachsene verstorbene Haustiere oder sogar den obligatorischen Goldfisch. Oder die Kombination mehrerer Faktoren führte zu einer Störung.

Markus hatte etwas gummiartiges zwischen den Fingern. Es hatte sich irgendwo verheddert. Dann erfühlte er noch ein zweites und drittes Objekt, die ineinander verknotet schienen.

Aber da war noch mehr. Ein dünner Faden, der in einem aufgequollenen Säckchen endete.

Der Fall schien klar.

„Also, wilde Geburtstagsparty und sturmfreie Bude. Das Gummiartige könnten gebrauchte Kondome sein und das andere, liegt nahe, da das Wasser rot ist, dass es sich um ein Tampon handelt. Alles heimlich entsorgt. Vorgehensweise: Vorsichtig entfernen, damit nicht in die Leitungen gerät und noch mehr Schaden anrichtet.“

Alle drei Prüfer mussten lachen.

„Ganz dicht dran“, meinte der Herr von der Innung.

„Herzlichen Glückwunsch, Herr Werder, Sie haben die Prüfung mit Bravour bestanden!“, sagte Herr Büsking. „98% im Praktischen Teil. Wir waren etwas gemein mit der Prüfung, denn Sie lagen ein wenig daneben. Bitte.“ Er wies auf die Kloschüssel.

Markus zog die Sachen aus dem Wasser.

Ein Knäuel bunter Luftballons und ein Teebeutel.

„In den Luftballons befinden sich Partydrogen. Für unseren Fall Schokolinsen. Und der Teebeutel ist Marke Hanf-Hibiskus. Gratulation, Herr Werder. Sie brauchen die dritte Toilette nicht auch noch weiter zu untersuchen.“ Der Inhaber setzte seine Unterschrift unter die Urkunde. Die anderen beiden taten es ihm gleich.

Markus zog die Handschuhe aus und wollte das Dokument entgegennehmen.

„Bitte erst Händewaschen!“, sagte Büsking.

Markus wollte sich schon mit der Hand vor die Stirn schlagen, ließ es aber sein. Er verließ kurz den Raum, kam anschließend wieder und bedankte sich.

Dann schielte er zu der dritten Toilette hinüber, aus der es lautstark blubberte.

„Und was ist da noch drinnen?“, fragte er neugierig.

Im gleichen Moment sprang der Deckel ein Stück weit mit hässlichen und stinkenden Rülpsen auf und fiel wieder zu.

„Ich glaube“, meinte Herr Büsking. „Das wollen Sie gar nicht wissen.“