Von Bernd Kleber

Da liegt er, schimmernd neben Braun in gelblich-beiger Flüssigkeit. Er hat ein kleines Stückchen des Exkrementes abgeschnitten, wie eine braune Tangente an Gold. So sehe ich sinnverloren in das Toilettenbecken meinen Ehering an. So viel habe ich abgenommen, dass der Ring, viel zu groß, wie ein Fremdkörper an meinem Finger geduldet war. Ich sollte ihn jetzt heraus fingern. Katatoner Stupor!
Rastlose Schritte auf der anderen Seite der Tür. „Marius!“, heftiges Wummern gegen die Tür, „Mach jetzt! Oder soll ich erst reinkommen?“
´Bloß nicht… ´, denke ich. Mir brennt die Wange noch von der Backpfeife, die ich vorhin bekommen habe, weil ich nicht schnell genug vom Küchentisch aufgestanden war. Schließlich seien wir mit den Uhlmanns verabredet und müssten doch in einigen Minuten los. Ich räuspere mich. Wie ein ferner Hall erklingt das Geräusch in der Porzellanschüssel. Haben sich jetzt kleine Flüssigkeitskreise vom Schall der Stimme gebildet? Hübsch!
Meine Hand bewegt sich hinab. Wenn ich mich jetzt nicht beeile, wird es gleich wieder Schläge regnen. Das sind Dinge, die glaubt mir niemand. Darum erzähle ich sie nicht.
„Marius! Ich hole jetzt einen Schraubenzieher und komme rein, aber dann gnade dir Gott!“
Die Stimme dröhnt durch die Tür, die wie ein Resonanzboden den Klang vibrierend verstärkt. Ein Monster, herzlos, fremd, kalt!
Wie konnte es nur so weit kommen? Sie war einmal so reizend und liebevoll und nun immer diese Wutausbrüche.

An dem Frühlingstag, damals, saß sie an der Straße im Stadt-Café in der ersten Reihe. Die Tische waren wie in einem Theater ausgerichtet.
Diese Stadt ist ein großes Theater, eine Bühne der Eitelkeiten, dachte ich.
Sie hatte eine Sonnenbrille von Gucci auf der Nase und einen mondänen Hut auf, schlürfte an ihrem Cocktail. Ich war stehen geblieben und hatte zu ihr hinübergeblickt, ihr goldbraunes Haar bewundert. Sie hatte die Brille angehoben und mich angelächelt. Als ich nicht reagierte, hatte sie einladend die Hand bewegt. Ich war auf sie zugesteuert, wie ein Tanker im Schlepptau eines Lotsenbootes, in den Hafen der Ehe eingeschifft, war ihrem Charme erlegen.
Ich weiß noch, mein Körper war voll warmer Freude und Zuneigung. Ich wollte nicht mehr ohne sie sein. Alle meine Wege hatten in ihre Richtung geführt. Alle meine Träume trugen ihr Gesicht. Mein Leben trug ihren Namen.
Aber schon wenige Tage nach unserer Hochzeit hatte sie das erste Mal dieses Temperament gezeigt, was ich nicht an ihr kannte. Wie eine Welle eiskalten grauen Wassers hatte es mich durchspült. Die Sonne hatte sich hinter schwarzen Wolken versteckt, als diese erste Schelle auf meine Wange klatschte.
Ich versuchte nun, sie milde zu stimmen. Ich nahm ihr die Hausarbeit ab. Schließlich hatte sie im Büro Verantwortung, musste immer fit und chic aussehen und seitenweise fehlerfrei Diktate schreiben, Geschäftspost höchsten Anspruches. Das war erschöpfend und nervenaufreibend.
Am Beginn unseres gemeinsamen Lebens hatte ich nur den Müll fortgebracht. Nun aber wischte und saugte ich Staub, putzte das Bad und die Fenster regelmäßig und räumte die Spülmaschine ein und aus. Ich goss die Zimmerpflanzen und schlich fast geräuschlos um das Sofa. Auf dem lag sie und schlief oder rauchte oder sah fern oder tat irgendwie alles gleichzeitig. Manchmal nahm ich ihr sanft die Zigarette ab, die noch zwischen ihren Fingern klemmte, während sie schon schnarchte. Ich ging einkaufen und schleppte ihr „garantiert reines“ Bergquellwasser „medium“ die Treppe hinauf. Die Flaschen klapperten bei jedem Schritt im Takt: mach schnell – mach schnell – mach schnell …
Sie jedoch brauste auf. Oft hörte ich: „Womit habe ich solch einen Waschlappen verdient!“
Ich ertrug, denn Frauen schlägt man nicht zurück, das hatte ich seit frühester Kindheit gelehrt bekommen.

Meine Hand hat den Ring erreicht. Ich greife ihn mit Zeigefinger und Daumen. Hebe ihn an, langsam, wie ein Bagger in einer Häuserschlucht. Kurz über dem Schüsselrand will ich den kleinen Klecks brauner Masse nach unten abschütteln. Wieso springt der aber hoch auf meinen Handrücken? Schauer rasen über meinen Rücken, wie das Sondereinsatzkommando im Alarmmodus. Wenn sie das jetzt sehen würde…
Mit der anderen Hand den Klecks abschnipsen, in die Schüssel. Das gelingt nicht, eine braune Spur breit gedrückter Masse findet sich nun dort. `Herrje, widerlich! `
An der Tür ruckelt jetzt ein Werkzeug, sicher der angekündigte Schraubenzieher. Ein Knurren ist zu vernehmen, wie von einem Wolf oder einem wilden Ungetüm. Sie murmelt Worte. Ich verstehe „Arschloch!“, „… na warte …“, „… das werden wir ja sehen…“.
Schweiß perlt in kleinen Rinnsalen über meine Stirn, stoppt an den Augenbrauen, nimmt einen Umweg, um mir dann fies in den Augen zu brennen. Meine Hände sind beschäftigt.

Nie habe ich den Arm gegen sie erhoben. Sie schlug mich mit dem Besen, dem Kochlöffel, ihrem Hausschuh, ihrer Handtasche und einmal schleuderte sie ihren Schlüsselbund in mein Gesicht. Ich fragte sie, was das auslöse. Keine Reaktion, sondern mehr Wut. Ich fragte, ob sie die Scheidung wolle. Das bereute ich schmerzlich.
Ich war erfahren in Ausreden meinen Kollegen gegenüber. Hingefallen, gestolpert, betrunken und ausgerutscht waren einige Begriffe, die ich meist benutzte. Manchmal hörte ich die Kollegen hinter meinem Rücken tuscheln. Scham war mein ständiger Begleiter. Eine Lösung nicht in Sicht. Die Angriffe kamen grundlos und wie aus dem Nichts.
Ich phantasierte, dass dieser Körper von einem bösen Wesen übernommen worden war. Dass ihr Herz versteinert war. Dass das Blut in ihren Gefäßen schwarz pulsierte. Dass es einen Ausweg geben müsse.

Ein Schritt ans Waschbecken, das Wasser mischen, warm und kalt… Handwarm. Wie passend. Es plätschert zärtlich schaumig hinab. Ich sehe es über den Handrücken laufen und Kotspuren abtragen. Korrosion auf der Haut. Wie lange würde es benötigen, bis alle Spuren ohne Zutun, nur durch die Kraft des Wassers, abtransportiert wären. Wenn ich es recht überlege, war das dort nur der Rest der Abendbrotstulle mit Salami, die ich gestern hatte. Also Brot, Butter und Salami… gar nicht so unappetitlich.
Die Tür springt auf. Ich sehe Zornesrot. Ein Dampfkessel so dermaßen unter Druck, dass eine Explosion unvermeidlich ist. Rette sich, wer kann! Der Schraubenzieher fällt klappernd zu Boden.
Sie schnaubt, knurrt, atmet stoßartig. „Bist du zu nichts zu gebrauchen!? Meinst du, wegen dir will ich zu spät kommen? Deine Anwesenheit kotzt mich an!“
Der erste Hieb gegen den Hinterkopf erfolgt noch mit der Hand. Dann ergreift sie den Handspiegel. Der bewegt sich rasend schnell auf mich zu. Ich will etwas sagen. Ein „Urghhhhh“ ist zu hören. Das Glas trifft meinen Kopf, danach die Hand, die ich schützend hebe und den Hals. Es schmerzt, als würde glühender Stahl zur Kennzeichnung in das Fleisch getrieben. Schlachttiermarkierung. Brandmarkung! Blut vermischt sich mit dem kleinen braunen Rest auf meinem Handrücken. Rotbraun!
Sie schreit: „Ich gehe allein, du Volltrottel von einem hirnamputierten Idioten!“.
Stampfende Schritte über den Flur. Eine klappende Haustür. Stille. Wohltuende Stille, ich sehe mein Spiegelbild. Warum grinse ich so blöd?
Ein Ende ist ein Ende, wenn es zu Ende ist. Ich wasche meine Hände, in Unschuld, die zur Trauer wird. Das fließende Wasser klärt Gedanken und Wehmut in Gewissheit, wie eine verwunschene Quelle. Gesicht und Hals reinige ich auch, versorge mich mit Pflaster, ganz fürsorglich und sanft. Eine Gewissheit durchströmt mich wie ein warmer Strom durch Heizungsrohre, der im Herbst das erste Mal Wärme bringt. Ich werfe den Ehering ins Klo. Es platscht leise glucksend. Dann gehe ich ins Schlafzimmer und packe den größten Koffer. Sonnengelb.
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