Von Hans-Günter Falter

Er plante, sich heute gemeinsam mit seiner jungen „Trophy Wife“ in Kuschelstimmung zu trinken, um sie danach von seinen überragenden männlichen Fähigkeiten zu überzeugen. Heute fühlte er sich dazu sowohl körperlich, als auch mental in allerbester Lage. Zur Sicherheit hatte er sich vor einigen Wochen ein unterstützendes Pharmazeutikum besorgt, war deshalb extra zu seinem Arzt gegangen, um diese Pillen mit seinen Medikamenten für den Bluthochdruck, die Schilddrüse und den Rheumatismus abzustimmen.
Nach diesem Abend sollte klar sein, dass er die absolut einzige mögliche Partnerperspektive für Yasmin ist.
„World Wide, my only bride. That´s she and she loves me“, reimte er sich mit seinem blassen Schulenglisch zurecht und brummelte es, mit einer selbsterdachten Melodie, kopfwackelnd, fröhlich vor sich hin.
Bestimmt wird sie begeistert sein von seiner Idee, gemeinsame mit ihm eine Wohnung zu suchen, ein süßes, kleines Liebesnest. Der Gedanke gefiel ihm immer noch sehr gut, er musste über seinen verwegenen Einfall lachen.
Mit Yasmin würde er endlich das Leben haben, von dem er immer schon träumte. Warum hatte er das nicht schon vor Jahren begriffen? Na ja, es war ja noch längst nicht zu spät.
„Alle Türen stehen mir doch offen“, dachte er und schloss dabei genüsslich die Augen.
Ein Hauch des neuen Aftershaves, das Yasmin ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, wehte um seine Nase und betonte sein Gefühl der Unbesiegbarkeit.

„Trophy Wife“, so hatte Hanne, seine Noch-Ehefrau, Yasmin einmal verächtlich bezeichnet. Er verstand den höhnischen Ton schon vollkommen richtig, trotzdem erfüllte ihn auch etwas Stolz nach diesem unerfreulichen Gespräch mit seiner zukünftigen Ex. Ja, er war stolz auf diesen Ausspruch, auf seine „Trophy Wife“.
Immerhin, er hatte nicht weniger als ihr Herz gewonnen und das war keine Selbstverständlichkeit.
„Trophy Wife“, so nannte er sie seither insgeheim und er empfand sich auch als Sieger, der seinen Preis verdient hatte.
Sicherlich, in seiner Ehe mit Hanne gab es auch schöne Momente, aber an die wollte er jetzt nicht denken.
„Lieber ganz auf Yasmin einlassen und alles Alte hinter mir abschneiden“, sagte er leise zu sich selbst. Sie würde schließlich seine neue Lebenspartnerin werden.

Verständnis war leider auch von Marie, seiner Tochter, nicht zu erwarten, was ihn besonders schmerzte, weil sie ein so liebevolles und offenes Verhältnis zueinander hatten. Sie konnte ihn, den sie liebevoll Papili genannt hatte, überhaupt nicht verstehen und ergriff einseitig Partei für Hanne.
Aus Papili wurde in ihren Augen nun der „verschrobene, liebestolle Opa“.
„Die arme verlassene Ehefrau“, murmelte er kühl vor sich hin. „Und das vernachlässigte Töchterchen, das mit ihren 32 Jahren ja noch so dringend ein intaktes Elternaus benötigt und seinem Vater kein Eigenleben zugestehen kann“, sagte er sarkastisch und tief verletzt zu sich selbst, … wie schon so oft in den letzten Wochen.

Yasmin wurde von seiner Tochter vehement abgelehnt, dabei sind die zwei etwa gleich alt. Yasmin ist 4 Jahre jünger als Marie, aber was sind schon 4 Jahre?
Marie hatte er vor 5 Wochen zuletzt gesehen, im Krankenhaus, da wurde sie zum zweiten Mal Mutter und er zum zweiten Mal Großvater. Er war schon sehr stolz auf seine beiden Enkel, obwohl Großvater sein ihm irgendwie auch etwas unangenehm war, es fühlte sich … alt an. Und so nimmt er sich ja nun beileibe nicht wahr.
Marie deutete bei seinem Besuch auf der Entbindungsstation mit dem Finger auf ihn und sagte zu dem gerade geborenen Winzling: „Schau, das da ist dein Opa, er sieht auch aus wie ein Opa, aber in seiner Phantasie ist er ein junger Supermann im Frühling.“ Dabei lachte sie ihn an, aber es war nicht das Lachen, das er so an seiner Tochter liebte, es war hämisch und überheblich, deshalb ist er auch nicht sehr lange geblieben.

Obwohl er es nicht mehr lange bis zur Rente hat, fühlte er sich, als könnte er Bäume ausreisen. Dieses Gefühl kannte er aus seiner Jugend, es war aber schon seit Jahrzehnten verschüttet, irgendwo tief im Keller seiner versteckten, geheimen Seele. Er spürte ein unglaubliches Potenzial, ja, so war es. Jetzt musste er schon wieder grinsen.
„Potenzial, Potenz, Popo, poppen“, reimte er sich etwas pubertär zusammen, dachte dabei an den bevorstehenden Abend mit Yasmin und freute sich lausbübisch. „Oh Yasmin, was hast du in mir entfacht. Es ist so vieles passiert, das ich längst nicht mehr für möglich gehalten hätte.“

Die Scheidung von Hanne ist praktisch schon durch, nächste Woche der Gerichtstermin, da wird er sie nochmal sehen. Die letzten Monate, besonders die, nachdem er Hanne von seiner Yasmin erzählt hatte, waren doch eher unerfreulich verlaufen.
„Du bist in einer Midlife Crisis“, hatte sie ihm gesagt, „lass dir von einem Psychologen helfen, aber wirf nicht gleich alles über Bord“. Aber er war beratungsresistent.
„Ich lass mir meine Gefühle doch nicht von irgendeinem Psychologen ausreden, nur um dann weiterhin so zu funktionieren, wie es dir in den Kram passt“, hatte er darauf zu ihr gesagt. Dann wurde der Ton schärfer, einen alten Bock hatte sie ihn genannt, dass er ihr ein Eheversprechen geben hatte, hielt sie ihm vor und, dass er sie im Stich ließ.

Es verletzte ihn, aber er sah keinen Weg zurück, die Zukunft war einfach zu verlockend. So etwas wie mit Yasmin, würde ihm nicht noch einmal passieren, davon war er überzeugt.

In den letzten Wochen sprach er oft mit Yasmin über deren Kinderwunsch. Zuerst konnte er es sich nicht so recht vorstellen. Mit seinem Enkel Lukas, der jetzt knapp zwei Jahre alt ist, konnte er sich stundenlang beschäftigen, aber er ist doch auch immer froh gewesen, wenn Marie ihn wieder abgeholt hatte. Zweifel stiegen in ihm auf, ob er einem erneuten „Vatersein“ gewachsen sein würde.
Aber seine Zuversicht und sein Selbstvertrauen stieg mit jedem Tag, den er mit Yasmin verbrachte. Außerdem würde ein Kind die Bindung zu ihr stärken. Nicht, dass er das Kind als Bindungskitt sehen würde, aber es wäre doch auch eine gewisse Sicherheit und Beruhigung. Irgendwo hatte er auch gelesen, dass Frauen versuchen, ob nun bewusst oder unbewusst, mit einem Kind den Mann an sich zu binden. Besonders, wenn der schon einmal eine Frau wegen einer Jüngeren verlassen hatte. Immerhin wäre Yasmin in 20 Jahren auch 20 Jahre älter.
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, sagte er mit leisen, erstaunten Worten zu der Teekanne, die er gerade mit heißem Wasser aufgefüllt hatte, … er soll ja, wegen seiner gelegentlichen Prostataprobleme, besonders viel trinken.
„Was ist in 20 Jahren? Unser Kind wäre dann schon erwachsen. Werde ich dann wieder nach einer anderen Frau suchen?“ Der Gedanke erschreckte ihn, so weit hatte er es sich noch nie ausgemalt, hatte immer nur im hier und heute gelebt, gemeinsam mit Yasmin und vielleicht in naher Zukunft als Familie mit Kind. Was wäre, wenn sie noch weitere Kinder möchte?
„Wird die Rente ausreichen, um uns einen schönen Lebensabend zu finanzieren? Wieso eigentlich Lebensabend?“ Er fühlte sich plötzlich irgendwie … sehr alt.
Auch wenn Yasmin in 20 Jahren noch bei ihm sein sollte, wäre sie doch noch immer eine, zwar nicht mehr ganz taufrische, aber doch sicherlich attraktive Frau. Oder? Würde er zuhause bleiben, bei den Kindern, während Yasmin arbeitete? Sich womöglich mit Kollegen amüsierte?
Ihm wurde etwas flau im Magen.
Da klingelte das Telefon und er sah Yasmins Bild im Display aufblinken.

Alle trüben Gedanken waren mit einem Mal verflogen: „Hallo meine geliebte Yasmin“, meldete er sich.
Am anderen Ende war es einen kurzen Moment still. Dann sagte Yasmin: „Ich habe heute auf meinem Kontoauszug gesehen, dass du mir eine sehr hohe Summe überwiesen hast“.
„Ja, ich wollte dich überraschen, bevor wir uns nachher treffen“, sagte er und war überzeugt, dass ihm diese Überraschung perfekt geglückt war.
„Ich fühle mich nicht sehr wohl damit und möchte dein Geld nicht“, antwortet ihm Yasmin und fügte an, „du bist mir wichtig, nicht dein Geld“.
Er war verunsichert: „Aber du, du bist mir auch wichtig, und das Geld bedeutet mir nichts.“
„Das ist ja noch verrückter, als ich befürchtet habe“, entfuhr es Yasmin, „du gibst mir etwas, das dir nichts bedeutet?“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich fühle mich gekauft und werde heute Abend nicht zu dir kommen. In den nächsten Tagen denke ich intensiv über unsere Beziehung nach und sage dir dann, wie ich mich entscheide. Bitte melde dich bis dahin nicht mehr bei mir“, sagte sie und legte auf.