Helga Rougui

Ich sah zu, wie mein funkelnagelneuer Ehering von meinem Finger glitt und in die hinterste Ecke der Damentoilette des Ritz-Carlton rollte, wo er in einer dicken Spinnwebe stecken blieb. Es hätte schlimmer kommen können – ich hatte mal von einer Freundin gehört, der der Ring in die Toilettenschüssel gefallen war und die sich, um ihn wiederzubekommen, an ihrem Hochzeitstag sozusagen einer Eigenurinkur hatte unterziehen müssen.

Ich rührte so lange in der dunklen Ecke herum, bis ich endlich meinen Ring zwischen Daumen und Zeigefinger zu fassen bekam und hervorziehen konnte.

Mit einem leichten Schaudern schob ich ihn wieder auf meinen rechten Ringfinger und wusch mir hernach gründlich die Hände.

– Wie auch immer – besser als ein Griff ins Klo, murmelte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen, während ich im Spiegel den Sitz meiner diamantenübersäten Hochsteckfrisur überprüfte und anschließend mit einem heftigen Herumschleudern meiner bräutlichen Schleppe die Damentoilette verließ.

 

… verließ …

 

Ja, Verließ war wohl das richtige Wort.

Meine Ehe war von Anfang an ein Verließ, dessen Tür mit dem Eheschwur und den Worten des Priesters hinter mir zugefallen war – müde Fluchtversuche wie die des Ringes waren, wie ich wußte, zum Scheitern verurteilt.

Da mußte stärkerer Tobak her.

Die symbolische Fessel war wieder an ihrem Platz, Symbol für den Meineid, den ich vor Gott geleistet hatte, denn ich konnte meinen Ehemann weder lieben noch achten noch ehren – und ich freute mich jetzt schon auf den Tag, bis daß der Tod mich von ihm schied.

Seit 11 Uhr 42 war ich die Gattin des Unternehmers und Multimillionärs Jonald Featherhead – sein Nachname beschrieb treffend seine durch diverse Haarteile zusammengeraufte Fusselfrisur, welche wiederum prächtig zu seinem Hühnerarsch-Mündchen paßte. Sein Kopf sah in besten Zeiten aus wie ein wildgewordenes Federvieh, nur kamen keine Eier aus seinem Mund, sondern Lügen, Dummschwätz und ab und an ein Rülpser, der von seinen glänzenden Manieren Kunde tat.

 

… Kunde …

 

Als Kunde war er charmant und höflich und vor allem über den festgesetzten Preis hinaus freigebig gewesen. Das hatte ich durch willfährige Aufmerksamkeit und eine gewisse ihm vorbehaltene Exklusivität honoriert.

Dann hatte ich mich in Adrian verliebt, und ich wollte meine Begleitservicetätigkeit umgehend beenden. Aber Jonald Federvieh ließ mich nicht aus seinen Klauen, er fing mich ein mit einem Deal, der mit einem Schlag meine und Adrians Zukunft gesichert hätte.

Ich würde Jonald heiraten, seinen Sohn austragen und dann die Scheidung einreichen dürfen – und dafür sollte ich runde 10 Millionen Dollar bekommen.

Ich hatte nie Kinder haben wollen, ich bin nicht der mütterliche Typ, das Geschäft schien mir angemessen, die Verträge wurden unterzeichnet, alles schien geregelt.

Leider hatte ich die Vertragstexte nur überflogen, und das wurde mir zum Verhängnis – eine Scheidung wurde explizit ausgeschlossen, Jonald dachte nicht im Traum daran, sich nach der Geburt des Stammhalters von mir zu trennen, und ich war jetzt höchst widerwillig in einem goldenen adrianlosen Käfig gefangen.

Denn als Adrian von meinen Plänen und deren Entwicklung erfuhr, hatte er umgehend höchst angewidert die Flucht ergriffen.

 

…Flucht …

 

Flucht man innerlich, fällt es der Umwelt nicht auf, allerdings wäre mir das egal gewesen, denn, wie mir jetzt durch den Champagnernebel einfiel, war ja alles halb so schlimm, und ich konnte unter dem Mäntelchen der Wohlerzogenheit meinen Rachefeldzug in die Wege leiten.

Denn Rache mußte sein, immerhin hatte Adrian mich verlassen, ohne mich zu Ende anzuhören, und das hatte mir nicht gutgetan.

Stoisch grinsend stöckelte ich zu unserem Tisch, zurück zu meinem Angetrauten, der sich im Gespräch mit einer gelb gewandeten, leicht kopflosen, durchsichtigen Dame unbestimmbaren Alters befand.

 

***

 

– Endlich, ENDLICH habt ihr einen Griff ins Klo montiert, so daß ich mich hochziehen kann! Seit Wochen schon versuche ich aufwärts zu krabbeln und bin doch immer wieder abgerutscht an den glatten Porzellanwänden.

 

Ich erstarrte. Wer sprach da?

Ich drehte mich langsam um, rieb mir die Augen (insoweit doof, als ich mir grad die Wimpern getuscht hatte) und sah ein klatschnasses, haariges, etwa 10 cm großes giftgrünes Männchen auf der Klobrille sitzen. Es sah aus wie ein Glas Absinth, nur in unscharf und weniger endgültig.

 

– Wer bist du? wollte ich wissen.

 

– Wer bist du Wer bist du Wer bist du, äffte das Männchen mich nach, jeder, der mich sieht, fragt, Wer bist du?

Wer bist denn DU? Weißt du, wer DU bist? Nein? Na bitte.

 

Ich drehte mich wieder um zum Spiegel und versuchte die dunkelverschmierten Stellen um meine Augen in ein vamphaftes Makeup zu verwandeln.

Als ich mir die Lippen burgunderrot schminkte, war das Männchen immer noch da. Ich nuschelte in Richtung Abort:

– Mir doch egal, wer du bist, ich bin ne Menge komische Wesen gewöhnt um mich herum.

 

– So so – komische Wesen …, flötete meine kleine gelbe Comtesse, die gerade konturlos auf dem Korridor vorbeischwebte, wie stets zwanzig Zentimeter über dem Teppichboden.

– Ich weiß immerhin, wer ICH bin. Ich bin die Gräfin von …

Sie konnte den Satz nicht beenden, weil just in diesem Moment ihr Kopf mit einem fröhlichen Plopp davonsprang und wie eine Bowlingkugel bis zur Küchentür kullerte. Und Sprechen mit tausend Teppichflusen im Mund und rollend fern des eigenen Körpers, das ging nicht.

 

Das grüne Männchen, das inzwischen halb getrocknet war und sich nun wuschelig aufplusterte, hatte das Intermezzo mitgekriegt und murmelte:

– Diese Revolutionsopfer – keine Kontrolle über ihre losgelösten Körperteile, ich hätte gedacht, Adel verpflichtet zumindest zu einem züchtigen Auftreten, aber nada, niente, rien, sie rollen ihre Köpfe überall herum, selbst unten bei uns in der Kalanisa – äh Kanlalisa – äh Kalanalisa –

 

Der Kopf war inzwischen zurückgerollt und keifte in Richtung Klosett:

– Kannst du Ausgeburt einer kranken Fantasie nicht mal die Knalappe äh Kalappe – Keplappe – wie auch immer – HALTEN???

 

Es klingelte an der Wohnungstür.

Ich hatte inzwischen zwei Lagen künstliche Wimpern angeklebt und fühlte mich stark genug, um öffnen zu gehen, aber die kopflose Rokokogräfin kam mir zuvor. Sie trippelte in Richtung Eingangstür, schnappte sich im Vorbeigehen ihren Kopf, rammte ihn sich auf den Hals und knurrte:

-Ich mach schon. Tja, wenn ich nicht wäre. Wer immer da draußen steht, ist jetzt schon tot.

 

***

 

Wer immer da klingelt zu später Stunde – ich weiß es nicht.

Ich hoffe, die Gräfin hat unrecht, und er ist nicht tot.

Ich weiß nur, daß dort vielleicht meine Möglichkeit zur Rache wartet, denn wenn es ein gewissenloser mörderischer Gewaltverbrecher ist, werde ich ihn mit doppelt angeklebten klimpernden Wimpern ködern und  mit 10 Millionen Dollar sowieso, denn ich mag zwar zu blöd sein, um Vertragstexte richtig zu lesen, aber ich bin nicht zu blöd, mir gleichsam zur Überbrückung die vereinbarten 10 Millionen Dollar vorab auf ein Nummernkonto in der Schweiz zu überweisen – Männer, die sich ihrer Hosen in bestimmten Situationen entledigen, haben keinen Plan, wo sich ihre Bankzugangsdaten gerade befinden.

Also – wenn dieser zukünftige Verbrecher von meinen Gnaden zu engagieren ist, dann werde ich bald eine Witwe sein, die das gesamte mobile und immobile Imperium ihres Gatten erben wird – und niemand wird mir je etwas nachweisen können, weil er ja, wie alle Wesen in meiner Wohnung meinen, vermutlich eine Ausgeburt meiner Fantasie ist.

 

Was das angeht, vertraue ich ihnen voll und ganz.

Keine Spuren, von gar nichts, nirgends.

 

Die besten Waffen, gegen Phantome zu kämpfen, sind die, die es nicht gibt.