Christian Künne
Es gab da mal einen Freund, den besuchte ich in seinem Badezimmer. Wie ich lernen sollte, war er nur noch dort anzutreffen. Er verließ nicht für eine Sekunde das stille Örtchen. Das hatte natürlich seine Ursache.
Seine Badezimmerbesetzung führte trotz guter Gründe natürlich zu Spannungen mit seinen Mitbewohnern. Die Wohngemeinschaft – ein weiterer Mann und eine Frau – verfügte nur über dieses eine Badezimmer, dessen Nutzung nun doch recht einseitig war.
Obwohl mein Freund die komplette Zeit in dem kaltgekachelten Raum verbrachte, eskalierte die Situation mit den Mitbewohnern nicht. Sein guter Grund war gut genug, die Spannungen nicht in waschechten Streit ausarten zu lassen. Letztlich war trotz dieser eher ungewöhnlichen Situation die Gesamtlage typisch der einer Wohngemeinschaft.
Um seine Situation zu erklären: Wie mir mein Freund bei meinem Besuch versicherte, hatte sich in der Toilette der WG ein Dimensionstor geöffnet und nur sein Hintern hatte die richtige Form, um es zu blockieren. Natürlich ginge das nur mit nacktem Hintern. Jede Form von Kleidung brachte die Form seines Hinterns dazu, nicht mehr formgerecht für das Dimensionstor zu sein.
So saß er dort auf dem Klo, hatte der Bequemlichkeit und der freien Bewegung wegen gar keine Kleidung mehr an und hatte sämtliche Gefühle der Peinlichkeit hinter sich gelassen. Oder der Scham. Er achtete allerdings weiter auf seine Hygiene. Die roten Stellen an seinem Körper zeugten vom frischen Kontakt mit Waschlappen und Seife, er verströmte einen dezenten Duft nach Deodorant und seine Haare hatten die gewollte Wildheit, die ihnen nach zehnminütigem Herrichten eigen waren.
Seine Mitbewohner halfen ihm ein wenig dabei, wie er zugab. Das Waschbecken war zwar nur eine halbe Armeslänge entfernt, aber sich im Spiegelschrank betrachten konnte er nun nicht mehr. Es war ein kleines Opfer im Vergleich zu dem großen, das er brachte. Deshalb murrte auch keiner, dass er oder sie nun selbst die Toilette nicht mehr nutzen konnte. Würden sie auch nicht können, wenn sein Arsch sie nicht blockieren würde, erzählte er weiter. Das Dimensionstor. Spannungen ja, Eklat nein, wie schon erwähnt.
Einer der Mitbewohner hatte mir einen Küchenstuhl gebracht, was allemal bequemer als die Fliesen war, die Enge des kleinen Raums aber zusätzlich betonte. Dennoch schob ich ihn auf die kleine Fläche vor der Toilette und somit vor meinen Freund – schamlos geworden, wie leider nicht zu übersehen war und ich nochmal betonen muss – und setzte mich. Auf Augenhöhe ging die Sache dann doch ein bisschen besser an, als auf den Fliesen sitzend zu ihm aufzublicken.
Ob man da nicht was unternehmen könne, schlug ich vorsichtig vor. Hätten sie da nicht schon was versucht? Zugegebenermaßen war ich schon recht neugierig, wie es zu diesem Umstand wohl gekommen sein mochte. Aber es war auch offensichtlich, dass mein Freund dort vor mir entsetzlich litt.
So verzerrte sich in diesem Augenblick sein Gesicht, der Schweiß trat ihm auf die Stirn und eine leichte Glasigkeit legte sich auf seine Augen. Wenige Sekunden später rang er sich ein Lächeln ab. Die Energie aus dem Dimensionstor, sagte er. Sein Hintern müsse sie absorbieren, nur so kam niemand durch.
Ob es sehr schmerzen würde, wollte ich wissen, und wie ich meinem Freund so ins Gesicht sah, hatte ich schrecklich Mitleid. Am liebsten hätte ich meine Hosen runtergezogen und ihn abgelöst, nur um seine Erleichterung erleben zu dürfen. Bereits unsere unterschiedlichen Hosengrößen ließen allerdings auf Probleme in der Passgenauigkeit meines Hinterns schließen.
Es war sicherlich kein Zuckerschlecken, sagte er dann auch. Die kleine Genugtuung, die er bei der Sache besäße, sei aber, dass auch er hin und wieder was auf die andere Seite schicken konnte. Ich nickte. Es war wichtig, dass man selbst in den miesesten Situationen noch eine Sache hatte, an der man sich festhalten konnte.
Ob sie schon versucht hätten, einen zweiten Arsch wie seinen zu finden, fragte ich dann. Dann könnte man zumindest in Schichten arbeiten. Jetzt nickte er, mit traurigen Augen. Gesucht hätten sie schon. Aber wie wolle man zum Beispiel eine Anzeige formulieren? Und die meisten würden wohl einen guten Stundenlohn abgreifen wollen.
Vielleicht gibt der Vermieter in so einem Fall was dazu, regte ich an. Ich hatte mal ein Gasleck in der Wohnung. Für die Umstände, drei Wochen draußen vor der Haustür rauchen zu müssen, hatte mir mein Vermieter die Zigaretten gesponsert. Mein kleines Erlebnis schien ihn jedoch nicht zu ermutigen.
Nein, sagte er nach einem langen Kopfschütteln. Gehöre irgendeiner Gesellschaft, die am liebsten alle Parteien loswerden würde. Das Dimensionstor kommt vielleicht sogar von denen. Würde ihn zumindest nicht wundern. Er zuckte mit den Schultern.
Wenn ihr zusammenschmeißt und lange genug sucht, findet ihr bestimmt jemanden, der nicht so teuer ist. Ich wollte meinen Freund aufmuntern. Ich stellte mir vor, in seiner Situation zu sein, und konnte es nicht. Es wird ja wohl noch jemanden mit den gleichen Abmessungen fürs Hinterteil geben.
Vielleicht, gab er zu. Auch wenn seine Mitbewohnerin einmal etwas von einem einmaligen Arsch über ihn gemurmelt habe. Fingerabdrücke sind ja auch einmalig, womöglich sind das Ärsche ja auch. Nun sackte er in sich zusammen und ließ dabei einen fahren. Schöne Grüße, sagte er dabei nach unten und dann in meine Richtung eine Entschuldigung mit der Ergänzung, deprimierende Gedanken schlugen ihm aufs Gedärm.
Eine Stille entstand in diesem kleinen Raum, die zunehmend dazu führte, dass ich immer wieder den Blick von meinem Freund nehmen musste. Mir wurde ganz schwindelig von dem ständigen Suchen nach etwas, das ich ansehen konnte. Die Möglichkeiten diesbezüglich waren nun mal begrenzt.
Nachbarn, warf ich plötzlich ein. Was … und wollte da … Ich brauchte meine Fragen gar nicht auszuformulieren, so heftig schüttelte mein Freund den Kopf.
Interessierte niemanden. Seine Mundwinkel fielen noch weiter nach unten. Gaben ihr Bad frei, ja. Es sei aber sonst seine Sache. Findet nicht mal einer von denen lustig. Hier im Haus kommen wohl ständig solche Dinge vor. Der Nachbar aus dem Dachgeschoss hatte sich eine Machete besorgen müssen, um den Efeubefall der Wände loszuwerden. Die Vermietergesellschaft habe dem bereits angedroht, die Kaution einzubehalten, wegen der vielen Kerben.
Mein Freund zuckte nur wieder mit den Schultern. Na ja, meinte er dann knapp, der Vermieter hatte die nächste Mieterhöhung erstmal verschoben. Er müsse sich noch überlegen, wie er den Arsch meines Freundes bewerten müsse.
Neue Wohnung käme ja auch so einfach nicht in Frage, fuhr er fort. Ich kannte den derzeitigen Wohnungsmarkt zur Genüge und konnte nur innerlich anmerken, dass mein Freund es da im Vergleich sogar noch erträglich erwischt hatte. Was ich da schon alles gehört hatte. Auch wenn ich selbst deutlich besser dran war mit meinen eindreiviertel Zimmern und dem freien Durchgang für den Nachbarn unter mir für dessen halbes Zimmer über mir, das er sich im Wechsel mit den beiden Parteien, die über mir wohnten, teilte.
Als unser Gespräch wieder ins Stocken geriet, überlegte ich mir eine Abschiedsformel, die meinen Freund ein wenig Durchhaltevermögen schenken sollte. Gern hätte ich einen Blick auf das Dimensionstor geworfen, aber aus nachvollziehbaren Gründen war das nicht möglich. Die weitere Geschichte dahinter kannte auch mein Freund nicht.
So verabschiedeten wir uns schließlich stumm per Handschlag. Ich nickte ihm kurz zu, als ich die Badezimmertür wieder schloss, das Bild des Elends aus meinem Blickfeld verschwindend. Ich konnte nicht anders, als erst einmal erleichtert aufzuatmen, als ich auf dem engen Flur stand und der Mitbewohnerin meines Freundes den Weg versperrte.
Sie schien sowas gewohnt zu sein und drängte sich einfach an mir vorbei, ohne sich verkneifen zu können, mir mit ausgestrecktem Finger in die Seite zu pieken. Mein Durchatmen wurde dadurch etwas beeinträchtigt und überhaupt lasse ich mir nicht gern in die Seite pieken.
Ich ging also hinter ihr her, um lauthals zu protestieren und sie in männlich arroganter Manier zurechtzuweisen. Doch in der Küche angekommen, die ihr Ziel gewesen war, blickte ich überrascht auf den anderen Mitbewohner, der seinen Ringfinger in die Öffnung des Wasserhahns hielt.
Mit einem leidvollen Lächeln blickte er mir entgegen. Die Mitbewohnerin rückte den Tisch, auf dem er halb saß, etwas zurecht. Sie hatte nicht gemerkt, dass ich ihr gefolgt war.
Neues Tor, fragte ich bloß und sorgte mit dem Erklingen meiner Stimme dafür, dass sich die Mitbewohnerin ein wenig erschrak und beinah den Tisch zu weit verschoben hätte. Böse funkelte sie mich an. Für mich war das genug der Revanche und ich konnte mich wieder auf den anderen Mitbewohner konzentrieren, der gerade langsam nickte.
Verrate deinem Kumpel lieber nichts, sagte er bloß. Wird ihn nur aufregen. Und sein Heldengefühl verletzen.
Ich nickte zur Bestätigung. Mein Blick ging kurz zu seinem Ringfinger, der schon ziemlich rot verfärbt war. Mich beschlich das untrügliche Gefühl, dass der Mitbewohner nicht so lange durchhalten würde wie mein Freund. Ein Arsch schien mir genügsamer als ein Ringfinger. Sitzfleisch ist Sitzfleisch.
Schnell verabschiedete ich mich und verließ die Wohnung. Es würde nicht lange dauern. Es war nur die Frage, ob mein Freund noch genug Zeit zum Twittern der Ereignisse haben würde. So ein Dimensionstor … da konnte schließlich alles Denkbare und Undenkbare durchkommen. Was hatte ich da nicht alles schon gehört.