Von Angela Thöming
Heute war ein richtiger Sch…tag! Hätte ich bloß nicht auf Anne gehört!
„Du mußt mehr unter die Leute gehen. Von dem vielen Alleinsein wird man irgendwann wunderlich…“ Sie hat auf mich eingeredet wie auf einen toten Hund.
Ich kann diese öden Frauentreffs nicht ab, wo es um Strickmuster und Marmeladeneinkochrezepte geht. Aber ich habe mich aufgerafft, damit Anne endlich Ruhe gibt. Sie hat dann wegen angeblicher Kopfschmerzen kurzfristig abgesagt und ich bin alleine los.
Ich könnte mich jetzt noch dafür ohrfeigen!
An der Eingangstür hat mich eine gewisse Frau Kleinötter (den Namen vergesse ich nie!) empfangen und mich nach einer kurzen Begrüßung- „Wie schön, daß Sie hierher gefunden haben. Sie sind neu hier, nicht?“- gleich mit ihren Schauermärchen überfallen:
„Wissen Sie, daß wir neuerdings Ratten in der Siedlung haben? Die Biester kommen sogar durch die Toilettenrohre! Legen Sie bloß einen Ziegelstein auf den Deckel, sonst haben Sie die irgendwann in Ihrer Wohnung! Haben Sie auf dem Weg hierher denn keine gesehen? Frau Wiesdorf ist neulich eine über den Fuß gelaufen….!“
Von da an war der Nachmittag für mich gelaufen!
Die ganze Zeit mußte ich daran denken, daß eines der Viecher es bis unter die hübsch gedeckte Kaffeetafel geschafft haben könnte und mir gleich die Beine hochklettert. Jeder Lufthauch an meinen Waden ließ mich zur Salzsäule erstarren.
Hin und wieder kassierte ich irritierte Blicke vonseiten der fünfköpfigen Damenrunde an meinem Tisch, wenn ich scheinbar grundlos zusammenzuckte oder kurz hysterisch aufschrie. Frau Kleinötter fragte mich sogar leise, ob ich an dem „Tourette-Syndrom“ leiden würde…?
Ich war froh, als der Nachmittag vorbei war. Und auch wieder nicht.
Der Nachhauseweg war nämlich auch eine einzige Tortur. Von überall konnte eins der Viecher jederzeit und gänzlich ohne Vorwarnung aus dem Gebüsch gesprungen kommen. Ich bin mitten auf der Fahrbahn gelaufen. Ich wollte lieber von einem Auto überfahren werden, als einer Ratte zum Opfer fallen.
Irgendwann bin ich zuhause angekommen und hab erstmal an der Tür gelauscht, ob ich verdächtige Geräusche höre? Bei dem geringsten Rascheln oder Piepsen hätte ich die Wohnung fluchtartig wieder verlassen. Aber alles blieb still und so habe ich den schweren, gusseisernen Aschenbecher aus dem Wohnzimmerschrank geholt und auf den Toilettendeckel gestellt. Mich überhaupt ins Bad vorzuwagen, hat mich einiges an Überwindung gekostet. Die Toilette benutze ich jedenfalls nicht mehr. Soviel steht fest! Für meine Notdurft wird der Putzeimer vorerst reichen. Erich kommt ja erst nächste Woche von seiner Fernfahrertour zurück und bis dahin wird mir schon etwas einfallen…
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Ich lege das Tagebuch beiseite und starre an die kalkweiße Zimmerdecke. Seit ein paar Wochen bin ich nun hier. Wie hatte es soweit kommen können?
Ich weiß noch, daß ich die halbe Nacht sitzend im Bett verbracht und mir den Kopf zerbrochen habe.
Erich konnte ich unmöglich von meinen Ängsten erzählen. Er würde mich bestimmt nur auslachen oder mich für verrückt erklären.
Wie konnte ich die berühmte „Schüssel“ umgehen und trotzdem mein „Geschäft verrichten“?
Eine Chemietoilette! Das war die Idee! Da war man zumindest vor tückischen Attacken aus der Unterwelt sicher!
Mich hat fast der Schlag getroffen, als ich nach der Lesebrille auf dem Nachttisch griff! Meine Hand hatte etwas Felliges berührt und ich wähnte schon einen dieser grässlichen Riesennager in unmittelbarer Nähe, bis ich feststellte, daß es das Brillenetui aus Tigerfellimitat gewesen war. Ich kann gar nicht beschreiben, wieviele Steine mir gleichzeitig vom Herzen gefallen sind!
Ich ergriff mein Handy und sah bei Amazon nach.
„Mambo Potti“ hieß das Ding, glaube ich, das im Angebot war. Von 115 Euro runtergesetzt auf 69 Euro. 4 von 5 Sternen! Kostenlose Lieferung. Na, das war doch wohl ein „Schnäppchen“!
Aber wohin mit dem Inhalt, wenn der Behälter voll war? In die Toilette kippen? Dann doch lieber der Eimer. Den konnte ich zumindest relativ unauffällig draußen im Gulli entleeren. Merkt ja keiner, daß es kein Putzwasser ist.
In dieser Nacht fasste ich den Entschluss, so wenig wie möglich zu trinken, um nicht so oft zu „müssen“. Mit dem „großen Geschäft“ würde es allerdings nicht ganz so leicht. Irgendwo hatte ich gelesen, daß man den Schließmuskel trainieren kann.
Damit begann der eigentliche Alptraum.
Erich merkte recht schnell, daß etwas mit mir nicht stimmte. Ich käme ihm so nervös und gereizt vor und was der klobige Aschenbecher auf dem Klo soll, wollte er wissen? Als ich ihm dann eröffnete, daß die Reinigung der Toilette zukünftig seine Aufgabe sei, hielt er es wohl für einen vorübergehenden Anflug von Genderwahn.
Noch mehr wunderte ihn, daß ich plötzlich sämtliche Einladungen von Freunden ausschlug und auch jegliches Grillen im Garten ablehnte? Ich hatte jedesmal eine andere Ausrede parat. Kopfschmerzen, Übelkeit, schlecht geschlafen usw., usw…
Aber er wollte unbedingt, daß ich wenigstens zu Olivers Geburtstag Ende des Monats mitkomme. Ich sagte zu. Nicht, weil ich es wirklich vorhatte. Nur, damit endlich Ruhe war. Ich würde bis dahin sicher auch hierfür eine Ausrede finden.
Aber die brauchte ich gar nicht. Ich hatte an dem besagten Tag tatsächlich heftige Bauchschmerzen, da ich über mehrere Tage meine Darmtätigkeit erfolgreich unterdrückt hatte. Die Schmerzen legten sich wieder.
Also machte ich weiter wie bisher. Ich trank und aß so wenig wie möglich und hatte am Ende meinen Darm soweit im Griff, daß er meiner Gegenwehr brav zu gehorchen schien.
Übelkeitsattacken und zeitweilig heftige Bauchschmerzen tat ich Erich gegenüber als Magen-Darm-Infektion ab. Ich glaube nicht, daß er das wirklich geschluckt hat. Langsam machte er sich Sorgen. Zu Recht.
Irgendwann war das Maß voll. Ich weiß noch, daß ich auf dem Boden lag und mich vor Schmerzen krümmte. Dabei übergab ich mich auf unserem hellbeigen Velourteppich und mein Erbrochenes brachte ein „undefinierbares, braunes Etwas“ zum Vorschein. Erich alarmierte panisch den Notarzt und man fuhr mich mit Blaulicht ins nächstgelegene Krankenhaus. Mehr weiß ich nicht mehr.
Tage später sagte mir der behandelnde Arzt, daß ich unverschämtes Glück gehabt hätte! Mit einem Darmverschluß sei nicht zu spaßen!
Erich tut mir wahnsinnig leid. Er macht sich ununterbrochen Vorwürfe. Er ist entsetzt und gleichzeitig traurig, daß er den Ernst der Lage nicht früher erkannt hat und daß ich ihm so wenig Vertrauen geschenkt habe.
Immerhin ist er froh, daß ich inzwischen gute Fortschritte gemacht habe und in ein paar Tagen entlassen werden kann.
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Es klopft. Anne steckt den Kopf durch den Türspalt.
„Was machst Du denn für Sachen?“
Sie legt einen kleinen Blumenstrauß auf das Schränkchen neben meinem Bett und umarmt mich herzlich.
„Hör bloß auf!“ sage ich. „Hättest Du mich nicht zu diesem blöden Frauennachmittag überredet, wäre das alles nicht passiert!“
„Wieso das denn?“
„Kennst Du diese Frau Kleinötter. Sie hat mich an der Tür begrüßt und mir erzählt…“
Weiter komme ich nicht.
„Ach, die Frau Kleinötter, die erzählt viel, wenn der Tag lang ist!“ unterbricht mich Anne.
„Sie behauptet, daß in unserem Ortsteil Ratten durch die Kanalisation kommen und ganz stickum in den Toilettenrohren lauern, um Menschen in ihre intimsten Körperteile zu beißen.“ sage ich.
„So ein Quatsch!“
„Zur Vorsicht hat sie seitdem einen Ziegelstein auf die Toilette gelegt, weil die Biester angeblich sonst den Deckel hochdrücken und herausspringen.“
Anne sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
„Frau Kleinötter wohnt im 5. Stock. Glaubst Du, die Ratten sind so blöd, bis in das oberste Stockwerk zu klettern, wenn sie ihr Unwesen genauso gut im Erdgeschoss treiben können?“
Wie gut, daß ich in einem einstöckigen Bungalow wohne….