Anne Zeisig

ENDLICH FREITAG!

Nach einem fröhlichen Geplänkel umkreisen seine heißen Hände ihre Kniescheiben, gleiten den Oberschenkel hinauf und ziehen ihre Legging hastig hinunter.
Ihre Härchen stellen sich flirrend auf, unter ihrer nackten Haut spürt sie die kalte Oberfläche der Tischoberfläche.

„Nicht hier!“, zischt sie und versucht, sich seitlich wegzuwinden.

„Ich will dich aber hier und jetzt!“, befielt er keuchend, drückt plötzlich ihren Oberkörper auf die Tischplatte.

Ihr Hinterkopf kommt hart auf der Tastatur zu liegen. Ein geiles Flimmern blitzt aus dem entrückten Blick seiner geweiteten Augen.
Lexa krallt sich an seinem Rücken fest.
Seine Geilheit hat sie lange vermisst und saugt ihn nass und tief in sich auf.

„Du machst mich an mit deinen rotlackierten Fingernägeln, die sich nicht nur virtuos auf der Tastatur bewegen, sondern auch auf meiner nackten Haut.“
Er fasst in ihr volles Haar und zieht ihren Kopf nach hinten, seine Stöße sind heftiger als gewohnt: „Du scharfes Vollblutweib!“

„Ich und virtuos?“, hechelt sie. „Ich und Rotlackierte?“
Ihre Erregung flacht ab, aber da stöhnt er noch einmal auf vor dem letzten Ruck und ergießt sich in sie.

„Du bist wunderbar, Marietta!“, säuselt er und rollt sich von ihr weg.

* * *

RÜCKBLENDE: MONTAG BIS DONNERSTAG

Lexa sank aufs Sofa und sah ihre beiden Töchter an. „Kita geschlossen. Schule dicht“, sagte sie tonlos. „Ich muss sofort euren Vater anrufen.“

Die Mädels kuschelten sich zu ihrer Mutter: „Aber Papa muss doch arbeiten.“

Ihre Mutter schüttelte ihre schwarze Mähne. „Ich auch!“
Ihr Mann müsste sofort seine Geschäftsreise unterbrechen!

„Juchhe!“, krakeelte die Fünfjährige und hielt ihren Teddy eng an sich gepresst: „Wir fahren zu Oma und Opa!“

„Bist du blöd?“, maulte die Ältere. „Oma und Opa dürfen uns nicht beaufsichtigen, weil die zur Risikogruppe gehören! Opa hat immer zu viel Zucker im Blut, bei Oma ist es der Blutdruck.“ Die Augen der Tochter blitzten triumphierend auf, denn bei den Großeltern mütterlicherseits mussten die Mädels beim Essen immer ruhig sitzen. Und das bereits um Punkt Zwölf. Mit Stoffservietten!
‘Und kein Handy, meine Große’, sagt die Oma immer, ‘wir spielen <Memory> mit deiner kleinen Schwester.’

„Stimmt“, flüsterte Lexa und rief ihren Mann an: „Dirk. Was ist mit deinen Eltern?“ Obwohl sie wusste, wie die Antwort ausfallen würde.

„Aber Mausi! Was für eine Frage! Am Freitag bin ich doch da! Bussy!“

„Supi. Dahin können sie uns also auch nicht abschieben“, meinte die Größere. „Nie gibt es dort Pommes mit Ketschup wegen der ungesättigten Fettsäuren.“

Lexa knuffte ihre Tochter in die Seite: „Seit wann bist du Ernährungsexpertin?“ Sie lächelten sich an.

„Mein Teddy will da aber hin.“ Der Jüngeren kullerten ein paar Tränen über die Pausbäckchen.

Die Schwester nahm die Kleine in den Arm: „Wenn ich nicht zur Schule muss, dann spiele ich halt diesen kitschigen Kindergartenkram mit dir.“ Sie rückte wieder von der Jüngeren ab. „Aber nur einmal am Tag <Memory> damit das klar ist.“

„Dann musst du eben ins Home-Office!“, machte Lexa ihrem Mann den rettenden Vorschlag. „Dann habe ich den Rücken frei und kann in die Redaktion.“

Es entstand eine kurze Pause.

„Das geht absolut nicht!“,sagte er sehr laut. „Hast du vor lauter Arbeit in der letzten Zeit überhaupt noch was mitbekommen? Wir haben die Produktion um zweihundert Prozent hochgefahren! Ich bin in der Firma unabkömmlich! Es geht um die essentielle Frage, ob die Verbraucher vor Ostern eher auf Kamillenduft abfahren oder ob die ‘weiße Orchidee’ beliebter ist. Da geht es um Milliardenumsätze! Und da kommst du mir mit deinem ach so wichtigen Redaktions-Beitrag für das ‘Pastagericht des Monats’daher!“

„Ach!“, fauchte sie. „Du hast also Anwesenheitspflicht und ich soll von Zuhause aus arbeiten? Mit den Kids neben dem Schreibtisch, die ich auch noch entertainern muss?“

„Am Freitag bin ich Daheim!“

Sie warf das Handy wütend aufs Sofa.

“Mama! Wir helfen dir!“, erklärten die Kinder und besonders die Ältere verpflichtete sich zum Küchendienst.

* * *

Die Hilfe der Töchter hatte sichtbare Spuren hinterlassen.
An den Küchenfronten, auf den Arbeitsplatten und dem Fliesenspiegel war abzulesen, was es in den letzten Tagen zu essen gegeben hatte: Spagettis mit roter Soße, Makkaronis mit grünem Dipp, Hörnchennudeln mit heller Tunke, Muschelpasta mit klarer Brühe.
Am Freitag entschloss sich Lexa zu einer ‘kontaktlosen’ bargeldlosen Pizzalieferung per Pay-Pal, damit sich das Ceranfeld unter der Salzwasserkruste erholen konnte.

„Liefert ihr auch einen halbtrockenen Rotwein?“

„Ja. Gerne. Aber wir müssen darauf hinweisen, dass der sich nicht zum Desinfizieren eignet.“

„Okay! Bitte sechs Flaschen davon!“

„Es gehen nur zwei, wegen der haushaltsüblichen Mengen.“

„Aber ich will ihn doch trinken!“

„Ach. Ungewöhnlich in diesen Zeiten.“

„Ich bin im Home-Office“,schluchzte sie. „Alleinerziehend mit zwei Kindern!“

„Sie Arme! Wir kommen schnellstens mit drei Flaschen!“

Die Boten trugen Schutzkleidung, sahen aus wie diese Marsmännchen aus den SF-Filmen und hielten zwei Meter Mindestabstand.
‘Trinkgeld bitte nur in einem weißen Umschlag DIN-A-5 überreichen. Die Umverpackung der Speisen per Sondermüll entsorgen.’, hatte auf der Seite von <Essenshelden & Liefer-Covid.> gestanden.

Das grüne OP-Männchen offerierte seine Köstlichkeiten auf den verdreckten Podestfliesen vor der Haustür und nuschelte „Guten Appetit.“
Schnappte sich das Kuvert und nur noch der Hauch einer mehr oder weniger aromatischen Abgaswolke erinnerte daran, dass er überhaupt hier gewesen war.

Und warum war das Eingangspodest schmutzig?
Weil die Putzfrau sich für das Kurzarbeitergeld entschieden hatte wegen des Ansteckungsrisikos bei den Kids.
Schließlich sei sie Fünfzig, gehöre zur Risikogruppe der Großelterngeneration und ihre Raucherlunge sei auch vorgeschädigt.
Vermutete sie. Wegen der Warnungen auf den Zigarettenpackungen.
Zudem habe sie einen Mann Zuhause, der vorerkrankt sei:
„Langzeitarbeitslos seit zwanzig Jahren. DAS macht krank und depressiv, können Sie mir glauben! Aber wenn das alles vorbei ist, komme ich gerne wieder und putze das große Haus. Jedoch nur, wenn Desinfektionsmittel, Handschuhe und Mundmasken vorhanden sind!“

„Warum das? Wenn doch irgendwann die Ansteckung vorbei sein sollte.“

Sie zeigte auf den Hund. „Tiere tragen ständig Corona mit sich herum. Und so ein Hund stammt ja vom Wolf ab, der hat Wildtiergene in sich. Wie die in China.“

* * *

„Ich will endlich wieder zu meinen Freundinnen in die Kita! Keiner spielt mit mir!“

„Geh doch raus in den Garten! Schaukeln!“ Lexa versuchte, sich am PC auf ihre Recherche zu konzentrieren.

„Keine Lust. <Memory> wäre schön.“

„Mama muss arbeiten! Es geht um das Pastarezept, welches mein Chef bis Redaktionsschluss von mir haben will. Danach backen wir einen Kuchen!“

„Aber Mama! Es gab kein Mehl im Supermarkt!“, maulte die Größere. Sie biss in die Pizza.

* * *

„Hast du das gehört, Schatz? Die Mädels vermissen dich!“ Sie hielt das Handy in Richtung der Töchter.

„Tut mir leid, meine Mäuse! Bussy, Bussy! Seid froh, dass Papa keine Kurzarbeit hat!“

„Mama hat kein Klopapier gekauft!“, rief die Ältere noch hinterher.

„Weil keines mehr da war“, sagte Lexa.

Aber Dirk hörte das nicht mehr.
Er war in seinem Büro sehr beschäftigt.

* * *

ENDLICH FREITAG? LEIDER JA!

„Marietta????!!!“, schreit Lexa schrill.
Sie stößt ihren Mann Dirk kraftvoll von sich und gleitet vom Glastisch hinunter: „Ich heiße Lexa!“

„A-aber, das habe ich doch gesagt, Mausi.“ Er rappelt sich hoch, zieht hastig seine Hose an und schließt mit zitternden Händen den Zipper. „Ich, äh, tja …“

„Deine Sekretärin heißt Marietta!“, zischt seine Frau, läuft ins Badezimmer und zieht das letze Blatt des Toilettenpapiers von der Rolle und schnieft hinein.

„Scheiß Home-Office!“, mault der Ehemann, „da kommt man ja total durcheinander! Marietta! Lexa! Hört doch beides am Ende mit ‘A’ auf!“

„Und Arsch beginnt mit ‘A’!“, heult seine Frau in das zerknüllte Papier hinein.
Lexa sinkt vor dem WC nieder: „Marietta! Zwanzig Jahre jünger als ich! Kinderlos! Ergo ohne ausgebeulte Vagina!“ Sie will sich noch etwas Papier abreißen, aber der Halter beherbergt nur noch die Papprolle.
Sie haut wütend mit der Hand vor die Halterung.

Nun erscheint die Jüngste im Bad:
„Papa“, die Kleine umarmt ihren Vater, „wenn Mama doch so weint, weil kein Klopapier da ist, du arbeitest doch in einer Papierfabrik. Hast du uns was mitgebracht?“

Dirk schüttelt den Kopf: „Hattet ihr denn keine Zeit zum Einkaufen? Ich kann da nicht so einfach was mitnehmen. Ich bin in der Entwicklung und Forschung tätig. Da geht es nicht ums Produkt ansich, sondern um den Duft, den es verströmt.“

„Mama! Papa! Nervige Schwester! Essen ist fertig! Pasta mit Margarine“, ruft die Ältere aus der Küche in der ersten Etage. „Übrigens! Das war der letzte Beutel Nudeln!“

* * *

IMMER NOCH FREITAG, ABER SPÄTER:

„Wow! Lexa! DAS war eine absolut anregende Online-Redaktionssitzung“, säuselt ihr Chef, der dickspeckige, ihr über den Äther zu. „Aber die Kollegen und ich zerbrechen uns den Kopf darüber, warum dein Mann Marietta zu dir sagt.“ Er stöhnt. „Oder macht dich sowas besonders an?“

Und Lexa hat tatsächlich geglaubt, dieses Flackern in dem Blick ihres Mannes gelte ihr.
Aber es war nur das Flimmern des Monitors wegen dieses verdammten Meetings.

„Scheiß Home-Office“, flüstert sie matt.

„Marietta! Äh! Lexa! Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden.“

Nun findet sie den Aus-Taster.

ENDversion