Von Caroline Jansen

Normalerweise sollte ich schreien. Oder wäre das für eine 14-jährige nicht typisch? Oder typisch für eine Gegend wie Florida? Wer das Land kennt, weiß eventuell was ich meine. Unser Haus liegt in einer friedlichen Wohngegend. Schöne Landschaft, viel Natur… und dennoch ist diese sogenannte Natur für viele ein Gräuel.

Es war gerade dunkel draußen geworden und ich hatte mir schon den Pyjama übergezogen und wollte nur ganz kurz ins Bad gehen. Doch kaum hatte ich den Klodeckel gehoben, da hätte ich beinahe geschrien. Denn das, was im nassen Grund der Toilette lag, sah man auch hierzulande nicht jeden Tag. Das gewisse Etwas schien aber in diesem Moment auch nicht so recht zu wissen, ob es erschrocken sein sollte oder… keine Ahnung, was im Kopf eines solchen Tieres vor sich ging.

Ich nahm die Hände vom Mund, einigermaßen wieder gefasst und holte mehrere Male tief Luft. Eigentlich hatte ich keine Angst vor solchen Tieren, vor allem da sie nicht giftig waren.

Langsam, sehr langsam, kniete ich mich auf den Boden. Im Normalfall würde ich mich nie so nah mit dem Gesicht über eine Toilette beugen, außer wenn ich mich übergeben müsste.

Das Schlangen-Wesen war vielleicht nur ein Drittel mit seinem Körper draußen. Oder die Hälfe? Sie war nicht sehr groß. Ich tippte auf ein noch sehr junges Tier. Pythons konnten sehr lang werden. Man munkelte sogar 7 Meter oder noch mehr. Dieses hier war bei weitem darunter. Wie lang mochte es sein?

Erschrocken fuhr ich zusammen, als es an der Badezimmer-Tür klopfte.

„Rachel? Alles in Ordnung?“

„Alles okay“, rief ich meiner Mutter zu. Hatte ich doch geschrien, ohne es zu merken?

„Du darfst den Klo-Deckel nicht so laut aufklappen.“

„Okay, alles klar.“

Hätte ich erleichtert sein sollen, als sich ihre Schritte wieder entfernten? Warum hab ich ihr nicht gesagt, dass ein kleiner Tigerpython in der Toilette saß? Würde ich es ihr sagen, würde sie die Behörden, oder wer auch immer dafür zuständig war, verständigen. Diese würden das Tier herausziehen und wegbringen. Aber nicht wieder in die Freiheit. Für nicht-einheimische Tiere war dies nur der letzte Gang zum Seziertisch in eine Uni. Oder sie wurden zu einem Geldbeutel verarbeitet.

Mir wurde ein wenig übel, als mir wieder die Frage aufkam, was ich denn nun machen sollte. Ich versuchte dem Tier in die Augen zu blicken. Schließlich schien es mein Gesuch zu bemerken und neige ein wenig den Kopf zur Seite, sodass sich unsere Blicke trafen. Nach einer Weile tat es mir schon regelrecht leid bei dem Gedanken, dass es eingeschläfert werden sollte.

Langsam krempelte ich die Ärmel hoch und schob meine Hand zögernd vor. Das Tier hob etwas den Kopf. Doch dann stieß es vor, meine Hand wich zurück. Wie bekam ich das Tier jetzt raus? Unmöglich konnte ich solange warten bis es sich dazu entschloss freiwillig aus der Toilette zu kriechen.

Als mein Blick auf einen Stapel frischer Handtücher fiel, kam mir der Gedanke, wie viele Leute eine Schlange damit beruhigt hätten, indem man ihnen ein Tuch über den Kopf gelegt hatte. Als mir nach einigem hin und her einfach nichts Besseres einfiel, schnappte ich mir eines der Handtücher und entfaltete es.

Ich überwand alles in mir und ließ das Tuch über der Toilette fallen, was mit einer hastigen Bewegung des Tieres beantwortet wurde. Doch das Handtuch bedeckte den ganzen Toiletten-Inhalt und Beißen brachte da auch nichts.

Mit gesträubten Nacken, wenn ich ein Fell gehabt hätte, griff ich einfach in die Tuchmasse und versuchte den Kopf zu finden. Schließlich spürte ich ein geballtes Ende und umwickelte es. Als mein Finger das Klo-Wasser berührten, zog ich kurz eine Hand wieder weg und bekam das Bedürfnis mir sofort die Hände zu waschen.

Wieder fühlte ich den Kopf und konnte erst jetzt spüren, was für eine massive Kraft in diesem kleinen Tier steckte. Kein Wunder, bestand sein Körper doch nur aus Muskeln. Krampfhaft umklammerte ich den Hals und versuchte immer mehr mit einer Hand nach unten zu fassen, um nicht im aller schlimmsten Fall den Kopf abzureißen. Das Tier wusste sich zu sträuben, aber mein Wille es herauszubekommen, bündelte sich mit meiner ganzen Kraft und es gelang mir das Tier über den Klo-Rand zu zerren. Das glitschige Rohr führte dazu, dass der lange Körper nach heftigem Ziehen heraus flutschte. Doch kaum war es frei, peitschte es wie wild um sich, sodass das kalte Toilettenwasser durch die Gegend spritzte.

Als mir auch noch was davon ins Gesicht klatschte, warf ich vor lauter Ekel das Tier mitsamt dem Handtuch in die Wanne. Ich sah an mir runter. Meine Hose war auf einem Hosenbein komplett nass, ebenso auf meinen Oberteil über meinem Bauch. Innerlich schrie ich. Ich riss mir den Schlafanzug vom Leib, schmiss ihn in den Schmutzwäschen-Korb und sprang nackt wie ich war unter die Dusche. Dort seifte ich mich hastig komplett ein, verweilte jedoch nicht lange und spähte durch die beschlagene Duschglasscheibe in die Wanne rüber, wo das Tier gerade über den Badewannenrand lugte.

Hastig drehte ich das Wasser ab, angelte nach einem Handtuch, rubbelte mich schnell ab und schlüpfte in meinen Bademantel.

Nachdem ich mich einigermaßen wieder sauber fühlte, griff ich zu einem neuen Handtuch, warf es erneut über das Tier und versuchte es darin einzuwickeln. Dem Kleinen war das nicht gerade geheuer und versuchte mir zu entkommen, doch es gelang mir ihn im großen Tuch drin zu behalten. Mit dem Tuch-Python-Paket in den Händen erhob ich mich und öffnete mit klopfendem Herzen die Badezimmertür. Vorsichtig lugte ich in den Flur.

Ein Glück, meine Mutter befand sich in der Küche.

Mit nackten Füßen huschte ich über den Gang, an der Küchentür vorbei, die zum Glück nur angelehnt war, und peilte die Haustür an. Unser Haus lag nahe eines Waldstücks. Dort würde ich das Tier dann rauslassen. Mich trennten nur noch ein paar Meter von der Haustür, als plötzlich das Licht davor anging.

Jemand stand vor der Tür und steckte den Schlüssel ins Schloss.

Jeff kam zurück.

Ich machte auf dem Absatz sofort kehrt.

Alles nur nicht Jeff.

Mit verkrampften Magen rannte ich den Weg zurück und flüchtete in mein Zimmer. Dort steckte ich das zerknüllte Handtuch unter meine Bettdecke, sprang selber ins Bett und warf mir die Decke über. Ich hörte, wie meine Mutter Jeff begrüßte. Dieser murmelte nur etwas Unverständliches und ging an meiner Zimmertür vorbei ins Gästezimmer. Er wohnte nicht bei uns, sondern kam nur nach Florida zu Besuch, wenn er jagen wollte.

Jeff war 15 Jahre älter als ich und hatte keinen Skrupel. Zumindest was Tiere betraf. Als ich noch ein kleines Mädchen war, kam er als Jugendlicher oft zu uns. Sein Vater war gelernter Jäger und brachte es auch ihm bei. Er fand Spaß am Töten. Als bekannt wurde, dass Pythons wegen ihrer illegalen Einreise bejagt werden dürfen, hatte er einmal ein Python Baby gefangen. Ich war dabei gewesen, als er dem Tier mit einem Messer den Kopf abgetrennt hatte, woraufhin ich schreiend zu meiner Mutter gelaufen war. Hätte ich nicht die ganze Zeit geweint, hätte sie ihm wohl nicht eingebläut mir in Zukunft keine verstümmelten Tiere mehr vorzuhalten.

Ich zuckte zusammen. Das Tier hatte sich aus dem Handtuch rausgewuselt und schlängelte jetzt unter der Decke herum. Mir blieb das Herz stehen, als nach einem kurzen Klopfen sich meine Zimmertür einen Spalt öffnete und der Kopf meiner Mutter reinschaute. Natürlich wunderte sie sich, dass ich schon im Bett lag. Schnell griff ich nach einem Buch, das neben mir auf dem Nachtisch lag.

„Es ist alles okay“, sagte ich, als sie näher an mein Bett trat. Dabei war ich innerlich auf dem elektrischen Stuhl.

Mir fiel fast das Buch aus der Hand, als auch Jeff plötzlich in der Tür stand. Meine Augen waren auf seine Jacke fixiert. Ich wusste, dass er darunter immer sein Jagdmesser trug. Der Nikotingeruch, der an seiner Kleidung haftete, füllte den ganzen Eingang zu meinem Zimmer.

Ich musste mir die Zähne zusammenbeißen, als der kleine Python unter der Decke über meinen nackten Unterschenkel kroch und seine Zunge auf meiner Haut kitzelte. Wenn er noch weiter runter glitt, würde er die kitzeligste Stelle meiner Fußsohle berühren, die mich bis jetzt immer zum Aufkreischen gebracht hatte.

„Seit wann liegt man mit Bademantel im Bett?“, wunderte sich Jeff.

Es klang eher abfällig als eine nüchterne Frage.

„Was geht dich das an, wie ich mich in meinem Zimmer anziehe. Raus!“

Zum Glück zog er Leine. Auch meine Mutter verließ das Zimmer, allerdings nur um zu sehen, ob Jeff noch was brauchte. Mir fielen tausend Steine vom Herzen, als ich nach einer Minute aufatmen konnte.

Ich schlug die Decke beiseite. Der kleine Python zog hastig den Kopf unter dem Handtuch wieder ein und ich vergaß mein Vorhaben wieder das Tier vor die Tür zu setzen. Irgendwann würden Jäger wie Jeff ihn finden und töten.

Noch völlig durch den Wind krabbelte ich aus dem Bett und ging im Zimmer auf und ab. Im Bett konnte er aber nicht bleiben. Mein Blick fiel auf eine Plastikbox, wo ich ein paar alte Spielsachen aufbewahrte. Nach einigem Überlegen kippte ich den Inhalt aus und legte eine kleine Decke dazu. Dort setzte ich das Tier dann rein und schloss den Deckel wieder. Ersticken konnte es nicht, da die Kiste ein paar schmale Schlitze an der Seite besaß. Anschließend holte ich einen frischen Pyjama raus und begab mich tief in Gedanken wieder ins Bett. Noch lange blieb mein Blick auf der verschlossenen Spielzeugkiste haften. Vielleicht würde ich ihn irgendwo anders aussetzen. Irgendwo. Vielleicht.

 

Seitdem sind über 5 Jahre vergangen. Mittlerweile ist das Tier erwachsen geworden und wohnt bei einem Freund von mir, ohne dass jemand davon weiß. Es wundert mich selber, dass ich das Tier vor meiner Mutter solange geheim halten konnte. Wenn sie nicht im Haus gewesen war, hatte ich Futter aufgetaut und den Kleinen damit gefüttert. Jedenfalls kann ich es kaum erwarten von Zuhause auszuziehen und Jeff nie mehr sehen zu müssen, der mittlerweile einen Arm weniger hat, weil ihm ein Alligator während der Python-Jagd die Hand abgebissen hat.