Karin Endler

Sybille machte sich schon seit letztem Jahr Gedanken, ein ausgefallenes Geschenk für Konstantins runden Geburtstag zu finden. Im September fiel ihr ein kleiner Artikel in der Tageszeitung auf: Beginn des Namensverkaufs der Hoch- und Tiefdruckgebiete für das kommende Jahr. Diesmal bekamen die Tiefdruckgebiete männliche Vornamen. Sybille zögerte kurz, ob Konstantin sich daran stören würde. Schnell wischte sie ihre Bedenken beiseite, sein Leitspruch war doch: ‚Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung‘. Der Geburtstag war erst im Mai, da blieb ihr noch genug Zeit, um die Wetterpatenschaft zu beantragen.

 

Der Festtag war gekommen, ein strahlend schöner Tag. Die ganze Familie, Kinder und Enkelkinder, waren im Garten um Konstantin versammelt, als er die Kerzen auf seiner Torte ausblies. Er, den es bei jedem Wetter hinauszog, war zunächst über die Wetterpatenschaft hoch erfreut gewesen – ein Tiefdruckgebiet „Konstantin“! Erst als die Enkelkinder witzelten, dass der Opa gar nicht so stürmisch sei, war er grummelig geworden.

 

Und der Wettergott hatte das Geschenk prompt geliefert. Schon wenige Tage nach der Geburtstagsfeier brach das herrschende Hochdruckgebiet ein und die Tiefdruckfront „Konstantin“ fegte über Europa mit Gewitter und Sturm, entwurzelten Bäumen und abgebrochenen Strommasten, abgedeckten Dächern und überfluteten Kellern, Stromausfällen bei den Zügen und Hagelschäden in der Landwirtschaft. Je näher das schlechte Wetter kam, umso schlechter wurde Konstantins Laune. Als ihn auch noch seine Kumpel beim Stammtisch damit aufzogen, gab er Sybille an allem Unglück die Schuld.

„Wie kommst du überhaupt auf so eine Schnapsidee, mir eine Wetterpatenschaft zu schenken? Noch dazu für ein Tiefdruckgebiet! Wer schenkt schon schlechtes Wetter zum Geburtstag? So etwas kann nur dir einfallen!

„Ich hab dir doch nicht das schlechte Wetter geschenkt, sondern nur eine Patenschaft. Es hätte erst nächstes Jahr für männliche Vornamen Hochdruckwetter gegeben, zu spät für deinen runden Geburtstag.“

„Willst du mir damit etwas sagen, wo ich doch immer um Frieden und Harmonie bemüht bin? Ist unser beschauliches Leben für dich nicht gut genug?“

„Ich will dir damit gar nichts sagen. Ich wollte dir eine Freude machen und weil es nichts gibt, was du dir wünscht – das betonst du ja immer – musste ich mir eben etwas ausdenken. Ich konnte nicht ahnen, dass ausgerechnet dieses Tiefdruckgebiet so viel Schaden anrichtet. Andere bringen bloß Regen, den die Landwirtschaft dringend braucht.“

„Papperlapapp! Du redest dich bloß heraus!“

Sybille war sprachlos. Was war aus ihrem liebevollen Gatten geworden? Hatte sie sich all die Jahre in ihm getäuscht? Das harmonische Eheleben war doch kein Schauspiel gewesen – oder doch? Hatte sie irgendwelche Anzeichen übersehen?

 

Die Nachrichten brachten Bilder von überfluteten Landstrichen, von abgedeckten Dächern. Eine Joggerin war von einem Baum erschlagen worden, ein Autolenker wäre in einer überschwemmten Unterführung fast ertrunken, weil er die Tür seines Fahrzeuges nicht öffnen konnte. Für die kommende Nacht wurde erneut Sturm und Starkregen vorausgesagt. Es wurde vor einem Aufenthalt unter Bäumen gewarnt.

„Und dieses Mistwetter trägt meinen Namen! Soll ich mich vielleicht darüber freuen, dass so viel Unglück mit meinem Namen verbunden ist?“

„Nein, natürlich ist das keine Freude, trotzdem kannst du mir dafür keine Schuld geben“, Sybille war den Tränen nah. Nie hätte sie gedacht, dass ein Geschenk so viel Unglück mit sich bringen könnte.

In der Nacht passierte es. Der Regen überflutete den Garten und die aufgeschwemmte Erde rann bei den Schachtfenstern ins Haus. Die Feuerwehr musste anrücken, um den Keller, der gut einen Meter unter Wasser stand, auszupumpen. Den nächsten Tag bemühte sich Sybille, die Schlammspuren von den Gartengeräten und den Einkochgläsern wegzuwaschen. Danach machte sie sich daran, die Schachteln und Kisten zu öffnen, die mit Schlammwasser gefüllt gewesen waren. In einer Pappkartonschachtel, die schon ewig unbeachtet in einer Ecke gestanden hatte, fand sie alte Briefe. Sie waren völlig durchnässt, trotzdem konnte sie lesen, dass sie an Konstantin adressiert waren – und es war nicht ihre Schrift. Sie ging hinauf ins Wohnzimmer, wo ihr Mann vor dem Fernseher saß.

„Konstantin, ich habe beim Aufräumen im Keller eine Schachtel mit Briefen gefunden, die dir gehören. Sie sind leider durch das Wasser zerstört worden.“

„Was? Das auch noch! Jetzt kramst du schon in meinen Sachen herum!“

„Ich habe nicht in deinen Sacher herumgekramt, sondern ich habe einige Schachteln geöffnet, um das, was drinnen war, trocken zu legen.“

„Hast du die Briefe gelesen?“

„Nein, natürlich nicht. Wäre gar nicht möglich gewesen, die sind völlig durchnässt. Ich will nicht fragen, von wem die Briefe sind. Du sollst bloß wissen, dass sie zerstört wurden. Du bist nicht mit in den Keller gegangen, um beim Aufräumen zu helfen. Das hast du mir überlassen. Jetzt darfst du dich nicht beschweren, dass ich überall hineinsehe. Ich wusste ja gar nicht, dass du Geheimnisse vor mir hast.“

„Die Briefe sind von Evelyn! So, jetzt weißt du es! Aber das geht dich nichts an, das war vor unserer Hochzeit. Wenn mein bester Freund Anton sie mir nicht weggeschnappt hätte, wäre ich jetzt mit ihr verheiratet! Deine Einfältigkeit geht mir schon lange auf die Nerven. Du wirst nicht einmal eifersüchtig, wenn du fremde Briefe findest. Das ist doch nicht normal!“

Sybille starrte Konstantin fassungslos an. Dass er von einer früheren Freundin nie etwas erzählt hatte, war eine Sache, aber dass er sie jetzt beschimpfte, weil sie nicht eifersüchtig war, traf sie schwer. Sie waren beide immer froh gewesen, dass es bei ihnen keinen Streit, wie bei anderen Paaren in ihrem Bekanntenkreis, gab. Und Konstantin war selbst immer um Harmonie bemüht gewesen. Was hatte sie da bloß losgetreten?

Ein ohrenbetäubender Krach riss Sybille aus ihren Gedanken. Die Eheleute liefen vor das Haus. Das Dach des Wintergartens, den Konstantin im Vorjahr gebaut hatte, war vom Sturm weggerissen worden. Es war bis in die Einfahrt geflogen und hatte dort den neuen SUV, auf den Konstantin so stolz war, demoliert. Konstantin starrte lange auf die Verwüstung, dann drehte er sich zu Sybille um.

„Nun, gefällt dir das? Ein wunderbares Geschenk, muss ich schon sagen. Alles was mir wichtig ist, ist zerstört – meine Briefe, mein Wintergarten, mein Auto!“

Sybille wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie stand nur da. Ihre Tränen mischten sich mit dem Regen, der über ihr Gesicht rann.

 

Gestern war Konstantin ausgezogen, ohne ein Wort zu sagen, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Sybille saß am Küchentisch und weinte. Das Haus war eine Ruine, der Garten eine Morastlandschaft, die Ehe ein Scherbenhaufen. Und das Schicksal fand es wohl witzig, dass ausgerechnet das Sturmtief „Konstantin“ ihr Leben verwüstet hatte.

 

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