Von Maria Lehner

„Diese alten Kunststoffpuppen stehen nicht für unsere ökofairen Produkte. Sie werden ausgemustert. Wir haben solche aus recycelten und wieder recycelbaren Materialien und natürlichen Zusatzstoffen bestellt“. Mit diesen Worten schloss der Marketingleiter die Sitzung, erhob sich und verließ den Raum. Fedor, der Leiter der Deko-Abteilung saß da mit offenem Mund: Ökofaire Puppen!

„Für dich wird die Arbeit doch leichter“, sagte ein Kollege zu ihm, „du musst nicht mehr die schweren Dinger herumschleppen“. Fedor seufzte. Nichts könnte die vier Schönheiten ersetzen, die man grade so wenig wertschätzend als „Dinger“ bezeichnet hatte.

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Ein paar Wochen später waren die graustichigen gesichtslosen, besser zur Linie des Hauses passenden Puppen da. Glatt und unnahbar. Die schönen, hautfarbenen Kunststoffpuppen nahm Fedor mit. Ausgemustert! Schon auf der Fahrt – sie lagen ein wenig verbogen und übereinandergestapelt – hatte er für jede einzelne ein Kompliment, das echt gemeint war. Für ihn waren sie unverwechselbar:

„Herta, meine Liebe, wie lang kennen wir uns schon? Ist dir klar, dass du für mich die Schönste bist?“

„Silvia, du Dame von Welt, an dir sehen selbst Kartoffelsäcke nach Haute Couture aus!“

„Tanja, hast du bemerkt, dass ich dir immer länger in die Augen geschaut habe als den anderen?“

„Oh Karin, wenn ich deinen Oberarm berühre, hält die Welt an in ihrem Lauf – weißt du das?“.

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Die vier genossen das. Keine schmuddeligen Ansagen, kein Herumgeschiebe, keine rauen Umgangsformen – ein echter Gentleman, dieser Fedor. Im Gartenhäuschen angekommen, reinigte er sie mit milder Seife. Er sah nicht hin, wenn er an diskrete Stellen kam. Hinter dem Gartenhaus ließ er sie trocknen und wickelte sie erst einmal in weiche Frotteetücher. Die Nachbarin vom angrenzenden Grundstück konnte nicht glauben, was sie da sehr verschwommen sah, denn ihre Brille trug sie grade nicht. Mist! Bis die Brille gefunden war, waren die vier und Fedor schon drin. 

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„Ob er uns jetzt verkaufen wird? Wer weiß, an wen wir geraten? An irgendeinen Fetischisten vielleicht“, sagte die eine. „Wir müssen uns für ihn unentbehrlich machen“, meinte die andere. Die dritte warnte „Aber wir müssen es raffiniert angehen“. Die vierte schließlich entwarf ein ausgeklügeltes Annäherungssystem aus kleinen Gesten und zufälligen Berührungen, auf das sich alle einigen konnten.

Nein, er verkaufte die Puppen nicht. Sie wohnten mit ihm im Gartenhäuschen. Er platzierte sie auf dem Sofa und genoss es, im Vorbeigehen einen elektrischen Schlag zu bekommen – war das Karin gewesen? Und hatte nicht Tanja gezwinkert und Herta geseufzt, hatte ihn nicht Silvia gerade zart mit ihrem Fuß berührt?

Im Kaufhaus fiel auf, dass er Damenunterwäsche und -oberbekleidung kaufte: „Für eine Freundin, die grad nicht so mobil ist“, sagte er. Damit glaubte er, sich unverdächtig zu machen. In Wirklichkeit aber war er längst ins Fadenkreuz der Neugierigen geraten. Ah, nicht so mobil? War sie hinter Gittern? Saß sie im Rollstuhl? „Gernot, du wohnst doch sozusagen ums Eck von der Kleingartenkolonie, in der Fedor wohnt – find raus, was da los ist!“

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An manchen Abenden brachte Fedor seinen Schaufensterpuppen etwas mit: einmal einen Organza-Schal, dann eine Halskette aus roten Glasperlen, eine Perücke, Ohrringe. Er ging so gut wie gar nicht mehr aus. Die trauten Abende miteinander – da brauchte es nur Netflix, Knabbergebäck und Bier – waren unbeschreiblich.

Gernot war kein allzu motivierter Herausfinder. Es interessierte ihn auch nicht übermäßig. Dieser Fedor war in allem ein „Besserer“: Sein Gartengrundstück war größer als das der anderen, er hatte die schöneren und dichteren Hecken und sogar einen Teich hatte er hinter seinem Haus, das hatten nur drei in der Siedlung. Es war ein Überbleibsel der alten Ziegelteiche hier in Oberlaa. 

Abends drückte er sich (pflichtschuldig) nahe an die Taxushecken am Maschendrahtzaun, um seine Aufgabe zu erfüllen.

Zufällig war der Vorhang ein Stück offen und Gernot sah Fedor, wie der Herta frisierte, wobei Tanja zusah. Silvia und Karin starrten weiter in den Fernseher, aber eine von beiden hatte ihre Hand auf seine Hüfte gelegt. Wow, der lebt mit vier Frauen. Und alle vertragen sich. 

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Im Laden horchten sie auf. Fedor, der Langweiler? Die Damen unter den Angestellten fanden es beleidigend: Waren sie ihm nicht attraktiv genug? Musste er sich Frauen aus Irgendwoher holen? Die Männer waren neidisch: Was hatte der, das sie nicht hatten? Man begegnete ihm skeptisch. Er bemerkte nichts, Glück macht blind. 

Glück macht auch unvorsichtig. An seinem Grundstück vorbeigehend, konnte man ihn sagen hören: „Tanja, ich glaube, zur geblümten Nylon-Kleiderschürze würden Netzstrümpfe verdammt gut aussehen“. Na, das war ja einer!

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Gernot zog es immer wieder hin zum Platz an der Taxushecke. Er schnitt vorsichtig, sodass es nicht auffiel, kleine Sichtschneisen. Wie lebt es sich mit vier Frauen? 

Fedor stellte Herta, Tanja, Silvia und Karin jetzt im Sommer jeden Samstag bei Schönwetter um 10 Uhr in den Teich und verankerte sie wie immer mit Pflastersteinen, sodass sie für ihn aussahen, als würden sie dort stehen. Er mochte das. Jede trug eine andersfarbige Badekappe. Weil doch jede ihren individuellen Geschmack hatte. Nur beim Drink waren sie sich einig. 

„Meinen Süßen, ich muss noch einmal weg. Macht es euch bequem“. 

Gernot hörte das von draußen: „Ob ich die Damen einmal besuche?“, dachte er. Er stieg über den Zaun. Etwas unvorsichtig. Diesmal hatte Frau Dworak ihre Brille auf der Nase und das Mobiltelefon in Griffweite. 

Neugierig ging er näher heran. Sie bewegten sich nicht? Sie sahen ihn starr an und ihr Blick folgte ihm nicht? Waren sie etwa…

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Gernot stupste Tanja an und spottete: „Na, das eingedellte Kunststoffnäschen hat auch schon bessere Zeiten gesehen, da muss wohl der Schönheitschirurg her“ oder „Vorsicht, crem dich mit Sonnenschutz ein, sonst schlägt das Plastik noch mehr Falten“ zu Herta. Noch wesentlich uncharmantere Sachen sagte er zu Karin und zog ihr die Badekappe so unsanft bis zum Kinn herunter, dass die einen Riss bekam. Zuletzt fasste er Silvia an eine bestimmte Stelle und stellte fest, dass sie dort intakt war. 

Als er sich bereits umgedreht hatte, sich vor Lachen auf die Schenkel klopfte und überlegte, wie er das ausschmücken könnte, wenn er es im Laden erzählen würde, ließ ihn irgendetwas straucheln, zog ihn ins Wasser, hielt seinen Kopf unten…

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„Und nun?“, sagte Helga „wie wird’s weitergehen? Was haben wir nur getan? Man wird die Leiche finden, man wird Fedor verdächtigen. Wir werden irgendwo verramscht oder kommen überhaupt auf den Müll“. 

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Fedor kam heim und schon aus der Ferne sah er Blaulicht. 

„Man hat bei Ihnen eingebrochen, jemand ist über den Zaun gestiegen und ich habe die Polizei gerufen. Ihre Damen waren hinten am Teich und haben nichts gehört.“, Frau Dworak sagte „Damen“ langgezogen, recht gekünstelt und mit spitzen Lippen. Fedor erstarrte. 

Ein rotweißes Plastikband sperrte den Weg zu seinem Grundstück ab. „Was um Himmels Willen…?“ 

„Bleiben Sie zurück …“ 

„Meine Frauen!“ stieß er panisch hervor. Alle sahen ihn an. Es war zu spät, er hatte sich verraten. 

Ein Polizist lachte hämisch. „Ist das ein Kunstprojekt oder haben wir es hier mit speziellen Vorlieben zu tun?“. „Zu welcher Dame gehört eigentlich der mit dem leeren Blick?“ wurde er noch gefragt. 

Fedors erstarrte, als er Gernot sah, der luftschnappend dasaß, sich Wasserpflanzen aus dem Gesicht strich und stotterte: „Ich bin ausgerutscht und in den Teich gefallen“. Die Polizisten blickten abschätzig und sogar spöttisch. Frau Dworak schüttelte sich vor Ekel und zischte: „Abscheulich!“

Es schien, als ob vier Kunststoffköpfe lächeln würden, aber wahrscheinlich waren das nur Rückstände von Algen aus dem Teich. 

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Fedor wischte später Karin und Silvia sorgfältig ab. Gernot durfte assistieren und legte sehr scheu Hand an. Tanjas Blick, vormals abweisend, wurde weich. Hertas bitterer Zug um den Mund entspannte sich, sie seufzte vor Wohlbehagen. 

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„Und, was ist nun mit Fedor und seinen Frauen?“, wurde Gernot gefragt.

„Nichts“, meinte der, „keine Frauen. Ich habe mich doch wohl geirrt. Wahrscheinlich brauche ich eine Brille.“ Nach Dienstende nahm er zum Angestelltenrabatt einen nilgrünen Frisierumhang mit schwarzer Spitze mit. Der würde gut zu Tanjas Augen passen. Herta würde sich hoffentlich über die neue azurblaue Badekappe freuen.

 

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