Von Siegfried Reitzig

 

Dass es riskant werden könnte, war ihnen von vornherein klar, aber die vier trafen sich trotzdem schon das dritte Mal jeweils nach Einbruch der Dunkelheit, um ihr Vorhaben zu besprechen – so auch in dieser Nacht.

„Wir wissen jetzt, wie man rauskommt, und haben auch überlegt, nach ein paar Tagen wieder zurückzukommen“, Evelyn ergriff als erste das Wort, um dann wichtig fortzufahren:
„Aber was machen wir eigentlich, wenn wir frei sind und wohin werden wir gehen? Werden wir es allein schaffen, oder nehmen wir noch jemanden mit?“

„Ich habe eine Idee“, mischte sich nun Birgit in die im Flüsterton geführte Unterhaltung ein:
„Wir wissen doch, wie man in die Männerabteilung kommt und wenn wir den Kerlen von unserem Plan erzählen, macht bestimmt auch einer mit und starke Hilfe können wir doch gewiss gebrauchen.“

Yvonne war da allerdings ganz anderer Meinung:
„Nein,“ sagte sie leise, aber entschlossen, „zu viele Mitwisser können den ganzen Plan kaputt machen! Und Männer wollen doch meistens alles selber bestimmen und das große Wort führen.
Ich bin unbedingt für eine reine Mädelsrunde, wir vier kennen uns doch schon lange und können uns aufeinander verlassen.“

„Wenn ich frei bin, möchte ich erstmal in aller Ruhe ausführlich am Kudamm shoppen gehen.“
Mandy erntete für ihren Wunsch nur entgeistertes Kopfschütteln der anderen.

In diesem Moment waren Schritte auf dem Gang zu hören.

„Achtung, Security“, zischte Evelyn.

Alle vier huschten so leise wie möglich an ihre Plätze zurück und die Taschenlampe des Wachmanns beleuchtete nun nichts Verdächtiges.

„Wenn ich könnte, hätte ich jetzt eine Gänsehaut“, hauchte Yvonne, als der Security-Mann sich weit genug entfernt hatte und alle vier prusteten innerlich mit gruseligem Vergnügen.

„Hört mir bitte zu, dies wird euch bestimmt gefallen“, Birgit entwickelte sich zur Ideenlieferantin dieser Nacht. „Der Pokerclub Krumme Lanke veranstaltet am Samstag ab 8 Uhr einen Wettbewerb für das Guinnessbuch der Rekorde. Es geht dabei um die Pokerrunde mit mindestens vier Personen, die länger als 48 Stunden durchhält. Der Clou ist, dass der Tisch im Wasser steht und Badeklamotten vorgeschrieben sind. Gespielt wird in Ufernähe im Waldsee, Publikum ist auch zugelassen und die Sieger kriegen eine Prämie, ich glaube, so 500 €. Anmelden muss man sich nicht und das wäre doch mal ein besonderes Erlebnis für uns. Ach, findet ihr nicht auch, dass Pokern genau unser Spiel ist!?“

Nach kurzem Nachdenken nickten die Frauen in der Verschwörungsrunde mit ihren ausdruckslosen Gesichtern als Zeichen der Zustimmung und begannen mit der Detailplanung.

„Hast du auch überlegt, wie wir hin- und zurückkommen?“ Evelyn war die Frau fürs Praktische:
„Ein Auto haben wir nicht und einen Taxifahrer möchte ich nicht so nah an uns heranlassen.
Über einen längeren Fußmarsch brauchen wir gar nicht erst nachzudenken – dafür sind wir nicht gemacht!“

Birgit hatte auch darüber schon nachgedacht und konnte berichten:
„Wenn wir hier raus sind, ist es nicht weit zur U-Bahnstation Wittenbergplatz, die fährt durch bis zur Krummen Lanke. Zum Waldsee sind es dann nur noch ein paar Meter Fußweg, das können wir schaffen.“

Auch Yvonne gefiel die Idee, sie wurde direkt ehrgeizig:
„Mädels, ich seh uns schon gewinnen! Wir sind doch wie geschaffen dafür, lange durchzuhalten.
Bedenkt doch mal, wir werden im Wasser nicht frieren und müssen zwischendurch auch nichts essen oder trinken.“

„Und aufs Klo müssen wir auch nicht“, konnte Birgit noch nüchtern beitragen.

Auch Mandy sah sich schon als Siegerin und hatte natürlich so ihre speziellen Vorstellungen:
„Dann kann ich mir endlich ein rotes Kleid kaufen und vielleicht auch noch eine goldene Uhr.
Ich freu mich jetzt schon.“
Die anderen fanden auch diesmal Mandys Absichten sinnlos, ließen sie aber so stehen.

Evelyn fasste zusammen:
„Ich finde den Plan großartig! Wir werden also Freitag, wenn es dunkel ist, ausbrechen um nach Zehlendorf zum Pokern zu fahren. Dass wir weg sind, wird frühestens Samstag Vormittag auffallen und dann sind wir schon über alle Berge. Wir schaffen das – ich freu mich drauf!“

So kam es, dass in der Nacht auf Samstag vier Damen in langen Mänteln unbemerkt und heimlich, aber ganz ohne Herzklopfen, das Gebäude in der Tauentzienstraße durch einen Hinterausgang verließen und in die Freiheit entkamen.
Sie stiegen am Wittenbergplatz in die U-Bahn und fuhren bis zur Endstation Krumme Lanke.
Pünktlich um kurz vor 8 Uhr erreichten sie das Haus am Waldsee, wo bereits diverse Pokertische im Wasser aufgebaut waren und die Turnierteilnehmer erwarteten.
Nachdem sich unsere vier in einer Umkleidekabine ihrer Mäntel entledigt und ihre Perücken gegen Badekappen getauscht hatten, nahmen sie an dem Tisch Platz, der am weitesten vom Ufer entfernt stand – das neugierige Publikum sollte ja nicht alles so genau sehen…

Der Moderator begrüßte die Anwesenden und das Spektakel konnte beginnen.

Zur gleichen Zeit öffnete das Kaufhaus des Westens in Schöneberg seine Pforten und dort herrschte helle Aufregung.
Ein aufmerksamer Kunde hatte den Abteilungsleiter der Damenoberbekleidung des KaDeWe darauf aufmerksam gemacht, dass die vier Schaufensterpuppen, an denen sonst edle Mäntel gezeigt wurden, verschwunden waren. Man vermutete einen Diebstahl und hatte bereits die Polizei eingeschaltet, die zwar alles zu Protokoll nahm, zum Tatbestand aber nichts Erhellendes beitragen konnte.

 In der folgenden Woche veröffentlichte die Steglitz-Zehlendorf Zeitung einen Bericht über den neuen Weltrekord im Wasser-Poker, der am Waldsee nahe der Krummen Lanke aufgestellt worden war.
Die vier Spielerinnen vom Team Evelyn, Birgit, Yvonne und Mandy hatten als Einzige mehr als 48 Stunden gepokert – leider waren sie nach Auszahlung der Siegprämie sofort spurlos verschwunden, so dass über sie nichts weiteres bekannt werden konnte.
Das Büro des Pokerklubs bat im Nachsatz noch um Abholung der nach dem Turnier aufgefundenen Gegenstände, unter denen sich auch vier Perücken älterer Machart befanden.

Nur wenige Tage später war im Polizeibericht der Berliner Zeitung zu lesen, dass die vom KaDeWe als gestohlen gemeldeten Schaufensterpuppen auf mysteriöse Weise wieder aufgetaucht seien.
Der zuständige Abteilungsleiter gab zu Protokoll, dass er sie am Morgen wieder auf ihren Plätzen vorgefunden habe und sie auch wieder mit den teuren Mänteln bekleidet gewesen seien. Er habe die Puppen aber trotzdem kaum wiedererkannt, denn jede trage nun eine sehr modische neue Perücke aus Echthaar.

„Ich kann mir das überhaupt nicht erklären“, berichtete der Abteilungsleiter.
„Die neuen Haarteile auf den Puppenköpfen stammen alle aus dem Perückenstudio Zehlendorf.
Erstklassige Arbeit, aber bei denen haben wir noch nie etwas bestellt – schick, aber viel zu teuer!“

 

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