Von Miklos Muhi

»Es ist so schön hier«, sagte Polyamyda verträumt. »Vielleicht etwas langweilig. So aufgemotzt, wie wir sind, hätten schon die ersten Männer auftauchen sollen.«

Alle kichern, doch ihre Gesichter bleiben unverändert. Mimik war nicht ihr Ding. Jede Bewegung konnte den perfekten Gesichtsputz beschädigen.

»An uns liegt es nicht«, meinte Vinylchlorida. »Wir haben sogar Drinks bereit, falls sie mit uns etwas trinken möchten.«

»Aber diese Mücken, die sind kaum zu ertragen. Langsam glaube ich, dass das hier nicht das berühmte Warmfreibad ist, das alleinstehende Millionäre so gern besuchen«, warf Melamina ein. »Könnte es sein, dass man uns verarscht hat?«

»Ist unsere Geduld zu kurz?«, fragte Epoxiresina scharf.

 

Das Summen der Insekten, die gegen Ende des Sommers noch einmal alles ins Lot warfen, damit im nächsten Frühling eine neue Generation sich aus dem aufgetauten Schlamm erhob, füllte die entstandene Stille aus. Frösche stritten sich darüber, wer wo jagen und sich paaren darf. Das machte es den Störchen leichter, sich einen lauten Imbiss zu fangen.

 

»Wollt ihr etwas spielen?«, fragte Melamina.

»Das wollen wir«, antwortete Epoxiresina, »können wir aber nicht. Sonst könnte der Badeanzug verrutschen oder der Schmuck abfallen. Wir könnten Schmutz aufwirbeln. Was machen wir, wenn die endlich kommen und wir schmutzig sind, unsere Badeanzüge nicht perfekt sitzen oder unsere Schminke nicht perfekt ist?«

»Vielleicht kommt niemand«, sagte Polyamyda, »und wir quälen uns hier für nichts und wieder nichts.«

»Das darfst du nicht sagen!«, warf Vinylchlorida aufgeregt ein. »Hast du schon mal daran gedacht, was dann aus uns wird? Was sind wir dann?«

»Wir sind die Wiederholungen einer oder mehrerer Struktureinheiten, genannt konstitutionelle Repetiereinheiten oder Wiederholeinheiten«, antwortete Polyamyda.

»Ist das denn alles, was wir sind?«, fragte Vinylchlorida. Ihre Stimme zitterte.

»Wer weiß das schon?«, fragte Epoxiresina zurück.

»Wir geben auf keinen Fall auf. Wir warten. Wir werden ja nie sterben oder altern. Kopf hoch, Mädels.«, sagte Vinylchlorida. 

 

*

 

Steffen Henig war mit dem neu eingerichteten Schaufenster zufrieden. Der August neigte sich dem Ende zu. Für seine Geschäfte bedeutete das nur eins: Raus mit der Sommerkollektion, rein mit den neusten Designs für den Herbst.

 

Der Sommerschlussverkauf war in vollem Gange. Alles musste raus, und zwar buchstäblich. Vor allem die Bedenken der Kundschaft mussten ausgeräumt werden. Sie sollten nur den günstigen Preis der farbenfrohen Kleider sehen. Die Kinder in den Entwicklungsländern, die sie nähten und sich in den Färbereien vergifteten oder die Hakenkreuz förmige Kleiderständer, die in osteuropäische Filialen abgeschoben wurden, sollten für die Kaufentscheidung unerheblich bleiben.

 

Jedes zweite Jahr tauschte man auch die Schaufensterpuppen aus. Der Plastikkram war billig. Mehr wollte Steffen Henig nicht wissen.

 

»Herr von Bisphenol, Sie haben ganze Arbeit geleistet. Man kann es kaum glauben, dass Ihre Firma so wenig dafür verlangt hat. Was ist Ihr Geheimnis?«, fragte er seinen Schaufensterdekorateur.

»Ich spare, wo ich kann. In diesem Jahr habe ich bei der Entsorgung ganz drastisch die Kosten reduzieren können.«

 

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