von Renate Oberrisser

Dunkle Gewitterwolken ziehen über den See. Johnny und Jeremy schauen zum Himmel hoch und nicken sich zu. Von den drei Decks der MS Romanshorn erschallt laut Tanzmusik und Gelächter. Die Modenschau  ist vorbei und die Party im vollen Gange. Aus den Fenstern dringt grelles Licht, welches den Bug des Schiffes nicht erhellt.

 

Der verstohlene Ruf einer Nachteule ertönt. Justus nähert sich kaum hörbar der Backbordseite mit seinem Elektroboot. Johnny hievt das erste Paket über die Railing und lässt es langsam am Seil nach unten. Als ein Blitz über den Himmel zuckt drängt Jeremy zur Eile. Er versucht die restlichen drei Bündel gleichzeitig nach unten zu befördern. Beim Donnerkrachen entgleitet ihm die Schnur und die Last verschwindet im Wasser. Er schreit erschrocken auf. Der Strick hinterlässt tiefe Striemen in seinem Fleisch

 

„Bist du verrückt“, zischt Johnny. Der aufkommende Wind zerrt am letzten Paket. Das marode Seil scheuert über das Geländer und zerreißt an einer scharfen Kante.

 

Panisch fischt Justus nach dem Treibgut, welches sich im aufgewühlten Wasser rasch entfernt.  Als ein weiterer Blitz in der Nähe der entschwindenden Beute einschlägt, denkt er resigniert: „Wie konnte ich mich nur schon wieder mit diesen Nieten einlassen, um einen Auftrag zu erledigen.“

 

– – –

 

Langsam geht über dem Wasser die Sonne auf.

 

„Autsch.“ Braina streckt die steifen Glieder. An ihren Handgelenken klimpern glänzende Reifen. Sie fasst sich an die Stirn. Warum treibt sie im Wasser? Warum schmerzt ihr Kopf? Dunkel erinnert sie sich an einen grellen Blitz.

 

„Brrr. Uuaa. Igit. Was für Zeug schwimmt den hier herum?“ Angewidert verzieht Pinka das Gesicht. Wie sehr sie doch natürliche Gewässer und darin schwimmende Pflanzen verabscheut. Mit spitzen Fingern zupft sie Algen aus ihrem Halsschmuck.

 

„Lalala. Lalala.“ Pinkchen nähert sich der Gruppe in eigenartigen Schwimmbewegungen. „Haha. Du hast da eine schöne Schramme am Kopf, Braina. Haha.“

 

„Hör auf zu lachen und wieso strampelst du so albern herum?“, blafft Braina zurück.

 

„Hy Mädels. Seht mal was ich hier gefunden habe.“ Pinky zerrt etwas aus dem Uferschilf. Sie rümpft die Nase, leert die trübe Flüssigkeit aus und setzt die Trinkgefäße zurück in das Schwimmtablett.  Mit ihren Ringe an den Fingern entlockt sie dabei den Gläsern einen beschwingten Rhythmus. „Hell die Gläser klingen …. Wäre richtig gemütlich, wenn wir was feines zu Trinken hätten.“

 

„Ja, ein Gläschen Sekt. Nein, noch besser eine Flasche Schampus. Hauptsache irgendetwas alkoholisches. Meine  armen Nerven. Wie sind wir bloß in diese vermaledeite Lage gekommen.“ Ausnahmsweise sagt niemand etwas gegen Pinkas Diven-Gehabe.

 

„Ich … gurgel …. Hier … gurgel ….“ Zwischen erhobenen Armen verschwindet Pinkchens Gesicht immer wieder unter Wasser bis ihr Pinka die Flaschen aus den Händen nimmt. „Prust, prust. Dort hinten im Schilf ist noch eine ganze Kiste davon. Ist voll scharf. Schmeckt aber trotzdem lecker“, strahlt Pinkchen.

Endlich sind die Gläser gefüllt und das aufgeregte Durcheinander legt sich. Schweigend verharren die Puppen einige Momente und starren vor sich hin.

 

„Ich kann mich noch daran erinnern, ich stand in dieser Ecke und am Tisch neben mir wurde darüber gesprochen, dass jemand die Konkurrenz aus dem Weg räumen wird“, beendet Braina das Schweigen.

 

„Besser hätte es nicht klappen können. Wir sind hier voll in der Pampa. Hier sucht und findet uns niemand. Meine Nerven. Uhuhuhu … .“ Pinka leert das Glas in einem Zug. „Hat eine von euch eine Idee?“, und schaut rundherum in große Augen.

 

„Wir machen uns erst mal einen schönen Tag. Alles andere wird sich schon zeigen.“ Ohne Gegenworte wird Braina Vorschlag angenommen.

 

– – –

 

Müde vom der Wärme und vom Schwimmen genehmigen sich die Mädchen ein weiteres Schlückchen.

 

Pinky spielt beiläufig an ihren Ohrringen herum und sinniert vor sich hin: „Wisst ihr, eigentlich wäre ich wirklich sehr gerne berühmte und reich und überhaupt. Dann könnte ich auch verstehen, wenn mich jemand als Konkurrenz betrachtet. Aber so … .“ Sie erntet unisono Kopfnicken und augenblicklich prasseln die unterschiedlichsten Vermutungen auf sie ein.

 

Ein zufälliger Zaungast würde sich an diesem Tag über den Lärm im Schilf wundern und eine Unzahl an Enten vermuten.

 

„Nur gemeinsam kommen wir aus diesem Schlamassel raus. Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir zusammen halten.“ Trotz dem vielseitigen Geschnatter behält Braina einen Hauch von Überblick.

 

„Prost Mädels. Jetzt müssten wir nur noch irgendwie von hier weg kommen, um unseren Plan umzusetzen.“ Und eine weitere leere Flasche treibt in der leichten Strömung davon.

 

– – –

 

Langsam geht über dem See die Sonne unter.

 

Justus tuckert mit seinem Elektroboot durch einen von Schilf abgegrenzten Teil des Sees. Nach der nervenaufreibenden  und ergebnislosen Suchaktion mit Johnny und Jeremy ist er froh, die Stille des anbrechenden Abends genießen zu können. 

 

„Hallo, hier sind wir. Hierher. Hierher.“

 

Justus nähert sich den rufenden Stimmen. ‚Ich dachte, die Jungs wollten die Modepuppen mitnehmen um damit ihren Partykeller aufzupeppen. Von Entführung echter Puppen war nie die Rede.‘ 

 

Völlig gebannt vom Anblick der winkenden Gestalten, hört er das gurgelnden Geräusch in seinem Rücken nicht. Als das Boot zu schwanken beginnt, dreht es ihn herum. Justus fällt ins Wasser und bemerkt eine wunderschöne Wassernixe, die sich mit anmutiger Bewegung ins Boot zieht.

 

„Wo ist er den so schnell hin?“, wundert sich Braina als sie ins Boot plumpst.

 

„Auf Mädels, jetzt erobern wir die Modewelt!“, hört Justus noch vier lallende Stimmen rufen, als er sich aus dem Algengewirr frei kämpft und  prustend die Wasseroberfläche erreicht.

 

‚Ach hätten wir doch nur die Klunker abgeräumt und nicht gleich die ganzen Christbäume mitgenommen. Wie soll ich das alles bloß den Auftraggebern erklären.‘

 

 

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