von Maximilian Wort

14.April

Klack, klack, klack! Fenja hackte ihre 1-Stern-Amazon-Bewertung mit Schmackes ins Handy. Über die Jahre hatte sie eine spezielle Technik entwickelt, die ihr trotz langer French Nails und zitternder Wut eine hohe Geschwindigkeit und Präzision beim Tippen ermöglichte. »Warum kann man hier nicht null Sterne vergeben?! Völlige Geldverschwendung. Finger weg!!!!« Das verdammte Ringlicht war schon wieder kaputt. Und sie saß da mit nährstoffreichen Spargelschalen im Gesicht und konnte ihr TikTok-Video für die vitalisierende Asparagus-Spring-Mask nicht in der Quali aufzeichnen, die ihren Channel auf das nächste Level boosten würde.

28 Stunden später klingelte es an der Haustür. Fenja nahm das Paket entgegen und wunderte sich über den Blick des Paketboten. Sie wusste nicht, dass ihr noch eine Erdbeerscheibe über dem linken Auge hing (auch das Strawberry-Glow-Video hatte sie wohl oder übel mit der Schreibtischlampe ausleuchten müssen). Noch mehr wunderte sich Fenja aber über den Inhalt des Pakets: Anstelle des erwarteten neuen Ringlichts enthielt der Karton eine geheimnisvolle rote Apparatur und eine Postkarte mit Claude Monets Seerosen. »Der Frühling wird Wow! Deine Heidi« stand als Gruß auf der Rückseite. Hastig öffnete Fenja die Kalender-App. Ihr Adrenalinschub lag richtig: Genau heute vor sieben Jahren hatte Heidi leider kein Foto für Fenja. Und das Einzige, was an Fenja seither nicht gealtert war, war ihr Groll.

Trotz Fußbad mit Senfkörnern und Bedtime-Yoga-Practice konnte Fenja in dieser Nacht schlecht schlafen. Was war das für ein komisches rotes Ding? Kam es wirklich von Heidi? Und warum würde der Frühling so »Wow« werden?

22.April

Fenja hatte seit vier Tagen nur Spargelsalat gegessen, als sie mit der roten Apparatur unterm Arm vor Heidis Anwesen stand – vielleicht würde es ein Fotoshooting geben, dafür musste sie in Shape sein! Fenja lächelte in die Überwachungskamera, als wäre es das Objektiv von Helmut Newton. Zu viel Lächeln? Zu wenig? Sollte sie noch eine andere Pose anbieten? Dann hörte sie den erlösenden Türsummer.

»Fabulous Fenja! Willkommen in meinem Seehaus!« Heidi drückte Fenja zur Begrüßung ungewöhnlich fest und herzlich. Doch irgendetwas an der Umarmung stimmte nicht. Heidis Körper war warm, und doch erschauderte Fenja wie ein Bikini-Model in Moskau.

Fenja war froh, als sie kurz darauf mit drei Leidensgenossinnen aus der GNTM-Zeit in einer geräumigen Sauna saß. Ein großes Fenster gab den Blick auf Heidis See frei. Die zarten Seerosen hielten sich galant über Wasser. Ob sie sich fürchteten – vor der dunklen Tiefe unter ihnen? Fenja scannte die drei »Mädels«, die jetzt langsam zu schwitzen begannen. Samira, Chrissy und Kim waren offensichtlich genauso ahnungslos darüber, was es mit dieser mysteriösen Ex-Model-Reunion auf sich hatte. Auch sie hatten die roten Apparate auf dem Schoß und versuchten, ihre gealterten Körper so gut wie möglich dahinter zu verstecken. Schweigend nippten die vier Frauen an den Sektgläsern, die Heidi ihnen zur Begrüßung gereicht hatte. Dann betrat eine Schamanin die neblige Sauna.

Es war Heidi. Auf ihrem Kopf saß ein diamantbesetzter Katzenschädel, der mit Pfauenfedern und Perlen zu einer Art Krone geknüpft war. In den Händen hielt die Gastgeberin einen dampfenden Trog, aus dem Seerosen hingen. Mit funkelnden Augen goss sie die Flüssigkeit aus dem Trog zischend über die Steine des Saunaofens:

»Ladies! Ich bin super happy, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid. Und ihr werdet eure Entscheidung nicht bereuen, das verspreche ich euch.« Zisch! »Ich will ehrlich mit euch sein. Es gibt schönere und vor allem jüngere Models.« Zisch! Zisch!! Die Hitze war plötzlich kaum noch auszuhalten und die benebelte Luft roch nach Rosen und Seeschlamm. Heidi begann zu tanzen. Ihre Hüften pendelten hypnotisch hin und her, während sie mit ihrer Ansprache fortfuhr: »Aber: Heute werdet ihr euch über alle Imperfections erheben, Ladies! Leiden, Schwäche, Empfindsamkeit – das ist jetzt alles vorbei.« Zisch!!! »Noch seid ihr getrieben von Angst und Lust. Ausgeliefert – einem nörgelnden Bewusstsein, das einem Phantom hinterherjagt: Glück, Zufriedenheit, Lebensfreude. Inneres Erleben ist ein Irrweg der Evolution.« Zisch! »Wie fühlt es sich an, ein lebendiges Wesen zu sein? Warum fühlt es sich überhaupt an? Eine Sackgasse!! Ich bin die Wende. Ich fühle nicht. Ich scheine. Pure Schönheit. Ein Objekt der Begierde ohne Emotionen.« Zisch!

Plötzlich hörte Heidi auf zu tanzen und fixierte Fenja. Wie eine Katze, die sich an einen Jungvogel anschleicht, kam Heidi ihr näher und näher. »Meine süße Fenja! Wie oft standest du vor der Kamera und hättest einfach nur wahnsinning gut aussehen können. Doch irgendwas war immer. Ein Gefühl der Unsicherheit, das dein Lächeln sabotierte, ein BH, der zwickte, oder schlimmer: Stolz, Würde, Trotz. Dein Körper ist schön, aber dein Bewusstsein macht dich hässlich.« Fenja wurde schwindelig. Hilflos klammerte sie sich an das rote Ding auf ihrem Schoß. Es war, als würde davon ein Ruf ausgehen. »Komm, Fenja, komm unter die Oberfläche. Tauch ein in die Stille! Komm!« Fenja konnte nicht widerstehen. Der rote Apparat zog an ihr wie ein schwarzes Loch. Dann hatte sie den Ereignishorizont überschritten und ihr Bewusstsein quoll aus ihren Augen und tropfte in den roten Kasten. Zisch! Stille.

 

Heidi lächelte in die Abendsonne und telefonierte: »Ja, die Badekappen sind auch angekommen. Ja. Sie ziehen sich gerade um. Kein Problem, das sind Profis. Blaue Lippen? Wozu gibt es Lippenstift?« Heidis Gelächter schallte über ihr Anwesen. »Deine Bewusstseins-Fallen sind einfach magic! Wenn ich etwas empfinden könnte, wäre ich jetzt bestimmt glücklich. Ich schick unsere neuen Übermodels jetzt in den Teich. Das wird ein super sweetes Foto!«

 

06.Mai

 

Der Ersatz für das defekte Ringlicht war da. Und wie! Fenjas TikTok-Video mit der Seerosen-Face-Mask erreichte 1,2 Millionen Views. Fenja las eines der Kommentare: »Einfach nur wow!!«

               Fenja fühlte nichts. Und sahe dabei wahnsinnig gut aus.

 

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