Von Theresa Reichmann

Leblos drehte ich mich um. Stumm lag mein Körper in diesem Sumpf und konnte sich nicht bewegen. Freiheit? Was ist das bloß? Noch nie gehört davon. „Hee. Trittst. Drauf. Pass. Auf!“ Die Blaue neben mir machte sich wohl lustig über mich.
Ich hab‘ sie ja gar nicht berührt.
Ein beißender Geruch nach Schimmelpilzen verpestete die Luft und drängte sich in meine Nase.

Plötzlich fing die Grüne gegenüber an zu strampeln und streckte die Hände kerzengerade nach oben. Das Wasser spritze zu allen Seiten und verschmierte mein Make-up. „Hey!“ Doch sie hörte nicht auf. Gar nichts änderte sich. Sie zappelte immer weiter, wie der Fisch im Schnabel eines Eisvogels. Die Fäden an ihren Fingerspitzen schnalzten tief, bis sie mit Tempo wieder an die Wasseroberfläche kamen. Wie konnte sie das nur tun? 

Bald sahen wir alle aus, wie das nasse Fell, das wir gestern beim Shooting anhatten. „Jetzt. Lass. Sein!“, befahl die Pinke, wich zur Seite und blickte wütend zur Nervensäge.
Doch diese kümmerte sich nicht, fing an zu kreischen und zog an ihren Fäden. „Ich. Will. Mehr!“, schrie sie. 

In diesem Moment schnappte etwas nach ihr. Etwas Großes.
Es riss so fest, dass sich der Faden der rechten Hand in zwei Teile trennte. Ihr zitternder Leib krümmte sich und spreizte die Finger. Ich kippte zur Seite. Kein Halt mehr. Alles war reines Chaos. Meine Gedanken schienen zu explodieren.
Nachdem ich mir die Wassertropfen aus den Augen gewischt und das Spektakel vor mir fokussiert hatte, bemerkte ich, was dieses Etwas war.
Es war die riesengroße, fleischige Hand von Slicar, die wir schon jahrelang kannten. Die, die uns anzog und aufzog.
Die, die uns beobachtete, las, uns nie vergaß.
Die Grüne schmiss die Kleidung weg und griff nach der toten Hand ihrer besten Freundin. All das half nun aber nichts mehr. Diese mächtigen Finger quetschten unsere Verbündete nun noch fester zusammen und hoben sie samt Kleidung hinauf in die Lüfte. Was zurück bleib, war ein leerer Platz und tausende Luftbläschen. 

Schockiert von diesem Trubel starrten wir Übriggebliebenen uns an. Unruhe im inneren, nach außen still. „Ich. Angst.“ Die Blaue fasste sich an die Stirn und nahm einen tiefen Atemzug.
Ihr Blick düster wie die Sumpfpflanzen unter uns. „Sie. Uns. Gefahr. Gebracht.“ Wir drei nahmen uns an den Händen und drückten. Erleichtert nahm ich einen tiefen Atemzug und zog die frische Luft in meine Nase ein.

Doch als ich glaubte, das Schlimmste überstanden zu haben, durchbrach abermals die Riesenhand das Wolkengeflecht und zischte den Weg zu uns hinunter. Wir wichen zur Seite.
Die Finger fuhren uns nach. Wir preschten zur anderen Seite und sie berührte uns an den bunten Badehauben. In diesem Augenblick rutschte die Blaue auf Fadenalgen aus und fiel rückwärts ins Wasser. Die andere stolperte und stürzte.
Ich nutzte die Gelegenheit und verdünnisierte mich soweit nach hinten, dass ich mich zwischen dem Schilf verstecken konnte.

Die Riesenhand wirbelte herum und kam dann direkt über den zweien zum Stehen. Ist sie jetzt eingeschlafen, oder wie?
Was passiert jetzt? Wie befürchtet, fischte sie die zwei aus dem Wasser, wickelte die Fäden um sie und schwebte nach oben.
All das Schreien und Quieken half nichts, Betteln und Winseln war unnötig. Schließlich war niemand mehr zu sehen.

Das war zu viel für mein kaputtes Herz. So sehr ich mich anstrengte, ich konnte kein Mitleid empfinden. Es tat mir zwar leid, aber mehr nicht. Was passiert denn nun mit mir? Ich fühlte mich verloren, doch als meine Glieder anfingen zu kribbeln, wurde mir klar, dass etwas getan werden musste.
Es muss doch irgendwo in diesem Drecksloch einen Fluchtort geben. Fäden loswerden, aber sofort. Hastig drehte ich mich um und suchte an der Oberfläche nach Ideen. Da bemerkten meine Seher etwas, das sich auf einem Blatt sonnte. Es war eine Feile. Schnell kraulte ich rüber und begann die Bänder zu schneiden. Es kostete mich viel Kraft, die ich nicht wirklich hatte. Aber es funktionierte. Eins, zwei und drei ließen sich problemlos abschnippeln, doch das letzte war zu stark.
Ohne Vorwarnung segelte die Klaue in meine Richtung. Verdammt. Schneller jetzt! Ich zog so fest ich konnte, wand mich zur Seite und entkam im letzten Moment. Fast hatte sie mich erwischt, doch nur fast. Eilig schnappte ich nach Luft und tauchte unter. 

Immer kühler wurde es, aber ich gab noch nicht auf. Meine Augen weiteten sich. Etwas war dort. Ich musste da hin. Kälter und kälter. Tiefer und tiefer. Bis ich zu einem Loch kam, das zugestöpselt war. Endlich! Ich streckte mich vorwärts, betastete den Stoppel. Eine Welle von hinten. Die Riesenhand suchte im Wasser nach mir. Verflucht, ich musste mich beeilen. Ziehen. Ziehen. Aber es war so schwer. Ich konnte nicht mehr. Fast war die ganze Luft verbraucht. Fast hatte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden. Da klackte es. Ruckartig zog es mich zusammen mit dem Wasser in das Loch. Treiben ließ ich mich. Energie war keine mehr da. Atem auch nicht. 

Irgendwann öffneten sich meine Augen. Die Fußzehen nahmen etwas Weiches wahr. Beine vergruben sich darin.
Der Duft nach exotischen Blumen und Meersalz drängte sich in das Riechorgan. Mein lebendes Herz pochte. Eine Stimme wollte gehört werden. „Bin ich frei?“ Als mir die wunderschöne Umgebung voller Sand und Meer auffiel, wusste ich es.
Eine Träne tanzte über mein Gesicht. „Ich bin frei!“