Von Sabine Reich     

Ich kenne Paul seit ich mit Förmchen und Schippe im Sandkasten hocken konnte.

Welten haben wir zusammen erschaffen und mit unserem kleinen Matchbox Autos erobert.

Zusammen haben wir die Grundschule erledigt, das Gymnasium genommen, das Abitur hingelegt.

Zum Studium sind wir in dieselbe Stadt gezogen, sind jedoch verschiedene Wege gegangen, ohne uns jemals aus den Augen zu verlieren. 

Während Paul strebsam sein Studium durchzog, widmete ich mich mehr den Vergnügungen außerhalb der Uni. Paul hielt Ausschau nach der Mutter seiner zukünftigen Kinder, ich nicht. 

Er hatte sie gefunden und alles lief nach Plan, Job, Haus, Heirat – nur die Kinder, die wollten nicht kommen. Paul fand sich damit ab, tauschte sein großes Haus gegen ein Kleineres mit Schwimmteich, wurde zu einem leidenschaftlichen Schwimmer und schenkte seiner Frau ein Pferd. 

Wir trafen uns selten bei ihm zu haus, meistens gingen wir ausführlich essen – Paul zahlte- und besprachen kurz die Lage der Nation. Wirklich nur im Schnelldurchlauf, denn viel lieber schwelgten wir bei einer exquisiten Flasche Wein in Anekdoten aus unserer Vergangenheit. Paul konnte wunderbar erzählen und mitreißend lachen. Er war ein begabter Erzähler und hätte als Entertainer ganze Hallen füllen können. Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, warum er das Leben eines langweiligen Spießers führte. 

Sein Leben geriet ernsthaft und unwiderruflich aus den Fugen, als seine Frau und Seelengefährtin unheilbar an Krebs erkrankte. Als er mir davon berichtete aß er keinen Bissen, trank dafür um so mehr und sein Schmerz brannte mir ein Loch ins Herz. 

Es war ein Glück, dass ihr Leiden schnell endete und ein Unglück, dass sein Leiden nur noch größer wurde. Unsere gemeinsamen Essen fanden nun oft und immer in seiner Küche statt, bestanden aus dem, was ich uns zubereitete und viel Wein aus seinem Keller. 

Monate später lud Paul mich zum ersten mal wieder zum Essen ein. Auf den ersten Blick habe ich ihn nicht erkannt, er hatte sich den Kopf geschoren, trug dunkle Jeans und ein lila Hemd. Flott und voller Tatendrang, wie ein frisch verliebter Mann. Sprachlos vernahm ich, dass er jetzt alles nachholen wollte, was er in seiner Jugend versäumt hatte. Er aß gut, trank wenig, schwamm noch mehr, kaufte sich ein Cabriolet und eine coole Sonnenbrille. 

Unsere Abende verliefen wie früher, hinterließen in mir jedoch eine nicht greifbare Irritation. 

Paul, der Entertainer trieb sein Spiel mit mir. Ich kannte ihn zu lange und zu gut, um auf ihn hereinzufallen. Es ging ihm nicht gut. Sein neues Auto und der hippe Style konnten mich nicht täuschen. Meinen Vorschlag, dass ich mal wieder für uns kochen könnte, wurde strikt abgelehnt.

Angeblich herrschte Chaos im Haus, unzumutbar sogar für mich.

Meine zunehmende Besorgnis trieb mich eines Abends an seine Gartenpforte. In der Küche brannte Licht. Aus dem Fenster sah mir seine Frau entgegen. Fluchend an meinen Sinnen zweifelnd näherte ich mich, aber der Anblick änderte sich nicht. Da stand sie und lächelte mich an. So schnell ich konnte

rannte ich zur Haustür und hämmerte mit beiden Fäusten dagegen. 

Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf den alten Spießer Paul frei. Ich stürmte in die Küche. Da stand sie, jung, schön, in einem himmelblauen Sommerkleid. Sie rührte sich nicht, den Blick starr in den Garten gerichtet.  Verwirrt drehte ich mich um und sah in das Gesicht meines allerbesten Freundes. Seine Züge wechselten von Bestürzung, über Scham zu abgrundtiefer Trauer.

Ohne nachzudenken nahm ich ihn in meine Arme, hielt ihn fest, bis er sich ausgeweint hatte.

Mit einem Ruck befreite er sich, brachte sein Gesicht in Ordnung, packte mich am Ellenbogen und führte mich in Wohnzimmer. Dort saß seine Frau am Kamin und blicke in ein Buch. Sie trug eine bequeme Yogahose, ein Shirt in ihrer offensichtlichen Lieblingsfarbe hellblau, sowie eine kleine runde Lesebrille. Wir gingen weiter ins Schlafzimmer, wo sie in einem prächtigen Abendkleid vor dem Spiegel saß. Wortlos führte Paul mich weiter in die Garage, in der sie fertig für den Reitstall neben ihrem Geländewagen stand. 

Wir fuhren noch am selben Tag zu einer Klinik. Paul blieb 3 Monate dort. Ich kümmerte mich um das Haus und seine Frauen, die eine befreundete Künstlerin mir mit Kusshand abnahm. 

Heute Abend wird ihr ein Preis verliehen, für das Foto „Vierlinge im Froschteich“. Paul wird mich mit seiner neuen Freundin begleiten. Am Freitag treffen wir uns wieder wie in alten Zeiten,

wir streifen das Weltgeschehen, kramen in alten Anekdoten. Aber vor allem reden wir über unser Leben, wie es jetzt ist. Zwei Freunde auf Ewig.

 

Version 01  – 04.04.2023