Von Anne Klisch

Das Wasser platscht leise, als Undine mit ihrem Kopf die Oberfläche durchbricht. Mit mürrischem Blick rückt sie die Bademütze zurecht, unter der sie die ewig langen, widerspenstigen Locken versteckt. Nereide und Najade sind, wie immer, bereits am abgemachten Treffpunkt. Das kleine Tablett, das zwischen ihnen auf dem Wasser schwimmt, kippt leicht und trudelt zur Seite, als Undine sich zu ihnen gesellt.

Wie immer haben sie Tee und Früchte mitgebracht und auf edlem Porzellan bereitgestellt. Doch Undine ist enttäuscht. Seit Jahren spielt sie dieses Versteckspiel. Bunte Haare verschwinden unsichtbar unter menschlichen Bademützen. Der Oberkörper ist von menschlicher Badekleidung bedeckt und zu essen gibt es warmes Wasser. Undine seufzt. Wie viel lieber hätte sie einmal wie- der eine vollständige Mahlzeit zu sich genommen und das lange Kordel-dicke Haar, zum Erstaunen der Menschheit, wie Algen im Wasser treiben lassen. Doch nicht in diesem Tümpel. Nicht, so lange Nereide und Najade ein Auge auf sie haben.

„Da bist du ja endlich“, begrüßt sie Najade und gießt das warme rötliche Wasser in eine der winzigen Tassen. Tümpel-Wasser tropft dabei von ihren Fingern und ihrem Unterarm. Das Tablett steht, wie immer, nach wenigen Minuten beinahe vollständig unter Wasser. Undine seufzt. Eine lächerliche Konvention, dieses gemeinsame Frühstück. Zumal es jeden Menschen, der vorbeikommt, nur noch mehr verstört, als wenn sie einfach, wie Gott sie geschaffen hatte, im Wasser herumtobt. Genervt lässt sie sich auf den Rücken fallen und starrt in den Himmel. Wasser schwappt über ihren Bauch und ihre lange, breite Flosse bringt das Tablett zum Trudeln.

„Vorsicht!“, sagt Nereide und drückt ihren schuppigen Schweif wieder unter Wasser. „Du verrätst uns noch alle, wenn du weiter so unvorsichtig bist.“

„Vielleicht wäre das ja gut für uns. Entdeckt zu werden.“

Die beiden anderen sehen sie perplex an. „Was sollte daran bitte gut sein?“

„Na, zuallererst Mal, müssten wir dann nicht mehr diese alberne Kleidung tragen. Oder dieses alberne Teekränzchen veranstalten. Außerdem könnt ihr beide ja ganz fröhlich, in Menschengestalt, davon spazieren, wenn nun tatsächlich jemand Verdacht schöpfen würde. Ich kann das nicht. Es wäre also allein mein Problem.“

„Genau deshalb sind wir ja hier: Damit du dich eben gerade nicht verrätst, nur um ein bisschen Gesellschaft zu bekommen. Wäre doch schade, wenn du als Sushi-rolle enden würdest. Oder nicht?“

Undine guckt mürrisch. Was bringt ihr ein Leben ohne Inhalt, nur mit Regeln und Zwängen, wenn nichts davon Spaß macht? Seit zwanzig Jahren hat sie Hunger und bekommt dafür gerade mal ein trauriges Tässchen Tee pro Tag. Es wird Zeit, dass sie einmal wieder jagen darf. Frei und weit und schnell schwimmen. Sie braucht ein saftiges Stück Fleisch. Im besten Fall noch mit einem hübschen Gesicht daran. Aber das versteht hier natürlich niemand. Die Tee trinkenden Warmduscher haben sich in ein ruhiges, langweiliges, reizloses Leben verliebt. Undine seufzt. Gelangweilt und resigniert legt sie den Kopf auf das schwimmende Tischchen, ohne Rücksicht auf das Geschirr, das dabei gegen ihre Stirn stößt oder sogar vom Tablett rutscht. Es platscht nicht einmal, als die Teekanne ins Wasser fällt und im trüben Grau des Tümpels untergeht. Kein Problem, am nächsten Morgen hatten die beiden das Gefäß ohnehin vom Grund des Sees gerettet. Najade und Nereide seufzen empört und versuchen den schwankenden Tisch zu stabilisieren, doch Undine zieht das kleine Floß mit vollem Gewicht nach unten.

„Undine!“, schimpft Najade. Doch Undine hört nur das Knurren ihres Magens und beobachtet die kleinen Wellen, die, von der Vibration ausgelöst, über die Wasseroberfläche rollen. Ein unmelodisches dumpfes Summen ertönt. Doch erst als Najade erschrocken ihre Hand über Undines Mund presst, erkennt auch sie, dass das fremde Geräusch von ihr stammt.

„Hör auf damit!“, faucht Najade und schüttelt Undines schweren Körper. „Du darfst nicht singen und auch sonst niemanden herlocken.“

Undine guckt verdutzt. „Das kann man ja wohl kaum singen nennen! Ich bin schon so lange hier gefangen, da klingt sogar meine Stimme wie Reibeisen.“ Wut-Tränen formen sich in ihren Augen und bleiben in ihren dichten, nassen Wimpern kleben. Gut so, denkt sie, Najade sollte nicht noch mehr Anlass bekommen, sie für ihre Natur zu verurteilen. Tröstend legt Nereide ihre Hand auf Undines Schulter. „Egal wie schief die Melodie für dich auch klingen mag, für Menschen ist sie immer wunderschön.“

„Oh, nun motiviere sie doch bitte nicht noch. Sonst müssen wir sie ab jetzt rund um die Uhr bewachen!“

„Bloß nicht“, zischt Undine. Was für eine Demütigung. „Ich bin eine Sirene! Singen gehört zu meiner Charakterbeschreibung. Seit zwanzig Jahren sitze ich hier jeden Tag und lasse mich von euch herumschubsen. Es wird langweilig! Ich habe Hunger! Ich brauche einmal wieder etwas Richtiges zu essen.“ Schmollend verschränkt Undine die Arme. Doch Najade ist nicht beeindruckt. Mit strengem Blick verschränkt sie ebenfalls die Arme: „Wir leben enthaltsam!“

„Na und? Vielleicht will ich gar nicht enthaltsam leben! Wenn ich noch einmal Tee von einem schwimmenden Tablett trinken muss, stülpt sich wahrscheinlich mein Magen nach außen und verdaut sich selbst!“ Wieder lässt Undine den Kopf fallen, dieses Mal mit Schwung, sodass die geretteten Tässchen vom Tablett ins Wasser springen, wie Kunstturner. Nereide gluckst erschrocken während Najade versucht das Geschirr zu fangen.

„Wir können nur hoffen, dass niemand in der Nähe war.“

Undine seufzt. Es gibt ohnehin nichts, das die beiden umstimmen konnte. Oder sie dazu brachte, Undine einfach tun zu lassen, was auch immer sie für richtig hält.

Auf das trübe Wasser starrend, entdeckt Undine plötzlich eine lange Gestalt, die sich im Wasser spiegelt. Ein junger Mann in sommerlich kurzer Kleidung nähert sich dem See. Sein Blick ist entrückt, das Lächeln entzückt, als er zwischen dem Schilf stehen bleibt und das lustige Teekränzchen entdeckt. Undine setzt sich ruckartig auf. Zu ihrem Glück befindet sich der junge Herr in Najades Rücken, doch Nereide macht bereits große Augen. Sollte sie hoffen, dass er einfach weiter geht, oder sollte sie ihre Chance nutzen? Jetzt, hier. Ein Stückchen Fleisch, mit einem schönen Gesicht.

„Was macht ihr denn da?“, fragt der Mann aufmerksam, obwohl seine Stimme durch den Zauber bereits verzerrt ist. Najade dreht sich schockiert um. Das ‚was hast du nur getan‘ war ihr an der Nasenspitze anzusehen.

„Nur ein kleines Teekränzchen“, antwortet Undine, nicht in der Lage ihre Freude zu verbergen und beginnt ihm entgegen zuschwimmen. Doch Najade schnappt nach ihrem Oberarm und hält sie zurück. „Hör sofort auf damit. Wir verschwinden von hier!“ Ihr Blick ist streng und ihre Stimme kalt, doch Undine hat noch nicht vor aufzugeben.

Der Mann am Ufer lacht. „Dann hoffe ich sehr, dass ihr ein Tässchen für einen durstigen Wanderer entbehren könnt.“

„Nein!“

„Liebend gerne.“

Der Mann zieht sein T-Shirt aus und stapft zielstrebig in den kalten dreckigen Tümpel hinein. ‚Was für ein Fest!‘, denkt Undine und lässt verträumt seufzend das Gesicht in ihre Hände fallen.

 

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