Von Siegfried Reitzig

„Gute Nacht, mein Liebling.“ Meine Frau gibt mir noch einen Kuss.
„Schlafe gut und träume was Schönes!“

Auch ich wünsche eine gute Nachtruhe und gleite zufrieden in das Land der Träume ….

Ich bin wieder einmal unterwegs, wie schon so oft allein und dieses Mal ist es Nacht und der Mond scheint hell.
Mein Ziel ist das Haus am Ende der Straße, ich muss es unbedingt erreichen und wenn ich das nicht schaffe, droht ein furchtbares Unheil.
Ich gehe schnell und höre meine harten Schritte auf dem Asphalt:

Tok   Tok   Tok   …

Obwohl ich allein bin, habe ich Begleiter.

Meine drei Schatten sind bei mir.

Einem Schatten folge ich, er wird langsam immer länger, bis ich die nächste Straßenlaterne passiere, welche dann die Aufgabe der zurückliegenden Laterne übernimmt und dafür sorgt, dass unser Anführer wieder klein anfangen muss.
Weil ich einem großen Anführer lieber folge, als einem kleinen, gehe ich noch schneller – das hilft!

Für meinen Verfolger ist die Laterne vor mir verantwortlich, sie lässt ihn immer kleiner werden.
Manchmal sehe ich mich um und merke, dass ein kleiner Verfolger weniger Angst macht, als ein großer – schnelles Gehen hilft auch hier!

Das Mondlicht schließlich formt meinen dritten Schatten, der stets an meiner Seite ist und wie ich selber und wie auch meine anderen beiden Begleiter, einen Hut auf dem Kopf trägt.
Bei dem Gedanken an vier Männer mit Hut, die auf einer einsamen Straße unterwegs sind, umspielt ein wissendes Lächeln meinen Mund – wir könnten alles schaffen!

Aber was, wenn ich mich nicht auf die Männer verlassen kann, die mit mir unterwegs sind?
Was, wenn einer von ihnen oder sogar mehrere mir in Wirklichkeit Böses wollen?

Zum Anführer und dem Verfolger habe ich ja eigentlich ein ganz vertrautes Verhältnis, sie erscheinen mir berechenbar.

Aber der dritte Schatten sieht immer nur so aus, wie ich, er ist einfach nur da und wenn ich ganz ehrlich bin, traue ich ihm nicht.

Ein sehr ungutes Gefühl an der Schwelle zur Angst breitet sich in mir aus!

Ich mache eine Probe und bleibe kurz stehen:

Tok   Tok   Tok    STILLE!

Die ganze Mannschaft steht still, sie gehorchen mir, ich glaube schon fast, ich habe mir umsonst Sorgen gemacht und gehe weiter:

Tok   Tok   Tok   …

In diesem Moment segelt eine große schwarze Wolke heran und schiebt sich vor den Mond!

Sofort hat sich der dritte Schatten aus dem Staub gemacht und lässt uns im Stich.
Ich sehe ihn nicht mehr, weiß nicht, wo er ist und ob er nun vielleicht doch finstere Pläne verfolgt.

Ein Blick zum Himmel gibt mir Zuversicht, denn die Wolke schickt sich an, den Mond wieder frei zu geben.

Mein Kontrollblick zur linken erwartet nun die sichere Rückkehr des verlorenen Schattens und damit die Verdrängung der Angst vor drohendem Unheil, aber der Platz an meiner Seite bleibt leer!

Nun breitet sich Panik aus.

Dieser Mistkerl hat garantiert Übles vor und wer weiß, wo der überhaupt steckt.
Ich blicke umher, aber außer dem Anführer und meinem Verfolger ist nichts zu sehen.

Ich bleibe stehen und diese erneute Probe manifestiert meine Angst:

Tok  Tok   Tok   …   Tok   Tok   Tok

Die ungeheuerliche Bedrohung muss ganz in der Nähe sein, ich kann ihre Schritte auf dem Asphalt hören!

Meinem ersten Fluchtimpuls folgend, verlasse ich die Straße und springe über einen Graben in ein dichtes Gebüsch.
Als mir gerade bewusst wird, dass ich nun völlig schutzlos und allein bin, taucht hinter einem Busch die dunkle Gestalt auf!
Der Mann war mir offenbar gefolgt, er trägt noch immer meinen Hut und in der Hand hält er eine Axt.
Nun ist Kampf die einzige Möglichkeit für mich, mit dem Leben davonzukommen, denn der finstere Unhold will mich töten, das ist klar!

Mein Herz klopft rasend, als könnte es jeden Moment zerspringen.

Ich hole weit aus und schicke meine geballte Faust mit aller Kraft in Richtung des grauen Gesichts, aber mein Gegner weicht aus und hebt die Axt über den Hut, um meinen Schädel zu spalten!

Als Fußballer habe ich jede Menge Kraft in den Beinen und will meinen grauen Feind mit einem gezielten Tritt gegen die Knie von den Füßen holen, als mich der scharfe Schmerz meines Schienbeins daran erinnert, dass ich gegen einen Schatten kämpfe, den ich gar nicht treffen kann.
Ich höre meinen eigenen Schmerzensschrei und spüre, wie mir warmes Blut das Bein herabläuft.

Der graue Feind ist verschwunden und der Raum ist hell erleuchtet.
Ich blicke in das besorgte und ängstliche Gesicht meiner Frau, die auf unserer Bettkante sitzt.
Die Matratze ist durchweicht von dem warmen Wasser, das noch immer aus dem abgetrennten Rohr des Heizkörpers tropft.

„Was hast du bloß geträumt, mein Schatz? Du hast dich im Schlaf hin- und hergeworfen und um dich geschlagen. Ich hätte fast auch einen Treffer abbekommen, und zum Schluss hast du den Heizkörper von der Wand getreten!“ 

„Es war der dritte Schatten,“ kann ich noch entgegnen, bevor ich beginne, alles zu vergessen, was in dieser Nacht geschehen ist.

 

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