Von Susanne Sachs

 

Ein letzter Schein verblasste, die Stadt tauchte in farblose Düsternis. In dieser Phase der späten Dämmerung schritten wir über graue Bürgersteige an ebenso grauen Häusern entlang. Der Weg war breit, doch zunehmende Schatten behinderten die Sicht. Sie engten ein. Trostlose Ödnis, überall, inmitten der City. Sogar die Geräusche wirkten gedämpft.  Neben mir liefen ein Mann und eine Frau. Familie? Freunde? Ich erinnerte mich nicht. Wir unterhielten uns über irgendetwas. Belanglos blieb es außerhalb der bewussten Wahrnehmung. Ohne Anker flohen Worte und Gedanken ins nebulöse Einerlei.

An einer Kreuzung, notdürftig von einzelnen Laternen erhellt, standen wir still. Und stumm. Undeutliche Gestalten näherten sich. Es waren Menschen, die ebenfalls warteten. Alle trachteten danach, auf die andere Straßenseite zu gelangen. Dunkelheit verschlang mehr und mehr die Konturen, vor uns bewegte sich eine Autoschlange, einzig vom Licht der Scheinwerfer durchbrochen. Erste Lücken in diesem steten Strom ermunterten zum Überqueren der Fahrbahn. Wir flitzten los. Getrennt verloren wir uns im Gewirr der Menge.

Allein. Ich rief in die Nacht. Keine Antwort. Fremde Leute eilten an mir vorbei, ich hörte schnellen Atem. Auf meiner Haut spürte ich die Feuchtigkeit der Luft. Noch einmal suchte ich den Fußweg in beiden Richtungen ab. Nichts. Aus der Ferne drang eigenartiges Grollen oder Grummeln an mein Ohr, hallte dumpf in meinem Schädel wider. Ein mieses Gefühl kroch in meinen Bauch. Ich blinzelte, der Himmel sah anders aus. Was war das für ein flackernder Schein am Horizont? Furcht schnürte mir die Kehle zu, plötzlich, in diesem Augenblick. Doch mein galoppierender Puls änderte sich. Er wurde gleichmäßig, weiterhin schnell. Adrenalin flutete durch meine Adern, trieb mich an, ermöglichte eine Reaktion. Zuerst musste ich weg hier, weg von der Hauptstraße, in benachbarte Gassen. Flüchten. Nicht mit dem Strom.

Abseits der Menschenmenge hastete ich schmale Gehsteige entlang, vorbei an Fassaden, die ich bestenfalls erahnte. Krachen ertönte, es verstärkte sich. Der Widerschein von Feuern wurde stetig deutlicher. Schwarze Silhouetten bildeten sich klar vor dem rötlichen Zucken ab. Funken stoben empor. Vielstimmiges Geschrei jagte immer neue Schauer über meinen Rücken. Wohin? Laut kreischte das Wort als Frage im Kopf, mehrfach. Vorwärts. Nächste Querstraße. Bloß nicht eingeklemmt als Teil der Masse zur Zielscheibe werden. Wo das Inferno auch seinen Ursprung nahm, ich rannte um mein Leben. Ich rang nach Luft, wahrte den Abstand, rannte weiter. Unter mir brach der Boden weg. Nein! Jemand reichte mir die Hand. Mit wohlklingend tiefer Stimme lotste er mich seitwärts. Unsere Schritte platschten durch Wasser. Es stieg. Nach oben hetzten wir jetzt. Eng standen die Häuser, beklemmend, doch wir strebten hinauf.

Endlos schienen die Wege, bergauf, auszehrend. Wie lange noch? Meine Kräfte schwanden. Ringsum tobten Feuersbrünste, gar nicht mehr fern. Dem rätselhaften Nass waren wir entkommen, vorübergehend, nicht endgültig. Zwischen Donnern und Rauch hörte ich es schwappen. Schon wieder! Es war bereits hinter uns. Ich rutschte auf dem Kopfsteinpflaster aus, quälte mich auf die Füße. Unter Schmerzen lief ich weiter. Rennen ging nicht mehr. Mein Begleiter, unbekannt, in Schwarz gehüllt, eilte voraus. Zwischen steinernen Mauern verschwamm seine finstre Erscheinung, ich hörte ein Glucksen. Die helfende Hand existierte nicht mehr. Einsam setzte ich die Flucht fort. Ich fror trotz der Hitze. Ewig dauerte der Lauf. Ungeachtet der bedrohlichen Situation änderte sich nichts. Getrieben von Angst gab es für mich nur eines, weitergehen. Ein Fuß vor den anderen setzend, ohne anzuhalten, keuchte ich an Explosionen und Feuern vorbei, manchmal von Qualm verschlungen. Mein Atem brannte. Dann wieder musste ich waten. Würde ich es schaffen?

Schweiß troff in Strömen von meiner Stirn und vom Hals, mein gesamter Körper war nass. Ich wehrte mich dagegen, strampelte – schlug die Augen auf. Helles Tageslicht durchdrang eine Lücke im Vorhang, zog als Strahl ins Zimmer und blendete mich. Klopfenden Herzens warf ich die Bettdecke von mir. Angenehme Kühle umfing mich. Noch schwirrte der Kopf, doch mein Atem ging ruhiger. Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Von Müdigkeit übermannt, war ich mittags aufs Bett gesunken. Der Schlafmangel hatte seinen Tribut eingefordert. Aus den Tiefen meiner Empfindungen stieg ein Gefühl der Erleichterung herauf. Wie weiße Wolken umhüllte es mich. Ich befand mich zu Hause, in meinem friedlichen Heim, nur allein war ich noch. Mein Smartphone vibrierte. Eine Nachricht traf ein.

Schatz ich kann früher kommen. In zwei Stunden bin ich bei dir. 

 

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