Von Martina Zimmermann

 

 

Ein schöner Sommertag, die Sonne brennt heiß und in der Luft liegt der Duft von Sommerblumen. Der Wind weht eine laue Brise, die wie ein Schleier über ihre Haut gleitet.

Pia genießt ihren freien Tag. Verträumt schlendert sie durch die Straßen. Hin und wieder betritt sie eines der kleinen Geschäfte, um sich umzusehen. Hier und da zu stöbern, nach Dingen, die anders sind, so wie sie. Spezielle Dinge, mit Charme. Modernen Sachen kann sie nichts abgewinnen. Auch bei ihrer Kleidung ist es so. Gerne trägt sie Kleider aus früheren Zeiten. Es kommt ihr vor, als wenn sie nicht in diese Gegenwart gehört. Oft hatte sie sich vorgestellt, in der Vergangenheit zu leben. Wie wäre es wohl gewesen? Als sie einen alten Trödelladen betritt, fühlt sie sich sofort magisch angezogen von dieser Uhr. Eine alte, antike Uhr. Ihr Uhrwerk gleicht einer Spirale, die sich in einer Art Glaskuppel dreht. Pia steuert sofort darauf zu und nimmt sie in die Hände. Wie hypnotisiert starrt sie auf diese Spirale, als wenn diese Uhr sie in einen Bann ziehen würde.

Durch ein Geräusch wird sie aus ihren Gedanken gerissen. Erst jetzt bemerkt Pia den alten Herrn, der hinter dem Tresen steht. „Guten Tag, junge Frau“, begrüßt er Pia. „Ich sehe schon, Sie erkennen den wahren Wert dieser Uhr. Sie ist etwas Besonderes. Eine Magie geht von ihr aus, die nur gewisse Menschen anspricht. Ich habe lange nicht mehr erlebt, dass jemand sie so bewundert und so von ihr in den Bann gezogen wurde wie Sie. „Die Uhr ist die Richtige für Sie“, sagte er und lächelte Pia an. „Ich denke auch, diese Uhr muss zu mir“, stottert Pia und eigentlich wusste sie nicht, warum sie das gerade sagte, aber ihr war klar, diese Uhr muss mit zu ihr nach Hause. „Ich schenke Sie ihnen“, sagte der Mann. „Nehmen Sie die Uhr, sie wird ihnen dienen.“ Pia schaute den alten Mann an. Wie in Trance bedankt sie sich und verlässt den Laden.

 

Zu Hause angekommen beschließt Pia, zuerst einen geeigneten Platz für ihren Schatz zu suchen. Die Uhr soll gut zur Geltung kommen und sie möchte immer einen Blick auf ihr Schmuckstück haben. Dort auf der großen Fensterbank wäre Platz. Bevor Pia sich an diesem Abend in ihr Bett legt, geht sie noch einmal zu ihrer neuen Errungenschaft. Als Pia kurz darauf in einen unruhigen Schlaf fällt, träumt sie von der Uhr. Diese bewegt ihre Zeiger, aber nicht normal, sie laufen rückwärts. Plötzlich scheint ein Sog zu entstehen, der sie zurückzieht, in der Zeit, zurück in eine Vergangenheit, in der sie sich immer vorgestellt hatte, zu leben. Pia rollt sich von einer Seite auf die andere, bis sie schließlich schweißgebadet aufwacht. Erschöpft von diesem Albtraum setzt sie sich in ihrem Bett auf. „Was für ein Traum“, sagt sie zu sich selbst und wischt sich dabei eine Strähne ihrer langen blonden Haare aus dem nassgeschwitzten Gesicht. Dabei streift ihr Blick die Fensterbank gegenüber. Dort steht die Uhr. Pia glaubt zu träumen. „Was macht sie in meinem Schlafzimmer? Ich hatte sie doch im Wohnzimmer auf die Fensterbank gestellt, überlegt sie, während sie sich ungläubig umschaut. „Wo bin ich?“, fragt Pia. „Was ist passiert?“, ruft sie laut und als sie ihre Umgebung wahr nimmt, wird ihre Angst noch größer. .

Sie befindet sich in einem fremden Schlafzimmer. Neben ihrem Bett, welches aus Strohmatratzen besteht, stehen noch zwei weitere Betten. In ihnen liegen zwei Mädchen. Sie schlafen und scheinen noch jung zu sein. Aufgeregt springt Pia aus dem Bett, als plötzlich eine Frau vor ihr steht. „Was ist mit dir?“, fragt sie. „Du weißt doch, du musst früh wieder aufstehen, versuche zu schlafen. Du hast morgen einen harten Tag, Anna.“ „Anna? Was soll das heißen?“, ruft sie verzweifelt. „Wer ist

Anna?“ Die Frau drückt mich in ihre Arme. „Ach meine Anna, hast du wieder schlecht geträumt? Ich weiß, die harte Arbeit liegt dir nicht und du kommst dort nicht klar, aber wir brauchen das Geld. Du weißt es doch, du musst durchhalten, damit wir überleben können. Wir müssen alle Opfer bringen. Eines Tages wird es uns besser gehen.“ Vorsichtig schiebt sie Pia in Richtung Bett und nachdem sie sich hineingelegt hatte, deckt sie Pia zu. „Jetzt schlaf gut, bis morgen“, sagt sie noch und geht aus dem Raum.

Pia versteht die Welt nicht mehr. Was soll das? Wo bin ich? Ich träume bestimmt nur, redet sie sich ein. Ich versuche schnell einzuschlafen und morgen wache ich in meinem Bett auf in meiner Wohnung und alles ist gut. Pia schließt ihre Augen und wie durch ein Wunder schläft sie sofort wieder ein.

 

Ein lautes, schrilles Geräusch weckt alle auf. „Guten Morgen, aufstehen“, ruft die schon ihr bekannte Stimme. Pia schreckt auf, sie schaut sich suchend um und kann es nicht fassen. Sie befindet sich immer noch in dem Raum mit den drei Betten. Die anderen beiden Mädchen sind jetzt auch wach und jede springt aus dem Bett. „Kommst du mit Anna, du musst uns Wasser erwärmen, damit wir uns waschen können“, ruft eines der Mädchen und schaut Pia fragend an. Pia kann es immer noch nicht fassen. Was ist mit ihr passiert? Die beiden Mädchen stehen vor ihr. Das eine Mädchen nimmt ihre Hand und zieht daran. „Komm endlich, du musst uns helfen, du bist doch unsere große Schwester.“ Pia bewegt sich, wie im Traum, und geht mit, lässt sich von ihnen führen und gelangt in die Küche. Dort steht die Waschschüssel. Ein Badezimmer gib es nicht. „Du musst Wasser auf dem Herd warm machen“, ermahnt eine der Schwestern. Pia nimmt den Kessel, füllt ihn mit Wasser und stellt ihn auf den Herd. „Ist noch genug Holz im Ofen?“, fragt das Mädchen. Pia schaut nach, indem sie die Ofenklappe öffnet und das gestapelte Holz neben dem Ofen nachlegt. Danach gießt sie das warme Wasser in die Waschschüssel und alle waschen sich. Anschließend kleiden sie sich an und frühstücken eine Kleinigkeit. Nach dem kargen Frühstück wird Pia abgeholt. Sie muss zur Arbeit. Eine Nachbarin, augenscheinlich eine Freundin von dieser Anna, geht mit ihr zur Arbeit. Sie laufen den kurzen Weg zusammen und sie erzählt von ihrem Freund. Pia hört nur mit einem Ohr zu. Sie ist viel zu beschäftigt mit sich selber und versucht zu erklären, was gerade passiert, bis beide vor einem großen Tor stehen. Dort gibt es einen Wachmann, dieser nickt ihnen zu, er scheint sie zu kennen. Beide laufen durch das Tor hinein in das große Gebäude. Dort geht es zu den Spinden. Ihre Kleidung besteht aus Leinenkleidern, über die grobe Schürzen gezogen werden. Die Arbeit ist schwer. Sie müssen Werkzeuge reinigen, die in dieser Fabrik hergestellt werden. Der Gestank ist bestialisch und Pia müht sich am Gewicht der. Zudem scheint ein Amboss und Hämmer. Immer wieder hört sie antreibendes Gebrüll des Vorarbeiters. Sie kommt sich vor wie ein Sklave. Als er zu Pia kommt, spürt sie seine Hand an ihrem Po. Sie dreht sich um und faucht ihn an. „Was bilden Sie sich ein, nehmen Sie sofort ihre Hände weg!“ Der Mann schaut sie mit großen Augen an und dann brüllt er los. „Du kleines Miststück, du wirst es noch bereuen, glaubst du, du bist was Besseres?“ Wütend holt er aus und wäre nicht gerade ein Vertreter gekommen, der ihn unterbrochen hätte, dann hätte er Pia geschlagen. Pia kann es nicht fassen, wie menschenunwürdig, denkt sie. Dann rennt sie, ohne nachzudenken, raus. Sie möchte einfach nur weg und läuft und läuft und auf dem Weg sieht sie durch Zufall ihre Mutter. Sie arbeitet in einer anderen Fabrik, draußen auf dem Hof. Der Schweiß läuft ihr hinunter und Pia sieht, wie schwer es ihr fällt. Plötzlich sieht sie

Pia und schaut sie fragend an. „Anna, was ist los?“ „Ich bin weggerannt“, ruft Pia. „Was? Warum? Anna, du weißt, wir brauchen das Geld. Seitdem Vater gestorben ist, kommen wir kaum um die Runden. Du weißt das doch.“ Pia schaut verzweifelt. Sie weiß nicht, was sie tun soll.

 

 

 

„Geh nach Hause“, sagt die Mutter. „Wir reden später, es wird eine andere Lösung geben“, erklärt sie. Pia nickt und fühlt sich unendlich schlecht. Sie läuft zu ihrem neuen Zuhause und dort sieht sie die Kleider, die neben einer Nähmaschine liegen. Solche Kleider, die sie immer so gerne anzieht. Die sie an eine andere Zeit erinnert haben. Sie dachte immer, diese Zeit wäre schöner gewesen, ohne viel Stress und Hektik. Und jetzt das. Ein Alptraum dieser Zeit, menschenunwürdige Arbeit, Elend und Armut. „Aber warum liegen diese schönen Kleider hier?“, fragt sie sich, als das Mädchen den Raum betritt. „Mama hat noch so viel zu ändern, das macht sie nachts, das weißt du doch“, erklärt sie. Als ihre Mutter gegen Abend müde nach Hause kommt, besprechen die beiden, dass Pia sich der Kleider annimmt. Sie würde die Änderungen machen, darin war sie sehr geschickt. Sie hatte ihre Kleider immer umgeändert, sie trug schließlich Vintage. Der Ausdruck bekommt eine völlig neue Bedeutung.

 

Als Pia sich an diesem Abend völlig erschöpft in ihr Bett legt, geht ihr Blick rüber zu der Uhr. Sie steht noch einmal auf und nimmt diese in ihre Hände. „Was machst du mit mir? Ich gehöre nicht in diese Zeit, ich weiß es jetzt genau.“ Dann stellt sie die Uhr zurück und legt sich schlafen. Genau, wie in der Nacht zuvor, hat Pia den Traum von der Uhr. Dieses Mal gehen die Zeiger vor, und sie verspürt einen Druck, der sie wieder zurück in die Gegenwart katapultiert.

Als sie dann am nächsten Morgen erwacht, ist alles wie früher, und doch ist alles anders. Sie sieht die Vergangenheit mit völlig anderen Augen und nie wieder kann sie ihre Vintage-Kleider so ansehen wie vor ihrem Albtraum.

Verträumt streicht sie über den Stoff des Kleides, dieses Kleid, welches sie in der Vergangenheit selbst geändert hatte, um zu überleben.

 

 

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