Von Bernd Kleber

 

Hallo, hör´n Se mal, ich muss Ihnen mal wieder was erzählen, Sie glauben es nicht, ich schwöre, sowas kann man sich ja nicht ausdenken, auf so eine Idee kommt man ja gar nicht. Also was soll´s, ein Albtraum ist ein Pups dagegen, glauben Se mir und entschuldigen Se mal den Ausdruck. Sie kennen mich ja, Ohrn jespitzt, was Ihnen Ihre Hilde Kalweit zu erzählen hat und jedes Wort ist die reine Wahrheit, ick schwöre!

 

Solch laue Frühlingslüfte liebe ich ja ganz besonders. Nach den Monaten der kalten Jahreszeit und der trockenen Luft in den Räumen trotz Humidefeier oder wie dieser Luftbefeuchter heißt, bin ich jedes Jahr aufs Neue froh, wenn ich die Fenster aufreißen kann, es nach Frühling duftet und gesunde frische Luft ins Zimmer weht, außer natürlich, wenn die stinkenden Müllautos von der BSR im Anmarsch sind. Aber ich schwatze schon wieder und komme vom Thema ab.

 

Da passierte etwas, das wünscht man sich ja seiner ärgsten Feindin nicht.

 

Ich mache ja morgens einmal mit dem Mob so durch die ganze Wohnung, also alles Blanke, wo kein Teppich draufliegt, können Sie ja sagen, was Sie wollen, kenne ich so von meiner Mutti und dann nehme ich das Staubtuch und husche auch über die Flächen. Liegt ja nichts, wenn man das jeden Tag einplant, sage ich auch immer zu meiner Tochter Hannah, die kennen Sie auch schon. Aber was rede ich, irgendwie muss jeder auch selbst klarkommen! Mein Herbert sitzt dann meist noch am Frühstückstisch und liest Zeitung und danach gehe ich schnell einholen. Ich treffe mich dann immer mit dem netten Studenten, den ich da mal kennengelernt hatte und der mir die Einkäufe in die Belle Etage, also nur hochträgt, bis zur Tür trage ich selbst. Der erzählt immer so nett aus der Uni und so, hat jetzt eine sehr reizende Freundin aus Korea, ein hübsches Ding.

 

Aber ich schweife schon wieder ab. Also, komme ich vom Einkaufen nach oben, sitzt mein Herbert schon in der guten Stube am Rauchertischchen und liest immer noch in dem Käseblatt. Was der da alles rausliest, verstehe ich nicht, wozu gibt es denn die Tagesschau um zwölf?

 

Ich mache uns dann immer noch einen Kaffee und kam mit dem Tablett rein, setze mich zu ihm, gieße ein, lass den Männe lesen und nehme mein Buch zur Hand. „Schach von Wuthenow“ vom ollen Fontane, warte ja die ganze Zeit, wann die endlich mal Schach spielen, naja, man muss auch geduldig sein, bisher reitet der Sohn der edlen Familie dauernd, wütend die Köpenicker runter zum Eierhäuschen. Wenn ich mir das vorstelle, ist ja heute alles mitten in der Stadt und ein Verkehr, wenn der da mit nem Pferd dazwischenhauen würde, nein. Aber war eben eine andere Zeit damals. Ach, ich verquatsche mich schon wieder.

 

Jedenfalls frage ich Herbert: Sach mal, Herbert, warum zieht denn dit hier so? Hast du irgendwo de Fenster uffjerissen?“

 

Der reagiert nicht.

 

„Her..bert, ich … rede … mit … dir!“

 

Brummt er so vor sich hin und blättert die Zeitung um. Ich greife über den Tisch und ziehe die Zeitung herunter „Herbert Kalweit, ick hab dir wat jefragt!“.

 

„Sach mal, Hilde, hör doch ma uff, zu stänkern, ick hab nischt jemacht, ick lese gerade einen wichtigen Kommentar zur politischen Lage!“

 

„Dit kann doch wohl nich wahr sein, hier ist ooch gleich politische Lage, Schlechtwetterlaje, wenn de mich fragst, ick bin hier wohl nur noch deine Putze oder wat. Ick red mit dir und erwarte ne Antwort!

 

„Ja, also, wat willste wissen, aber mach kurz!“, antwortet der Stiesel. 

 

„Ob du´n Fenster uffjerissen hast, et zieht wie Hechtsuppe hier!“ 

 

Und dann, meine Lieben, passierte es. Ich wollte erst nicht meinen Augen und Ohren trauen. Hörte ich einen Zug pfeifen, ganz laut und Rauchwolken stiebten hoch in unser Wohnzimmer, während ich wie gebannt auf etwas starrte, was in rasantem Tempo hinter meinem Florentiner Tüll hervor krachte, den Store fast noch zerriss, weil der sich im Schornstein verfangen hatte, ja im Schornstein und Sie werden es mir nicht glauben, einer Dampflok, die nun auf unseren Tisch zuraste, also etwas unterhalb der Kante, am Stuhl Herberts vorbei und dann am anderen Ende wieder unter meinen teuren Florentiner durch, aus dem anderen Fenster vom Erker hinaus. Ich hatte den Mund weit aufgerissen und ließ vor Schreck meine Kaffeetasse fallen, die ich zum Glück ausgetrunken hatte. Ich schnappte nach Luft, konnte gar nichts sagen und überlegte eine Millisekunde, ob ich verrückt geworden war, dann machte ich mir Luft.

 

„HERBERT!!!!!“

 

„Ja? Was schreist du so rum?“

 

„Was war das eben? Und wehe, du sagst, du hast es nicht gesehen!“

 

„Nö!“

 

„Nö, was, mach mich nicht rasend!“

 

„Nö, ick sach nich, dass ick wat nich jesehen habe, sondern erfreute mich soeben an der Tenderlok mit der Nummer 8768 T mit Spurbreite Null, wenn de dit jenau wissen willst.“

 

„Du willst ma doch wohl verkackeiern, spinnst du? Wo kommt diese Lok her, die hier durch unser Zimmer tutet und wieso kommt die an einer Seite durchs Fenster rin und andre Seite wieder raus? Herbert!“

 

„Hildekin, nun setz da doch erstmal wieder hin, ick …“

 

„Nein, ick setz mich nich hin, et zieht!“

 

„Is doch gleich Sommer, is doch nur frische Luft und nur für´n Stündchen!“

 

„Was soll das, ich verlange Aufklärung, Herbert Kalweit!“

 

„Also, der Weber hat ne tolle Eisenbahnanlage. Nuller. Und er wusste nich, wo er noch anbauen soll, weil sein Platz is voll. Und die Lok muss nen Bogen fahren, damit se wieder in´n Bahnhof von vorn einfahren kann. Und da hatter mich jefragt, ob seine Lok nicht durch unser´n Erker fahren dürfe, er hat ein Klicksystem jebaut, wat er janz schnell uff- und abbauen kann. Und da habe ick mir jefreut und jesagt, lieber Herr Weber, aber selbstverständlich. Hilde, wo is det Problem nu?“

 

Ich setzte mich hin, sah meinen Mann an und überlegte, ob Außerirdische von ihm Besitz ergriffen hatten oder so ein rauchiger Geist wie im Gruselfilm. Das konnte doch nicht mein Herbert sein. Mein Herz pochte, so hatte ich mich über den Zug erschreckt und nun noch das Geschwafel von meinem Mann, mit dem ich über 25 Jahre verheiratet bin, das gibt es doch gar nicht. Ich sage ja immer: Die Welt dreht durch.

 

Nun, nachdem ich dreimal tief Luft geholt hatte, schritt ich auf unseren Erker zu, riss den Store beiseite und sah diese Gleisanlage, die sich vor unserem Fenster wendete, also einmal bei uns rein und andere Seite wieder raus, rüber zu Weber.

 

Da kam dieses Ding schon wieder angedampft und tutete und der Weber glotzte aus seinem Fenster und winkte mir lächelnd zu. Ich bin nur schnell einen Schritt zurück und habe meinen Mann angesehen, den Kopf geschüttelt.

 

„Ich gehe rüber zu Klara und wenn ich zurückkomme, ist unser Wohnzimmer keine Bahnanlage mehr!“

 

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte ich mich um, ging in den Korridor, griff Mantel und Schlüssel und knallte, aber so richtig ordentlich, die Wohnungstür zu. Irgendwo habe ich sogar ein rieselndes Geräusch gehört. Das hat gesessen.

 

***

 

Klara war außer sich, als ich ihr alles erzählt hatte. „Sach mal werd´n die Kerle wieder Kinder oder wat, dat kann doch nich wahr sein, der Weber ist doch auch schon Mitte 60 oder so!“

 

***

 

Als ich wieder nach Hause kam, war die Bahnanlage abgeräumt. Herbert meinte noch: „Wat du dich so uffregst, hab doch jesacht, det geht eins fix drei. Der Weber hat echt nen Händchen dafür, stabiles Klicksystem“.

 

Ich sprach kein Wort mehr und ging nach dem Abendbrot gleich ins Bett. Herbert kam wieder erst nach den Tagesthemen, da war mein Wuthenow schon wieder wütend dreimal die Köpenicker ruff und runter geritten immer zu dem ollen Eierhäuschen im Plänterwald hin, muss damals weit vor den Toren Berlins gewesen sein, was heute mittendrin ist.

 

Ich drehte mich um, legte das Buch weg und knipste mein Licht aus. Ich hörte noch einmal Herbert was brummeln von wegen „Hildchen, sei wieder lieb, meene kleene wilde Hilde!“

 

Aber nein, ich rührte mich nicht mehr und schlief rasch ein.

 

Irgendwann schreckte ich hoch, schrie „Herbert!“ und zwar wohl in echt und ziemlich laut, sodass Herbert fast aus dem Bett fiel und sofort das Licht anmachte. Dann nahm mich der liebe Kerl fest in seine Arme und schaukelte mich sanft hin und her „Mein altes Mädchen, was ist denn los? Du hast wohl schlecht geträumt?“ Ich hatte so etwas wie Schüttelfrost, der Schweiß lief mir von der Stirn.

 

„Ja, und du und der Weber sind schuld daran, et war schrecklich. Wir liefen über so Gleisanlagen immer uff den Bohlen, dat kann ick ja eijentlich jar nich leiden, ick vorneweg, du hinter mir und dahinter noch janz viele, der Weber natürlich, Emmi, Benji, der Gregor von Parterre und sogar seine riesige Katze, Mussorski oder wie die heißt!“

 

„Modest!“

 

„Is ja ooch egal! Und dann kam plötzlich een Zug uff uns zu, von vorne. Ihr seid alle beiseite jesprungen und rieft mich und ick hatte meinen Fuß verkeilt und sah auf die Lok, die immer näherkam und immer riesiger wurde, kam aber von den Bohlen nich los … der Rauch umwaberte mich, es stank und dann wurde ick wach, kurz bevor ick Matsch gewesen wäre… meen Herz pocht immer noch“

 

„Liebe Hilde, wir lassen den Zug von Weber nich mehr durch unsre Stube sausen, geh mal morgen rüber und red´ mit dem, der is ja janz alleene und du kannst dit ihm besser verklickern als icke. Ick kann doch immer nich nee sagen!“

 

Na ich schaute meinen Männe an und war wieder ganz die seine, dann schliefen wir noch ein wenig weiter.

 

Am nächsten Tag bin ich dann rüber zu Weber. Der war sehr freundlich. Wir haben viel geredet. Er erzählte viel aus seinem Leben. Dann versprach er, seine Bahn umzubauen und nicht mehr unsere Stube zu benutzen. Aber eine Geschichte, die er mir aus seiner Armeezeit erzählte, die hat mich sehr stark berührt. Was der erlebt hat. Im Osten bei der Volksarmee, Drüben damals, fand ich sehr ein starkes Stück. Wusste gar nicht, dass unser Weber ein Ossi ist. Ein sehr netter jedenfalls. Und die Geschichte von ihm aus der Volksarmee, die erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Und nun denken se mal nicht, dass nischt unmöglich is, und passen Se am Bahnübergang uff, Ihre Hilde Kalweit.

V3/9904