Von Franck Sezelli

 

»Lies das mal, Elisabeth!« Ich kann es nicht glauben, was Melanie uns da für eine WhatsApp-Nachricht geschrieben hat. Das wirft unser ganzes Leben um.

»Müssen wir uns jetzt eine Wohnung in Leipzig suchen?« Elisabeth schaut mich fragend an. Gerald und Melanie sind schon eine Weile geschieden, haben ihr  Mehrfamilienhaus trotzdem weiter gemeinsam verwaltet. Nun eröffnet uns Melanie, dass sie das Haus verkaufen wollen. Deshalb könnten wir die Zimmerchen, in denen wir während unserer Besuche in der alten Heimat untergekommen sind, künftig nicht mehr nutzen. Offenbar haben sich die beiden darüber geeinigt, dass diese Quadratmeter zu ihrer Haushälfte gehören.

»Wir müssen ja irgendwo schlafen und essen, wenn wir die Kinder und Enkel weiter besuchen wollen. Und zu den Ärzten müssen wir ja auch ab und zu. Wir haben dort noch viele Bücher und einige persönliche Dinge, die wir beim Umzug nach Frankreich nicht mitnehmen konnten, aber für später behalten wollten.«

»Du sagst es … später … Wenn wir eines Tages mal zurückziehen wollten oder müssten. Aber doch nicht jetzt – so blitz-plauz! Jetzt wollen wir doch noch in Frankreich bleiben.«

»Wahrscheinlich ist es ihnen eilig mit dem Verkaufen. Da müssen wir uns vielleicht doch nach einer Bleibe in Leipzig umsehen. Die wir dann auch nur zeitweise nutzen, aber sonst in Frankreich wohnen bleiben.«

Elisabeth runzelte die Stirn. »Das wird eine teure Angelegenheit, sozusagen zwei Haushalte. Deswegen hatten wir damals die Wohnung in Leipzig aufgegeben.«

»Auch wegen des Angebots von Gerald – und nun stehen wir im Regen.«

 

Wir haben dann nicht mehr lange darüber geredet, ändern konnten wir sowieso nichts und bekamen nur Kopfschmerzen und schlechte Laune.

»Erst mal sehen, wie die Lage konkret ist, wenn wir in ein paar Wochen in Leipzig sind.« Mit diesen Worten beendete Elisabeth unsere fruchtlose Diskussion.

Einige Stunden später verließ ich meinen Computer-Arbeitsplatz und sah meine Frau etwas erschöpft an ihrem Laptop sitzen. »Hast du Lust, etwas zu trinken?«, fragte ich sie, »Kaffee oder Wein, ich brauche jetzt erst einmal was, mir brummt der Kopf.«

»Gern ein Glas Wein, ich habe auch Kopfschmerzen.«

»Was hast du am Computer gemacht?« Eigentlich konnte ich es mir denken.

Elisabeth schaute mich müde an und meinte: »Na, was wohl? Ich habe nach Wohnungen gesucht.«

»Hast du etwas Brauchbares gefunden?«

»Es gibt schon ein paar Angebote, aber meist sehr teuer oder in oberen Etagen ohne Aufzug. Richtig Passendes habe ich nicht gesehen. Aber ich möchte heute nicht mehr darüber sprechen … «

Das verstand ich sofort.

 

Denn ich hatte mich auch durchs Internet gewühlt, um entstandene Fragen zu klären.

Meldepflicht. Einzug. Wohnsitz. Lebensmittelpunkt. Gewöhnlicher Aufenthalt. Hauptwohnung. Nebenwohnung. Unbeschränkte Steuerpflicht. Das waren die Stichwörter, die in meinem Kopf hämmerten. Wir suchten eine Bleibe für ein paar wenige Wochen im Jahr, wollten in Frankreich wohnen bleiben. Aber, so habe ich auf vielen Webseiten und Internetforen herausgelesen, dass wir, sobald wir eine Wohnung anmieteten, uns sofort anmelden müssten mit allen Konsequenzen. Der tatsächliche Einzug im landläufigen Sinn interessiert nicht, ebensowenig wie unser gewöhnlicher Aufenthalt und Lebensmittelpunkt. Unser Wohnsitz wäre dann offiziell in Leipzig, unser Häuschen in Frankreich würde dort zur Nebenwohnung mit steuerlicher Mehrbelastung. Wollen wir das? Nein! Aber uns bleibt nichts anderes übrig.

Unser Auto müsste auch nach Deutschland umgemeldet werden. Ganz kurze Frist! Was man zur Zulassung alles braucht! Neue Versicherung, alte abmelden. Erst versichern, mit französischem Kennzeichen? Geht das? Erst zulassen geht aber nicht. Was also machen? Neuer TÜV, der französische TÜV war dran, ich war deshalb gerade bei der Contrôle Technique. Gilt die? Unterschiedliche Antworten im Netz.

Was muss man noch zur Zulassungsstelle mitnehmen? Autokennzeichen, sind vernietet. Auwei! COC-Papier – was ist das nun wieder? Ach so, das sogenannte Konformitätszertifikat, dass mein Auto EU-konform ist. Spinne ich? Ich habe es in der EU gekauft, in der EU zugelassen und nun will man in Deutschland noch einmal eine EU-Übereinstimmungsbescheinigung? Habe ich nicht. Weitersuchen. Da gibt es eine Firma, die bietet die Beschaffung innerhalb von 5 Werktagen für schlappe 189 € an. Prima! Woanders lese ich, das Papier darf nur eine Vertragswerkstatt anfordern.

Muss ich mein Auto überhaupt ummelden, wenn ich und das Auto den größten Teil des Jahres in Frankreich sind? Klar ist, wenn ich es dort länger als ein halbes Jahr benutze, geht das nicht mit einem deutschen Kennzeichen. Das hat die Gendarmerie mir vor Jahren mal sehr deutlich gemacht, das kann man auch nachlesen. Ich bekomme also in Frankreich Ärger. Und in Deutschland? Wenn ich es nicht ummelde? Da streiten sich im Internet die Geister. Bis zu einem Jahr kann man auch ein ausländisches Kennzeichen nutzen für vorübergehenden Gebrauch. Aber wenn ich einen Wohnsitz in Deutschland habe …

Ich gebe erst einmal auf. Abwarten, was da Genaueres bei unserem Besuch in Leipzig herauskommt. Vielleicht ist noch Zeit bis zum Verkauf des Hauses, also nicht jetzt schon verrückt machen! Mal eine Nacht drüber schlafen …

 

Eine ausnehmend freundliche, sehr hübsche Dame in mittlerem Alter lächelt mich an. »Na, da reichen Sie mir mal Ihre Unterlagen rüber. Das kriegen wir schon hin. Keine Sorge.«

Während sie meinen kleinen Papierstapel und die abgezwickten Kennzeichenschilder entgegennimmt, strahlt sie mich an, als würde ich ihr Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke zugleich überreichen. Ich enspanne mich.

Sie blättert duch die Papiere, sieht nochmal zurück, vergleicht wohl die Namen oder andere Einträge, murmelt etwas und nickt. Plötzlich schaut sie hoch, funkelt mich mit bösen Augen an. Ihr vorher so schönes Gesicht verzerrt sich zu einer Fratze und sie schreit mich an: »Das soll das COC sein?« Kock spricht sie es mit schriller Stimme aus. Was ist nur in sie gefahren? Sie greift unter ihr Pult, drückt dort wahrscheinlich einen Alarmknopf. Ehe ich etwas erwidern kann, packt mich eine starke Hand am Arm und reißt mich vom Schalter zurück. Ich versuche mich zu wehren, schlage um mich.

»Was ist denn?« fragt erschrocken Elisabeth. Sie hat mich am Arm berührt, ich wache schweißgebadet auf. »Haben dich wieder die Hunde im Traum verfolgt?«

»Nein, keine Hunde diesmal. Es ist nichts. Alles in Ordnung. Schlaf schön weiter!«

 

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