Von Anne Zeisig

Das hat Frau davon, wenn sie zu ihrem Alter steht und ihren Haarschopf nicht in den Chemiefarbkasten taucht. Trug meinen Grauschopf stolz durch die Wechseljahre, die ich ohne Depressionen und Hitze-Kälte-Auf-Abs erlebte. Habe des Weiteren meine Kurven, die sich im Laufe der Jahre aus hormonellen und genusstechnischen Gründen um mich herum angesammelt haben, kleidungsmäßig stets klassisch gepflegt in Szene gesetzt, und nun kommt da dieser kaum den Windeln ‘Baby Dry’ entsprungene Frischling-Chef daher und faselt was von ‘Joung-Up-Firma’ mit einem ‘Ever-Joung-Team’ und einer ‘Joungster-Zielgruppe’, die man in ihrem ‘Joungster-Chill-Life’ abholen muss mit unserer Produkt-Palette!

Das J setze ich bewusst für Jung ein, auch wenn das nicht korrekt ist.

 

„Was soll das?!“, antworte ich nicht leise. Aber, sorry,  ich habe auch von Natur aus kräftige Stimmbänder.

 

Also. Ich sage, sichtlich um Fassung bemüht, dass es sich bei unserem ‘Jungen Produkt’ lediglich um Milchbrei handelt! Fütterbar ab dem sechsten Monat. Nicht in der Schwangerschaft, sondern das Alter des Säuglings ist gemeint. Gut für Mütter, die sich mit dem Stillen nicht ihre Brust versauen wollen.

Das ist alles! Ich muss es wissen! Ich bin hier seit vierzig Jahren tätig!

Und dass Babys den lieben langen Tag herumchillen, ist mir auch bekannt.

 

Nun wagt dieses Greenhorn mich mit seinen giftgrünen Augen von oben bis unten zu mustern. Seine Augenfarbe passt wunderbar zum Grün hinter seinen Ohren.

Der Typ ist ja noch keimfrei! Den könnten wir sogar ohne Schutzkleidung in der Produktion arbeiten lassen.

Der könnte mein Enkel sein!

Könnte er nicht! Mein Enkel hat nämlich Respekt vor mir. Quatsch: Wenn man keine Kinder hat, kann man keine Enkel haben, aber das erwähne ich nur am Rande, dass ich zugunsten meines Berufes, der mir immer Freude gemacht hat, auf Familie verzichtet habe.

Oh nein! Um Missverständnissen und diversen Klischees vorzubeugen, ich bin keine vertrocknete, frustrierte Mumie, die tagein, tagaus, das Büro hier managt und den Boss morgens mit wackelndem Hintern seine tiefschwarze ‘Bremer Kaffeemischung’ kredenzt, damit seine Laune angehoben wird. Schließlich gehöre ich der ersten Generation Frauen an, die Seite an Seite mit Alice Schwarzer für die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz gekämpft haben.

Nach dem Studium Kaffee für den Chef kochen? Nicht mit uns!

 

Privat war ich zu dem Zeitpunkt längst emanzipiert, das brachten die Sechziger so mit sich: Rote Löwenmähne, Flatterrock bis zum Knöchel, der just durch den Mini abgelöst worden ist samt schwarzem Bob. Man war jung und flexibel, hier mal eine Bettgeschichte und dort mal ein Nümmerchen im orangefarbenen VW-Bus, angeturnt von den Joints.

Der ‘Pille’ sei Dank, war ich vom Muttersein verschont geblieben.

Das Vermarkten von Baby-Nahrung lag mir da eher. 

 

„Was, Frau Rupert, will ich Ihnen sagen, wenn ich von einem jungen Team spreche?“

 

Brust raus, Arsch rein, denke ich mir und antworte gefestigt. „Sie wollen mir damit sagen, dass ein ‘junges Team’ durchaus auch noch in den nächsten Jahren die Erfahrung einer langjährigen weiblichen Mitarbeiterin benötigt, weil Lebenserfahrung nicht an der Uni erworben werden kann.“ Und weil er beide Augenbrauen hochzieht, in der Hoffnung, freudig erstaunt auszusehen, füge ich an: “Besonders jetzt, wo Ihre Frau Mutter, unsere allseits geschätzte Seniorchefin, sich leider ewiglich verabschiedet hat, was ich sehr bedauere, ist ein weises weibliches Teammitglied unerlässlich.“

 

Was nun folgt ist eine Stille, die ich in diesem Büro noch nie erlebt habe. Nichtmal das Telefon klingelt. Kein Surren der Festplatte. Nicht das leiseste ‘Piep’ einer Whats-App.

Juniorbübchen, endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt nach einem achtlos hingeworfenen Studium, schluckt dreimal schwer seinen Speichel hinunter, den er vorher mühsam in der Mundhöhle ansammeln musste. Jedenfalls hüpft sein Kehlkopf dreimal auf und ab.

 

Nun räuspert er sich: „Ein Jahr Arbeitslosengeld Eins und danach geht es für Sie in die Rente.“

Bübchen reckt sich und stößt hervor: „Es sei denn, sie gehen runter ins Archiv und lassen sich tariflich hinunterstufen.“

Peng!

„Das können Sie gleich mit meinem, äh, dem neuen Personalchef, unserem Personelbosser besprechen.“ Er weist mit der Rechten nach unten.

 

Ich soll in den moderigen, müffeligen Keller? Zu Lebzeiten bereits unter die Erde?

Lege langsam meine Kostümjacke über den Arm, um Zeit zu schinden, atme tief ein und aus, bücke mich wie in Zeitlupe, streife mit der Linken einen Pumps vom Fuß, diesen Hochhackigen habe ich drei Hammerzehen und zwei Ballenentzündungen zu verdanken, drehe mich einmal geschwind um die eigene Achse und schleudere den Malträtierschuh diesem, diesem … an den Kopf!

Im Zielen war ich noch nie gut. Aber nun ist es zu spät!

Denn just in dem Moment öffnet sich die Tür und ein Unschuldiger muss dran glauben.

 

Ein Anzugträger sackt schreiend zu Boden und hält sich eine Hand vor sein rechtes Auge. 

Ich kniee mich sofort hilfsbereit hinunter und blicke in ein samtbraunes Auge, nehme an, das andere hat dieselbe Farbe, sein braungebranntes Gesicht wird von zwei graumelierten Schläfen eingerahmt.

Der gehört bestimmt nicht zum geplanten ‘Joung-Team’. Hoffentlich ist das kein Großkunde!

Er nimmt die Hand hinunter und blickt entsetzt auf ein bißchen Blut.

„Nur die Augenbraue“, beruhige ich ihn. „Muss nichtmal genäht werden, ist nur oberflächlich.“ Man muss Männer einfach beruhigen, die sehen etwas Blut und Zack! Kippen sie um. Der hier allerdings hockt ja bereits auf der Büro-Auslegeware in tristem Grau.

 

„Margarethe?“

 

Na bitte! Er kann ja sprechen. So schlimm ist es also wirklich nicht.

Ich stutze. Er kennt meinen Namen.

Der Nadelstreifenträger rappelt sich mühsam hoch und tastet seinen Augenknochen ab. „Ich bin Klaus-Werner.“ Setzt sich auf  MEINEN STUHL hinter MEINEN SCHREIBTISCH! „Du erinnerst dich?“ 

 

Ich werfe alle Gehirnwindungen an. Turbodenken ist nun angesagt!

Klaus-Werner. Aha. Etwa der aus der Zwölf? Der jeder Hot-Pant lechzend hinterher gehechelt hat und die Mädels sich über seinen viel zu kleinen Schniedel lustig gemacht haben? Aber es wäre unklug, ihm das zu sagen.

 

„Klaus-Werner! Ich erinnere mich! Wer könnte dich vergessen! Uni! Erstes Semester! Du warst doch der einzige in unserem Team mit einem VW-Bully, und hattest eine saugute Konäktschäään zum Joint-Paule!“ Ich zwinkere ihm aufmunternd zu. Weil er mich anstarrt, blicke ich zu Boden.

Passt grauer Teppichboden eigentlich zu einem ‘Joung-Team’?

„Du warst einfach der Geilste“, hauche ich mit verruchter Stimmlage, tippe mir auf die gestärkte Seidenbluse und singe: „Lady Sunshine! Lady Sunshine, the …, oder erinnerst du dich noch an das Musical Hair?“ 

Was will der in meinem Büro? Warum fühlt er sich hier so heimisch? Ich fingere schnell meinen Organizer vom Schreibtisch, von MEINEM Schreibtisch, wohlgemerkt, und presse ihn mir vor die Brust.

 

„Nein, ich war nicht mit dir in ‘Hair’ und Paule kenne ich auch nicht“, säuselt eine tembrereiche Stimme aus einem faltenreichen Gesicht mit graumelierten Bartstoppeln, „ich bin DER Klaus-Werner aus der Zwölf, mit dem viel zu kleinen, du weißt schon, und du Margarethe, DU, warst die erste Frau in meinem Leben auf dem Rücksitz meines VW-Käfers. DU hast mir meine sexuelle Illusion abgrundtief zerstört!“ An seiner Schläfe schwillt eine Ader bedrohlich an. 

 

„Ihr kennt euch?“

 

Ups!

Den gerade erst dem Uterus Entschlüpften habe ich total vergessen.

„Darf ich vorstellen?“ Er zeigt auf Klaus-Werner. „Mein Onkel. Der neue Personalchef. Mit ihm sollten Sie eigentlich Ihre Gehaltsvorstellung verhandeln.“ Er macht eine kleine Pause und blickt zu Klaus-Werner, der auf MEINEM Stuhl in sich zusammen gesunken sitzt und starr auf seinen Hosenzipper blickt.

Diese Körperhaltung spricht Bände.

 

„Onkel Klaus? Willst du überhaupt noch mit Frau Rupert über ihren Verbleib in der Firma verhandeln?“

 

Was soll ich nun machen?

Schätze, es wäre angebracht, die männliche Ehre zu retten.

Und meinen Arbeitsplatz. Mit Vierundsechzig liegen die Stellen nicht wie Pflastersteine auf der Straße. Vielleicht ist der Job da unten gar nicht so übel?

 

Ich husche hinüber und hauche dem neuen Personalchef, ähem, Klaus-Werner ins Ohr, dass das damals eine geile Zeit war, und ich noch viel zu jung, keine Ahnung hatte von Techniken, bei der eine Frau auch trotz unterentwickeltem Etwas, tja, keinen blassen Schimmer hatte von der Tatsache, dass es im Leben nicht auf die Größe ankommt, sondern auf die inneren Werte im allgemeinen.

Klaus-Werner tätschelt kraftlos meine Hand.

Immerhin wirkt das versöhnlich.

 

„Sag mal“, muss ich ihn unbedingt fragen, weil Frauen von Natur aus neugierig sind, „warum wird ein angegrauter älterer Herr wie du Personalchef in dem ‘Joungest-Baby-Milchbrei-Team’?“

 

„Meine Schwester hat das verfügt.“ Und dann meint er, ich sei eh nicht für das Archiv geeignet.

 

Ich bücke mich eilig, ziehe meinen Schuh an, nehme die Klinke in die Hand, wende mich noch kurz herum und sage: „Ich wünsche dir viel Erfolg hier in dem zukünftigen Kindergarten.“

 

* * *

 

Fühle mich richtig gut, als ich den Weg zum Arbeitsamt ansteuere. Das Jahr bis zur Rente sitze ich auf einer Arschbacke ab.

Aber vorher färbe ich mir die Haare flammendrot!

 

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