Von Sonja Schirdewan

Joshua sah kurz von seiner Schaufel auf und blickte seinen jüngeren Bruder Paddy an. „Halt’s Maul und grab weiter, es wird bald hell!“ Sie mussten fertig werden und aus der Baugrube verschwunden sein, bevor die ersten Bauarbeiter auftauchten und das geschah erfahrungsgemäß schon beim ersten Morgengrauen. Joshua wusste, dass heute geplant war, das Fundament zu gießen, deswegen  ja die Idee, seinen Stiefvater hier zu entsorgen. Niemand würde ihn jemals finden, wenn der Beton erstmal den Boden der Grube bedeckte.

Paddy zappelte und kicherte, Joshua dagegen konnte besser einschätzen, was diese Nacht passiert war und sorgte sich. Er verdoppelte seine Anstrengungen und vermied es, das große Bündel neben sich anzuschauen. Während die beiden Jungs sich hier abmühten, putzte ihre Mutter zu Hause das Wohnzimmer, um dort alle Spuren zu beseitigen. Er sah sie ganz deutlich vor sich, ihre geschwollenen und verweinten Augen. Um ihre Söhne zu schützen, versuchte sie immer, vor ihnen zu verbergen, wenn ihr Mann mal wieder ausgerastet war. Doch es wurde immer schlimmer und selbst dem jüngeren und etwas zurück gebliebenen Paddy entging das Leid ihrer Mutter nicht mehr. Mal war sie mit blauen Flecken übersät, wenn es besonders schlimm war, konnte sie mitunter kaum noch laufen vor lauter Schmerzen im Unterleib. Joshua hatte auch schon mal sein Fett weg bekommen, als er sich schützend vor sie stellte. Seitdem war seine Nase etwas krumm, doch das war ihm egal. Hauptsache, sie hatte den Abend Ruhe vor ihrem Mann. Er verstand nicht, dass sie ihn danach immer noch verteidigte. Sie hätte ihn provoziert, sie dürfe ihn nicht immer so reizen, sie habe ja auch schon wieder das Haushaltsbudget überzogen und so weiter. Sie meinte immer, sie müsse Shane dankbar sein, dass er sie geheiratet habe und sich um sie und ihre zwei Söhne kümmere. Bei dem Gedanken entfuhr Joshua ein verächtliches Schnauben, ihrer beider Kleidung war alt und zum Teil schon mehrfach geflickt. Er selbst hatte kaum etwas auf den Rippen, genau wie seine Mutter, weil beide auf den Großteil ihres Essens verzichteten, damit Paddy wenigstens nicht hungern musste.

Gestern waren die beiden Jungs früher nach Hause gekommen, Joshua hatte in der Werkstatt einen Anruf bekommen, dass es Paddy nicht gut ging und er ihn möglichst bald von der Schule abholen solle. Sein Boss meinte noch, dass er ihm die dadurch versäumte Zeit vom Lohn abziehen würde und Joshua wusste, dass Shane ihm dafür die Quittung in Form eines blauen Auges verpassen würde, wenn er ihm weniger Geld als sonst abträte. Schon von draußen hatten sie ihre Mutter schreien und weinen gehört. Joshua hatte seinen Bruder angewiesen, vor der Tür zu warten, er wollte zunächst allein hinein gehen.  

Er öffnete leise die Tür, betrat mit düsterer Vorahnung das Wohnzimmer und sah seine Mutter bäuchlings auf dem Tisch mit hoch geschobenem Rock. Sie wimmerte nur noch still vor sich hin. Sein Stiefvater drückte ihr den Kopf gewaltsam auf die Tischplatte und stieß brutal in sie hinein, immer und immer wieder. Joshua realisierte auf einmal, dass sein kleiner Bruder hinter ihm stand und alles mit weit aufgerissenen Augen mit ansah. Jemand musste dies beenden, er musste dem ein Ende setzen. Ohne nachzudenken machte er ein paar Sätze in die Küche, griff nach dem größten Messer, das er finden konnte, rannte zurück und rammte es Shane mit einem lauten Kampfschrei so fest er konnte in den Rücken. Starr vor Überraschung ließ dieser endlich von seiner geschundenen Frau ab, die weinend sofort so weit weg von ihm kroch, wie es ihr möglich war und sich versteckte. Ihr Stiefvater drehte sich indes mit runter gelassener Hose zu den Jungs um. Er versuchte, sich das Messer aus dem Fleisch zu ziehen und machte dabei Verrenkungen, die Paddy zum Lachen brachten. Zusätzlich zu dem Schmerz versetzte den Mann das so sehr in Rage, dass er auf die Jungs losging. Joshua war so überrumpelt von seiner eigenen Tat, dass er viel zu spät reagierte, als Shane sich den durch den Raum tanzenden Paddy griff und ihm so hart ins Gesicht schlug, dass er zu Boden stürzte. Dadurch brannten bei ihm endgültig alle Sicherungen durch. Er stürzte sich erneut auf seinen Stiefvater, zog mit aller Gewalt das Messer aus seinem Rücken und stieß zu, wieder und wieder. In den Rücken, die Brust, den Schmerbauch und darunter. Zunächst leistete der Ältere noch erbittert Widerstand, doch je öfter und präziser Joshua ihn traf, desto schwächer wurde Shane. Bis er endlich zusammen sackte und nur noch zuckte. Joshua lag erschöpft auf ihm und hob zu seinem letzten Stich an, doch seine Mutter nahm ihm das Messer aus der Hand.

„Was hast du getan, Junge?“ wimmerte sie schluchzend. „wer wird sich nun um uns kümmern?“

Mühsam richtete er sich auf und sah seine Mutter ungläubig an. Er schüttelte den Kopf und bemerkte jetzt erst das Chaos um ihn herum. Er lehnte sich schwerfällig an die Wand. Seine Mutter hatte sich zwischenzeitlich den Rock wieder gerichtet, doch ihre Haare und ihr Makeup waren in einem katastrophalen Zustand, dabei legte sie doch immer so einen großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Sein Blick fiel auf den leblosen Körper zu seinen Füßen und das viele Blut um ihn herum, im ganzen Zimmer. Spritzer auf den Vorhängen, der abgenutzten Couch, den alten Fotos an der Wand, Pfützen auf dem Boden, er fackelte nicht lang.

„Paddy, pack mal mit an.“

Sein Bruder hielt sich noch immer den Kopf, doch kam zu ihm. Joshua deutete auf das eine Ende des Teppichs, auf dem die Leiche lag.

„Wir müssen ihn einwickeln und zu seinem Auto schaffen. Ich habe eine Idee, bin sofort wieder da.“

Er schnappte sich Shanes Autoschlüssel und verließ nach außen hin völlig ruhig das Haus. Er sah sich kurz um. Das war das Gute daran, in einer solch herunter gekommenen Gegend zu wohnen, niemand sah und hörte jemals etwas, alle hatten genug mit ihrem eigenen mickrigen Leben zu tun. Er setzte den Wagen so nah an die Hintertür heran, wie es möglich war, öffnete den Kofferraum und ging wieder hinein. In der Zwischenzeit hatten seine Mutter und Paddy Shane bereits in den verschlissenen Teppich eingerollt und mit Paketband verschnürt. Er selbst packte das schwere Ende und die anderen beiden die Füße. Gemeinsam schleppten sie das Bündel hinaus zum Auto und stopften ihn in den Kofferraum. „Paddy, komm mit. Du Mutter…“ Er nahm sie bei den Schultern, damit sie ihm ins Gesicht sah.

„Du, Mutter, musst hier für Ordnung sorgen. Sollte irgendjemand tatsächlich mal nach dem Schwein suchen, darf nichts auf unser Wohnzimmer als Tatort hinweisen, verstanden?“

Ihr schossen die Tränen in die Augen, das durfte doch jetzt nicht wahr sein.

„Mom, mach dir keine Sorgen, ich werde mich um euch beide kümmern. Wenn wir meinen Lohn aus der Werkstatt jetzt tatsächlich für Lebensmittel ausgeben können, wird es auch für uns alle drei ausreichen, vertrau mir.“

Sie nickte langsam.

„So, und jetzt mach dich bitte an die Arbeit, wir müssen uns beeilen. Paddy und ich kümmern uns um… den da.“

Nun standen sein Bruder und er hier in der Baugrube und schaufelten Dreck auf den Abschaum darunter. Am Horizont wurde der erste Streifen Morgengrau sichtbar, Joshua hielt einen Augenblick inne, um diesen Anblick zu genießen. Heute würde für sie drei ein neues Leben beginnen. Jetzt aber nichts wie weg hier. Er stieß Paddy an, selbst der war jetzt so müde, dass er mit dem Zappeln aufgehört hatte und nun wie sein großer Bruder ruhig da stand. Sie sahen sich an, dann machte Paddy einen Schritt zu dem Älteren und umarmte ihn.