Von Klaus-Dieter Oettrich

Christa war so alt wie ich und für mich das schönste Mädchen in der ganzen Stadt. Ihre langen schwarze Haare mit dem Ponnyschnitt sahen für mich atemberaubend schön aus.

Sie interessierte sich nicht sonderlich für mich, sondern spielte mit anderen Mädchen und wenn mit einem Jungen, dann mit Hans-Jochen.

Das ärgerte mich furchtbar.

 

Zu meinem 7. Geburtstag bekam ich von meinen Eltern einen blauen Roller mit richtigen aufblasbaren Reifen. Ich raste noch an meinem Geburtstag wie wild auf dem Gehweg hin und her, um Eindruck bei Christa zu hinterlassen. Durch die Hupe und die Klingel am Fahrrad die ich dauernd betätigte, hörte man mich schon von weitem.

 

In den nächsten Tagen nahm ich immer ein anderes Mädchen vorne auf dem Trittbrett mit. Die Römerstraße hinunter, dann bog ich in die Tulpenstraße ein und raste dann die Hofeinfahrt hinab.

Irgendwie hat Christa dies wohl schon beeindruckt, denn ich bemerkte wie sie mir nachschaute. Aber ich habe es nicht gewagt sie zu fragen, ob sie auch mitfahren wollte.

 

Beim Abendessen fragte meine Mutter: „warum isst du deine Brezel nicht?“

„Habe keinen Hunger,“ erwiderte ich.

„Bist du krank?“

„Man muss nicht krank sein, wenn man keinen Hunger hat.“

„Wenn du deine Butterbrezel nicht isst, muss irgendetwas mit dir nicht stimmen,“ meinte meine Mutter.

„Ich habe ein Problem, welches ich dir aber im Moment nicht sagen kann, liebe Mutti,“ erwiderte ich.

„Mir ging es in meiner Jugend auch manchmal so. Oft gehen die Probleme aber ganz alleine weg. Wenn nicht, du weißt ja, ich bin immer für dich da. Mit mir kannst du über alles sprechen.“

„Danke Mutti, ja ich weiß.“

 

Meine Mutter war auch ganz erstaunt, dass ich jeden Tag duschte und die Haare föhnte. Sie sagte: „da bin ich aber überrascht. Früher musste ich dich dazu zwingen.“

„Ein Pilot von einem Roller sollte gepflegt und gut aussehen,“ meinte ich dazu.   

Bei mir drehte sich eben alles um Christa. Mein sehnsüchtigster Wunsch war, dass sie mit mir mit dem Roller fährt. Da würden die anderen Jungs  bestimmt erstaunt sein. Zum Glück hatte Hans-Jochen nicht so einen schönen Roller wie ich. Mit ihm würde sie wohl gleich mitfahren. Aber wie und wann soll ich sie fragen?  

 

Am nächsten Tag nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte: „Christa, willst du auch mal mit mir mit meinem Roller mitfahren?“ Und zu meiner Überraschung, sagte sie: „aber ja, gerne.“

Wir fuhren den ganzen Nachmittag mit dem Roller. Sogar den Gehweg hinauf schob ich Christa auf dem Roller.

Am Abend war ich ganz erschöpft und hatte einen riesigen Hunger.

Meine Mutter freute sich und fragte: „Problem gelöst?“

„Ja, Mami.“

Nach dem Abendessen schaute ich von unserem Balkon auf die Fenster der Wohnung von dem gegenüberliegenden Gebäude in der Tulpenstraße wo Christa wohnte. Ich sehnte mich so sehr, dass sie an ein Fenster kam.

Auf einmal öffnete sich ein Fenster und Christa lächelte mir zu und fragte mich: „Fahren wir morgen wieder Roller?“

„Na klar,“ rief ich.

Mein Herz begann zu rasen.

Der nächste Tag war wunderschön mit ihr.

 

Am Abend fragte ich: „Christa, wollen wir morgen eine größere Fahrt unternehmen?“

„Wohin denn?“

„Wir laufen die Altenbergstraße hoch bis zur Neuen Weinsteige. Dann fahren wir hinunter bis zum Bopser. Dort machen wir eine Pause und und fahren dann weiter zur Tulpenstraße.“

„Ist das nicht zu gefährlich?“

„Nein, du hast ja gesehen, dass ich ein guter Roller Pilot bin.“

„Soll ich was zum Essen und Trinken mitnehmen?“

„Oh ja, das wäre toll.“

 

Die ganze Nacht konnte ich vor Aufregung kaum schlafen. Um 10 Uhr hatten wir uns verabredet. Vor 9 Uhr war ich schon auf dem Gehweg und putzte den Roller auf Hochglanz.

Endlich kam Christa und wir gingen die Altenbergstraße hoch und danach noch einige hunderte von Staffeln hinauf bis wir endlich die Neue Weinsteige erreicht hatten.

 

Wie immer war viel Verkehr auf dieser Straße. Doch der Gehweg war frei, denn die Fußgänger hatten keine Lust die Abgase der Autos einzuatmen.

„Fahr nicht so schnell,“ mahnte mich Christa. „Die Autos fahren so eng am Bordstein  entlang.“

Ich konnte mir ein Formel 1 Pilotenlächeln nicht verkneifen.

 

Jetzt begann die Abfahrt.

Schon in der zweiten Rechtskurve hatte ich Probleme mit der Fliegkraft. Sie drängte den Roller ganz knapp an die Zaunbegrenzung. Oh, das war verdammt knapp, dachte ich. Den alte Zaun hätten wir durchbrochen und würden mit Glück in einem Weinberg liegen.

„Nicht so schnell, ich bekomme Angst,“ schrie Christa. „Halt mal an, mir ist ganz übel.“

Also hielt ich an. Wir ruhten uns ein wenig aus und schauten hinunter zur Markuskirche.

„Siehst du Christa, dort unten ist die Tulpenstraße.“

„Oh je, das ist aber noch weit,“ meinte Christa.

Nach fünf Minuten fuhren wir weiter.

Christa ermahnte mich: „Aber bitte nicht mehr so schnell.“

 

Nach drei weiteren Kurven sah ich ganz verwundert ein Polizeiauto mitten auf dem Gehweg. Zwei Beamten standen davor. Durch eine Vollbremsung kam der Roller noch rechtzeitig zum Stehen.

„Das ist ja der Klaus aus der Tulpenstraße 24,“ sagte überrascht der übergewichtige Polizist.

„Guten Tag Herr Brüderle,“ sagte ich zum Gruß.

„Bist du eigentlich total verrückt mit einer so hohen Geschwindigkeit zu fahren?“

„So schnell war es ja auch nicht.“

„Doch es war zu schnell,“ mischte sich Christa in das Gespräch ein.

„Siehst du Klaus, dies meint auch deine Freundin. Eigentlich müsste ich dir einen Strafzettel geben. Aber da ich deinen Vater gut kenne, lasse ich es bei einer Verwarnung. Aber ich werde ihn über diesen Vorfall berichten. So ihr könnt jetzt weiterfahren, aber mit mäßigem Tempo,“

„Besten Dank Herr Brüderle.“

 

 

Am Bopser bogen wir links ab. Wie ein Fahrradfahrer auf der Straße, streckte ich meinen linken Arm aus um die Fahrtrichtung anzuzeigen. Aber ich übersah, dass ein älterer Mann mit Krücken auf dem Gehweg stand. Meine Hand schlug ihm eine Krücke weg und der alte Mann stürzte zu Boden. Auch der Roller kam ins schleudern und so lagen wir alle auf dem Gehweg.

 

„Was hast du denn da gemacht Klaus, der arme Mann,“ seufzte Christa.

Sie stand sofort auf und lief auf den alten Mann zu.

„Das ist mein Opa,“ schrie Christa. „Opa, Opa, hast du dir weh getan?“

„Nein, aber hol mir bitte meine Krücke wieder.“

Sie holte die Krücke und der alte Mann stand wieder auf dem Gehweg.

„Opa, komm nun gehen wir zusammen wieder nach Hause.“

Christa schrie mich an: „Klaus, du Spinner, ich möchte dich nicht mehr sehen, fahr alleine mit deinem blöden Roller zurück.“

 

Ich dachte mir: Scheiß Verkehrsvorschriften, welche die Erwachsenen erfunden haben. Da will man sich an die Regeln der Fahrradfahrer halten und schon passiert so ein Unfall.

Damit ging auch meine erste Jugendliebe fast zu Ende.

 

Christas Vater wurde beruflich nach Frankfurt versetzt. Am letzten Abend vor dem Umzug klingelte es an unserer Wohnungstüre. Es war Christa.

„Will mich nur kurz verabschieden um dir auch zu sagen, dass unsere Fahrten mit dem Roller für mich wunderschön waren.“

„Wie geht es deinem Opa?“

„Wohl durch den Schreck kann er wieder ohne Krücken laufen. Hier ist meine neue Telefonnummer. Vielleicht können wir ja mal miteinander telefonieren.“

Aber daraus wurde nichts. Vielleicht traute sich keiner.

 

12 Jahre später

 

Ingeborg meine langjährige Tanzpartnerin beim Tanzclub „Schwarz-Gelb Stuttgart“ rief mich an um mir mitzuteilen, dass Christa am Samstag bei einem Uni Fest in Tübingen sein wird.

Die beiden hatten seit der Zeit in der Tulpenstraße immer wieder Kontakt zueinander.

„Wie geht es ihr?“ Fragte ich.

„Gut, sie würde sich freuen, wenn sie dich dort wieder sehen könnte,“ teilte mir Ingeborg mit.

„Ja, meine erste Jugendliebe habe ich nie vergessen. Wahrscheinlich liebe ich sie irgendwie immer noch. Aber inzwischen hat sich einiges ergeben im Bezug auf meine Liebesbeziehungen.“

„Das kann man wohl sagen. Du mit deinen Liebesaffären. Ein Buch könnte man darüber schreiben. Viele Mädchen hast du unglücklich gemacht.“

„Ja das kann schon stimmen. Meine Mutter sagt mir immer: Die Schmerzen den du den Mädchen zugeführt hast, wirst du irgendwann in deinen Leben büßen.“

„Sie musste ja auch immer wieder für dich Notlügen erfinden. Wenn du gleichzeitig mit verschiedenen Mädchen Liebesbeziehungen hattest,“ meinte Ingeborg.

„Ich weiß, darum will ich Christa nicht enttäuschen, denn ich liebe sie wohl immer noch. Aber ich bin noch nicht soweit eine feste Beziehung ein zu gehen.“

„Du weißt doch gar nicht, ob sie das will. Wahrscheinlich möchte sie dich einfach mal wiedersehen.“

„Sag ihr bitte, dass auch ich sie gerne wiedersehen möchte. Aber zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich auf einer Tagung. Aber man könnte ja wieder miteinander telefonieren.“

„Notlüge?“ Fragte Ingeborg.

„Ja, das stimmt.“

„Und wenn es dann aber wieder bei einem Telefonat funkt zwischen euch?“

„Dann werde ich es cool auf mich zukommen lassen. Weißt du, schon vor Jahren sang Connie Francis: Die Liebe ist ein seltsames Spiel.“

 

In den nächsten Tagen musste ich immer an Christa denken. Am Samstagmorgen  sagte ich daher eine Teilnahme an einer Party ab. Setzte mich am Nachmittag ins Auto und fuhr mit dem blauen Roller im Kofferraum zu meiner Jugendliebe Christa nach Tübingen.