Von Heidi Hoppe

Fünfzig Jahre waren vergangen. –  50 Jahre auf den Tag genau,

als Doro das Leihfahrrad an das Gatter stellte, mit einiger Mühe

versuchte, das große Tor zu öffnen…

 

Sie war im Begriff auf diesen Hof zu gehen obwohl sie nie zuvor hier gewesen war. Irgendetwas trieb sie, diesen Schritt zu tun.

 

Ihr kam ein Mann entgegen. Ohne Zweifel, er war es. Klaus! Das damals kohlrabenschwarze Haar mit Silberfäden durchzogen. Immer noch attraktiv ohne äußerliche Blessuren.

 

Klaus wirkte anfangs mürrisch, kam ihr mit forschem Schritt entgegen. Inzwischen hatte Doro das Tor zum Pferdehof geöffnet. Sie ging ebenfalls auf ihn zu. Ihr Herz klopfte wie wild. Der Mann hielt inne. Seine Gesichtszüge veränderten sich, wirkten erschrocken, erleichtert, irgendwie verunsichert.

 

Nun standen sie sich gegenüber. – Doro fühlte sich versetzt in die Zeit, als sie ihre Jugendliebe kennenlernte. – Meine Güte, wie heftig ihr Herz doch klopfte. Ob sie errötete? – Ob er sie erkannte? Die Jahre waren ihr anzusehen. – Ihr Leben hatte ihr einiges abverlangt.

 

Klaus – Wenn er wüsste, wie sehr sie all die Jahre nach ihm gesucht, geforscht hatte. Sie bemühte das Internet – doch keinerlei Einträge.

Sie suchte nach dem Begriff „Pferde“ – da sie sich gern an ihn erinnerte, wenn er ihr hoch zu Ross entgegenritt.

 

Die zuletzt per Internet erforschte Adresse lag in der Nähe ihres

Urlaubsdomizils. – Doch sie war sich bis zuletzt nicht sicher, ob sie wirklich den Mut aufbrächte, dort hinzufahren. Die erforschten Angaben waren sehr vage.

 

Vor drei Jahren war ihr Mann Peter verstorben. Dieser Verlust setzte ihr schwer zu, war er doch die überwiegende Zahl der Ehejahre hilfsbedürftig. – Die Krankheit schweißten sie zusammen. Ihr Mann verstarb plötzlich, ohne vorherige Ankündigung in der Nacht des Blutmondes. –

 

War es Zufall, war es Fügung, dass sie jetzt hier und heute vor ihm stand? – Vor einigen Wochen flatterte ihr eine Einladung zu einer Hochzeit auf den Küchentisch. Eines ihrer Patenkinder heiratete. Sie hatten lange Jahre keinen Kontakt. Die Einladung galt ihr und ihrem verstorbenen Mann. – Sollte sie zu dieser Hochzeit fahren? – Dorothea gab sich einen Ruck, buchte eine Woche in dem mittelalterlichen Städtchen. Irgendwie würde sie die Zeit schon herumbekommen.

 

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, die sie sich gegenüberstanden. Doro konnte das Schweigen kaum ertragen, also gab sie sich einen Ruck, kramte in ihrem Rucksack, holte ein zusammengeschnürtes Päckchen hervor, eingepackt in Zeitungspapier, zusammengehalten mit Paketband, streckte es ihm entgegen.

„Herzlichen Glückwunsch zum 66!“

 

Ihr Gegenüber zeigte sich erleichtert, dass Doro das Schweigen brach. Er konnte es nicht glauben, dass sie jetzt so aus dem Himmel heraus vor ihr stand.

 

„Sag mal Doro, das gibt´s doch nicht. Und meinen Geburtstag hast du nicht vergessen? – Wie viel Jahre haben wir uns nicht gesehen?“

 

In dem Moment rief eine Frauenstimme:

„Klaus, nun komm doch endlich. Es wird Zeit!“

„Ja, ja, ich komme gleich!“

War er verheiratet? – Doro erwachte wie aus einem Traum, kam sich plötzlich als Eindringling vor.

 

„Ich will nicht länger stören, Klaus, bin in Lübeck in Urlaub. – Ich melde mich noch mal. Dann können wir ja über die guten alten Zeiten reden.“

 

„Ja nun warte mal… Morgen Abend hab ich keine Zeit, aber vielleicht…“

 

„Tja, morgen bin ich auch eingeladen, aber wie gesagt, ich melde mich…“ stammelte sie, drehte sich um, und war flugs mit ihrem Drahtesel verschwunden.

 

Klaus stand da mit diesem Päckchen in der Hand, er konnte es immer noch nicht fassen, dass Doro hier so mir nichts dir nichts auftauchte.

 

„Klaus…“ – Nun mach schon!“ – Er ging zum Haus. Sabine, seine Schwester, hielt ihm das Sakko hin.

„Wer war das denn?“ fragte sie.

„Das war Doro, kannst du dich noch erinnern? Damals in Neuenkirchen…“

„Ach, deine große Liebe? Warum ist sie denn schon wieder verschwunden?“

„Ich weiß auch nicht. Aber guck, sie hat mir ein Geschenk mitgebracht!“

Klaus pulte das Paketband auf.

„Hach, sieh mal, der Webleinenstek. – Wie oft haben wir diesen Seemannsknoten damals ausprobiert. Ich fass es nicht.“

Er wickelte das Papier ab. – Das Geschenk: 16 Bierdeckel, alte Biersorten, vergilbt.

Klaus war berührt, er war ihr wieder so nahe wie vor vielen vielen Jahren. Als sie sich zuletzt trafen, holte er sie von ihrem Zuhause ab, sie hinten auf dem Gepäckträger seines Fahrrades. Sie umfasste ihn mit beiden Armen und spürte seine Wärme. – Sie gingen in sein Zimmer und guckten sich seine Bierdeckelsammlung an. – Immer wieder kam seine Mutter ins Zimmer wegen irgendwelcher fadenscheiniger Angelegenheiten.

 

„Ich guck mal, ob ich sie noch erwische“! sagte er zu seiner Schwester, holte seinen Jeep aus der Garage und machte sich auf den Weg.


„Klaus, nun warte doch!“ – aber schon war er verschwunden.

 

Nach einer Weile kam er zurück ohne sie erreicht zu haben.

 

Doro radelte durch den Wald, fernab der großen Straßen, sie war aufgewühlt. – Wie konnte sie nur. Was er wohl von ihr dachte? Aber sie spürte, dass auch er sich auf sie freute.

 

Am nächsten Tag zog sie ihr neu erstandenes blutrotes Kleid an und diese Regenbogenkette. Sie lackierte sich Fuß- und Fingernägel und machte sich auf den Weg in den Hafenschuppen, der nun modernisiert als Veranstaltungshalle diente.

 

„Sekt oder Saft?“ – eine junge Frau kam auf sie zu mit einem Tablett in der Hand. Es war Jennifer, die zukünftige Frau von Kai, ihrem Patenkind. „Du bist sicherlich Doro, nicht wahr? Kai hat mir Fotos von dir gezeigt!“.

Dann kam auch Kai, ihr Patenkind.

„Mensch, wie lange haben wir uns nicht gesehen, toll, dass du gekommen bist. Guck dort ist unser Platz, du sitzt neben meinen Eltern und Jennifers Vater!“

Doro sah zu ihrem Platz.  – Sie konnte es kaum fassen. Dort am Tisch saß Klaus. – Jennifers Vater. –

Nun blickte auch Klaus herüber.

 

Fünfzig Jahre danach…