Von Barbara Rindisbacher

Um halb sieben, immer um halb sieben, wenn mein Schulkamerad Hans die Milch abgeliefert hatte in der Käserei meines Vaters, kam er zu mir hinters Haus, wo wir gemeinsam meine Kaninchen fütterten. Meist stand ich schon eine Weile vor dem kleinen Stall. Wartete auf ihn. Horchte. Ich horchte auf Hansens Schritte in den Gummistiefeln, die er fast immer trug. Rostrote Gummistiefel waren es, mit hohem Schaft. Grosse. Sie verursachten ein leicht schmatzendes Geräusch auf den Pflastersteinen auf unserem Vorplatz, den Vater täglich mehrmals mit dem Schlauch abspritzte. Vater mochte es nicht, wenn aus den Bauernställen Stroh und Mist vor der Käserei herumlagen. Sauberkeit war sein oberstes Gebot und Hans wusste das. Bevor er jeweils seine beiden schweren Milchkannen vom metallenen Handwagen in den Milchwägeraum der Käserei hineinwuchtete, spritzte er seine Stallstiefel mit dem Schlauch gründlich ab, was ihm Abend für Abend ein anerkennendes Nicken meines Vaters eintrug. Das nasse Rostrot des Gummis glänzte. Du hast blutige Beine, sagte ich manchmal im Scherz zu ihm. Er sagte dann immer, ach komm, Blut hat doch eine ganz andere Farbe.

 

Hansens Schritt hätte ich unter Tausenden erkannt. Auch wenn er gross war, bestimmt einen Kopf grösser als ich, ging er leicht, ganz anders als meine Brüder, die immer herum trampelten. Und auch wenn Hansens Gummisohlen ein wenig schmatzten auf dem nassen Pflaster, waren sie nicht laut. Manchmal kam es mir vor, als schwebe Hans ein paar Zentimeter über dem Boden, so leicht kam er daher. Das war die Freude, die Hansens Schritte so leicht machte, ich wusste das. Ich wusste um seine Vorfreude darauf, dass er gleich um die Ecke biegen und sich ruhig und ohne etwas zu sagen an meiner linken Seite vor den Kaninchenstall stellen würde. Ärmel an Ärmel.

Ich öffnete die oberen beiden Türchen des Stalls und Hans hob die braunen zweiteiligen Steingutnäpfe heraus, schüttelte Heu und Stroh von ihnen ab und  trug sie zum Brunnen, wo er sie einen neben dem andern auf dem Rand abstellte. Das leise Klirren war wie ein Zwinkern aus Hansens grünen Augen, mit denen er mich in der Pause auf dem Schulhof anblickte. Bei seinem freudigen Blick spürte ich jeweils etwas Warmes durch meinen ganzen Körper hochsteigen, von den Füssen aus, und sich in der Herzgegend sammeln. Hans zwinkert mir zu, dachte ich abends vor dem Kaninchenstall, wenn ich das Klirren hörte, spürte wieder die Wärme in Herznähe und musste lächeln. Dann kam er vom Brunnen zurück und fragte: Warum lächelst du und ich sagte, ich lächle gar nicht. Doch, sagte Hans, du lächelst.

Wir streichelten die Kaninchen, sprachen ein wenig mit ihnen und unsere Stimmen waren leise und ruhig und fast ohne Klang. Schlossen dann die Türen und reinigten am Brunnen die Näpfe. Das kalte Wasser machte unsere Finger klamm, was uns nicht weiter störte. Wir sprachen nicht, arbeiteten still. Stellten die Näpfe zum Abtropfen umgekehrt auf den Brunnenrand. Hans holte einen alten Flanelllappen in der kleinen Kiste unter dem Vordach und trocknete die Näpfe sorgfältig ab. Sonst klebt alles zusammen, meinte er und weil er wusste, dass ich wusste, dass er das sagen würde, lachten wir beide ein wenig. Wir schauten uns dabei nicht an, aber ich wusste genau, wie Hans aussah bei diesem kleinen Lachen. Ich wusste, dass seine Augen dunkelgrün wurden, wie die Nadeln schon älterer Tannen. Ich wusste, dass sich über seiner Nasenwurzel ein winziges dreieckiges Fältchen bildete, das aussah wie die Miniaturausgabe von Fräulein Stolls Triangel, mit dem Hans manchmal mit einer metallenen Stricknadel den Takt schlagen durfte im Musikunterricht. Ein Dreieck, in einer Ecke nicht ganz geschlossen.

 

Wir gingen zum Stall zurück und Hans wischte mit dem kleinen Besen das alte Heu und Stroh aus jeder Ecke in einen alten Eimer und ich legte neue Streu hinein, grosszügig, die Kaninchen sollten nicht auf dem blanken Holz sitzen. Die glänzenden grauen und schwarzen Tiere sprangen währenddessen herum und manchmal schlug das grösste laut mit einem Hinterlauf auf den Stallboden. Ich fuhr jedes Mal zusammen und schaute Hans erschrocken an. Er machte dann einen ganz kleinen Schritt zu mir hin, ich spürte manchmal seinen Ärmel an meinem Arm und er half mir, das frische Stroh zu verteilen. Das machen die halt, sagte er. Das ist normal. Das sind so eine Art Schiessübungen. Wir lachten. Vater fiel mir ein, der sich immer aufs Feldschiessen freute und vorher zehn Stück Würfelzucker ass, die Mutter ihm auf einem kleinen geblümten Tellerchen bereitstellte. Ich fragte Hans, ob Kaninchen Zucker mögen. Nein, sagte er ernsthaft und schüttelte den Kopf, das würde ihnen nicht gut tun. Warum fragst du das? Nur so, sagte ich. Weil Vater Würfelzucker isst vor dem Schiessen, schob ich nach einer Weile nach. Aha, sagte Hans und schaute auf die Kaninchen. Deiner nicht, fragte ich.  Isst dein Vater keinen Würfelzucker vor dem Schiessen? Ich weiss nicht, sagte Hans und hob die fast weissen schmalen Brauen ein wenig an. Ich glaube nicht. Sonst sprachen wir wenig.

 

Wenn wir alles gereinigt und frisch gemacht hatten, gaben wir eine Handvoll Körner in die sauberen Steingutnäpfe, trockenes Brot, eine paar Karottenstücke. Ins zweite Abteil gossen wir frisches Wasser aus einer Mostflasche, die Hans am Brunnen gefüllt hatte. Oft nahm Hans dann ein Kaninchen in den Arm und ich streichelte sachte über das weiche glänzende Fell und hie und da berührten meine Finger dabei Hansens Finger, die noch ganz kalt waren vom Brunnenwasser und das war schön. Ich schaute auf das Kaninchen und Hans schaute auf das Kaninchen und er sagte, das sei ein schwarzer Jäger. So heisse diese Rasse. Das sei die schönste und robusteste Kaninchenrasse, die es gebe. Ich streichelte den Jäger und Hans hielt ihn fest. Von weitem hörte man das Geschepper der Milchkannen, hörte einen Traktor anfahren und meinen Vater jemandem einen Gruss zurufen. In unserem Rücken dunkelte die Ebene langsam ein. Kühle stieg aus den Baumschatten und kroch auf uns zu. Ich zog die Schultern hoch und grub meine Hand tief ins weiche schwarze Fell.

Ich muss gehen, sagte Hans und ich zuckte leicht zusammen. Er sagte es jeweils ganz plötzlich und auch wenn ich wusste, dass er es sagen würde, kam es plötzlich und unvermittelt und sehr leise und ohne dass er den Blick vom Kaninchenrücken nahm. Ich muss gehen. Ich muss noch beim Ausmisten helfen daheim. Und die Kälber füttern. Ich nickte. Sorgfältig liess er den schwarzen Jäger aus den Armen gleiten und schubste ihn sanft in das Ställchen. Beide strichen wir ihm noch einmal über das Fell. Liessen unsere Finger einen Augenblick leicht ineinander geflochten im Weichen liegen. Dann zog jedes seine Hand zurück. Einen Moment standen wir noch nebeneinander da. Den Blick auf unsere Hände gesenkt. Dann schlossen wir ab, Hans nahm den Eimer und leerte ihn auf den Haufen am Rande des Rasens. Als er ihn abstellte, erklang ein leiser blecherner Ton und wir standen für den Bruchteil einer Sekunde einander gegenüber und horchten ihm nach.