Von Florian Ehrhardt

„Du sagst mir also, dass ich über Liebe schreiben soll?“

„Klar, sowas zieht immer.“

Tobis Antwort entlockt mir nur ein Schulterzucken.

„Nein, aber jetzt mal im Ernst, eine Lovestory würde deine Karriere wirklich voranbringen!“

„Klar, du willst, dass ich berühmt werde, damit ich dich anschließend durchfüttern kann, stimmt‘s? .“ Ich muss mich beleidigter anhören als ich wollte, denn Tobi schaut mich wütend an.

„Ich mache das nicht wegen dem Geld, sondern weil ich dein Freund bin und will, dass deine Romane Erfolg haben!“

„Bisher ist keiner meiner Romane fertig! Niemand kennt mich als Autor und mit Kurzgeschichten ist noch niemand reich geworden! Das wäre verschwendete Zeit!“

„Hör auf dich selbst zu belügen! Dieser Wettbewerb ist DIE Chance zum Durchbruch! Das weißt du genauso wie ich!“

„Ich werde nicht teilnehmen!“

„Warum?“

„Ich schreibe nicht über Liebe!“

„Warum? Liebe ist das schönste Gefühl der Welt!“

„In welchem Universum?“

„In JEDEM! Fabi, du musst einfach nur ‘ne kurze Liebesgeschichte schreiben! Das ist EINFACH!“ Zumindest für dich. Wenn ich so gut schreiben könnte wie du, hätte ich schon längst eine Geschichte eingereicht!“

„Du verstehst es nicht.“

„Erklär es mir. So doof bin auch nicht.“

 

„Ich habe dir von allen Frauen erzählt, für die ich in meiner Jugend Gefühle hatte, oder?“

„Naja, von allen beiden halt. Ich mein, Anna war in der Grundschule, die kannst du nicht wirklich mitzählen, also wars doch eigentlich nur eine, oder?“

„Äähhhhm“

„Naja, und die Story mit Emma find ich jetzt eher lustig, du hast sie halt betrunken angemacht als ihr Freund neben ihr stand.“

„Das blaue Auge hab ich mir echt verdient.“

„Na dann! War doch nichts dabei, was wirklich schlimm war, oder?“

„Ääähhhmm…“

„Was versuchst du mir zu sagen?“

„Naja“ Ich druckse herum.

„Sprich mit mir!“

„Da war noch eine Dritte. Zwei Jahre nach Emma.“

„Bitte was?“

„Ja.“

„Was ist passiert?“

„Ich habe schon zu viel gesagt.“

„Aber ich bin dein Freund!“

„Das hat damit nichts zu tun! Ich will nicht einmal dran denken!“

„Warum. Du musst doch irgendwann damit fertig werden!“

Ich zögere. Lange.

„Was ist jetzt?!“

„OK.“

 

„Kannst du dich an diesen einen verrückten Sommer erinnern?“

Tobi schaut mich nur verdutzt an. „Welchen?“

„Naja, in dem Jahr, in dem Marcels Band plötzlich in den Charts war.“

„Ah, stimmt! Naja, ‚Liebe und Leid‘ war eben ein ziemlich gutes Lied, oder?“

„Ja, hast recht. Aber ich wollte auf was anderes raus. Du weißt doch, wo ich damals war, oder?“

„Naja, ich weiß noch, dass du den halben Sommer weg warst.“

„Nicht den halben Sommer! Eine Woche!“

„Ja, in dem Jahr, in dem wir zwei Wochen Sonnenschein hatten.“

„Egal. Auf jeden Fall war ich eine Woche als Betreuer beim Ministrantenausflug nach Rom dabei. Und mit Betreuer meine ich, dass ich auf Partys gegangen bin und das Betreuen anderen überlassen habe.“

„Und da lief was?!“

„Wer erzählt die Geschichte?“

„Sorry. Mach weiter.“

„Danke! Um deine Frage zu beantworten: Ja. Am zweiten Tag habe ich eine wunderschöne Italienerin kennengelernt. Während dem Gottesdienst beim Papst.“

Tobi klappt der Kiefer nach unten.

„Und ja, es hätte was werden können.“

Jetzt löse ich Schnappatmung bei meinem Freund aus.

„Wenn da nicht Jorge gewesen wäre.“

Und schon ist Tobi wirklich ein wandelndes Fragezeichen.

„Er war in meiner Jugendherberge im gleichen Zimmer wie ich.“

„Hör auf, nach jedem Satz eine Pause einzulegen!“

„Okay. Ich versuche jetzt, das alles so flüssig wie möglich zu erzählen.“ Ich rufe mir den Sommer von vor zehn Jahren nochmal ins Gedächtnis.  „Wir haben die Italienerin – ihr Name war übrigens Gianna – am gleichen Abend in einem Club wieder gesehen. Wir kannten uns vom Gottesdienst noch flüchtig und sind schnell ins Gespräch gekommen. Jorge hat sie zuerst geküsst. Dann ich.“

Tobi zieht eine Augenbraue hoch.

„Es war ein wilder Abend, okay! Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt. Nachdem sie mich geküsst hatte, wurde es ganz schnell sehr ruhig. Wir haben uns in eine nicht ganz so laute Ecke zurückgezogen und uns stundenlang unterhalten. Weißt du, vorher hatte ich nicht geglaubt, dass es für jeden Topf einen Deckel gibt – vor allem nach dieser dämlichen Aktion mit Emma – und plötzlich war alles so einfach. Am Anfang war es nur ein Kuss, aber wir hatten wohl intuitiv richtig gelegen. Wir waren wie füreinander bestimmt. Die gleiche Liebe zu den ‚Herr der Ringe‘ Büchern war schon mal ganz praktisch, um das Eis zu brechen, aber auch sonst passten wir einfach perfekt zueinander. Sie wollte sogar Schriftstellerin werden. Es war einfach perfekt mit ihr. Jorge war längst nach Hause gegangen. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, dass ich mit ihm im Club war. Gianna und ich haben uns dann für den nächsten Tag in einer kleinen Pizzeria an der Piazza Navona verabredet. Ich war so kurz davor, eine Beziehung mit ihr zu beginnen, die wohl alles überstanden hätte, aber Aphrodite ist eine blöde Kuh.“

„Was ist passiert?“

„Ich dachte du wolltest, dass ich die Geschichte flüssig erzähle?“

„Sorry.“

„Naja, auf jeden Fall habe ich an diesen Tag plötzlich furchtbare Kopfschmerzen bekommen und musste die Verabredung sausen lassen. Ich glaube immer noch, dass Jorge mir was ins Essen getan hat. Anders ist es nicht zu erklären. Auf jeden Fall musste ich sie sitzen lassen. Ich hatte vollkommen vergessen, sie nach ihrer Nummer zu fragen.“

Aber irgendwie hättest du sie bestimmt erreichen können, oder?

Ich befehle der Stimme in meinem Kopf zu schweigen.

„Ich habe Gianna nie wieder lebend gesehen. Drei Tage später haben sie ihre Leiche aus dem Tiber gefischt.“

„Bitte was?!“

„Niemand weiß genau, wie es passiert ist. Die Polizei hat mir gesagt, dass sie wahrscheinlich gesprungen ist.“ Ich lege eine kurze Pause ein. Was ich jetzt sagen werde, habe ich bisher noch nie laut ausgesprochen. „Wegen mir.“

Tobi sieht mich entgeistert an. „Du hast eine Italienerin so knallhart versetzt, dass sie in den Tod gesprungen ist?“

„Ich sagte doch, dass ich einen Grund habe, warum ich nicht über Liebe schreiben will, oder?“

Tobis entgeisterter Blick hält weiter an.

„Es ist eben ganz einfach: Irgendein großer Mann da oben will nicht, dass ich etwas mit Liebe zu tun habe.“

„Fabi, niemand bringt sich um, weil er beim Date versetzt wird!“

Ich zucke mit den Schultern. „Ist doch sowieso längst vorbei. Sie ist tot. Dein Geschwätz wird sie mir nicht zurückbringen.“

„Aber jetzt denk doch mal nach! Niemand bringt sich wegen DIR um! So toll bist du nicht.“

„Wer weiß. Sie hat mich sehr gemocht.“

„Das ist niemals logisch!“ Tobi überlegt kurz. „Wo war dieser Jorge an dem Tag?“

„Jorge?“

„Wenn er dich krank gemacht hat, wäre ihm auch ein Mord zuzutrauen!“

„Nein!“

„Und wenn doch?“

„Ich habe seine Adresse noch, bist du zufrieden, wenn ich ihm schreibe?“

„Du kannst keinem Mörder schreiben!“

Jetzt muss ich doch mit der ganzen Wahrheit herausrücken. „Wir hatten sowieso schon Kontakt.“, gebe ich zerknirscht zu. „Ein Jahr nach den Ereignissen habe ich mich dazu durchgerungen, ihm zu schreiben. Er hat geantwortet, aber ich wollte es nicht  wissen. Eigentlich müsste ich den Brief sogar noch haben.“

„Dann such ihn! Du Idiot! Vielleicht hast du seit Jahren ein Geständnis bei dir rumliegen!“

 

Ich werde schnell fündig. Meine Hände schwitzen ein bisschen, als ich den Brief finde. Der Umschlag ist etwas dreckig und vergilbt, trotzdem ungeöffnet. Wie sollte es auch anders sein.

Absender: Jorge Collazo, 33 Avenida do Santa Cruz, Sevilla.

Ich öffne das Kuvert.

 

Hallo Fabian,

vor einer Woche habe ich deinen Brief erhalten. Vor diesem Tag habe ich mich gefürchtet. Lange habe ich gewartet, bis du den Mut findest, mich über diesen Tag auszufragen. Ich habe eigentlich erwartet, dass du dich schon früher bei mir meldest. Hast du wirklich ein ganzes Jahr gebraucht, um darüber hinwegkommen? Du solltest langsam mal mit deinen Freunden darüber sprechen. Aber ich bin ja auch nicht besser. Das Geheimnis über jenen Tag habe ich mit keiner Seele geteilt. Bis heute.

Ja, das Chili con Carne, was ich dir an jenem schicksalshaften Tag gekocht habe, war nicht handelsüblich. Ich war eifersüchtig und musste dich irgendwie aus dem Weg schaffen.

Ja, ich bin dort hin gegangen, wo du dich mit Gianna verabredet hast und wollte deine Stelle bei diesem Date einnehmen. Aber sie wollte dich. Sie hat mir eine geschmiert und ist losgelaufen. Durch enge, verwinkelte Gassen. Ihr Vorsprung ist immer größer geworden.

Und dann waren da diese Typen. Drei oder vier. Ich hätte es verhindern müssen, hätte die Polizei rufen können, aber ich war zu geschockt.

Ich bin ihnen hinterher, habe mich hinter Mülltonnen versteckt, aber irgendwann konnte ich sie nicht mehr sehen. Nur noch hören. Erst ängstliche Schreie, dann ein Platschen. Dann sind die Typen an mir vorbei in Richtung Piazza Navona gerannt. Hätte ich sie verfolgen sollen? Hätte ich dem Platschen folgen sollen? Ich stelle mir diese Fragen oft in schlaflosen Nächten.

Ich weiß, dass du jetzt wütend sein musst. Gianna und du hättet wunderbar zusammengepasst. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Was ich getan habe war falsch und ich schäme mich, dass ich so lange für diese Einsicht gebraucht habe. Ich weiß, dass dir dieses Blatt Papier nicht helfen wird, Gianna wiederzubekommen, aber vielleicht konnte ich wenigstens ein bisschen Trost spenden. Du bist nicht schuld an ihrem Tod. Das waren diese Typen.

Melde dich, wenn du in Kontakt bleiben willst.

Jorge C.

 

Mit zitternden Händen lasse ich das Blatt sinken. Nun weiß ich also, was passiert ist.

Tobi sitzt neben mir. „Glaubst du, dass es gelogen ist?“

„Wohl kaum. Was hätte er denn davon gehabt, Gianna zu töten?“

„Wenigstens bist du nicht schuld.“

„Wenn ich Gianna nicht kennengelernt hätte, würde sie noch leben.“

Tobi sind die tröstenden Worte ausgegangen.

„All die verlorenen Jahre.“

Und dann hat Tobi doch noch einen seiner berühmten Geistesblitze. „Weißt du was?“

„Nein, was?“

„Du hast immer noch drei Tage für den Wettbewerb! Schreib die Geschichte mit Gianna auf! Wörter sterben nie!“

Ich zögere.

„Fabi, damit kannst du Gianna unsterblich machen!“

„Okay. Ich werde es versuchen.“

 

Version 3