Von Amelie Sorglos

Was für ein netter junger Mann“, flüsterte mir meine Mutter ins Ohr, als Hans das erste Mal unser Haus betrat. Groß und schlank, stand er mit glänzend polierten Schuhen vor ihr, um mich fürs Kino abzuholen.
„Guten Tag gnädige Frau“, sagte er und verbeugte sich tief. Er kam noch öfter und Mutter stellte die Frage, auf die ich bereits wartete: „Ist er katholisch?“

„Ja Mutti, katholisch“.
Mutter summte ein Lied, nahm die Gießkanne zur Hand und verschwand im Garten.

 

Hans war nicht nur ein gutaussehender Mann, er besaß auch Geist und Witz. Er verstand es, mich zum Lachen zu bringen, er konnte mir geduldig zuhören, die Blumen, die er mir schenkte, waren zauberhaft, doch die Küsse, die er mir auf die Wange hauchte, waren nicht geeignet, ein Feuer in mir zu entfachen.  
Ich war neunzehn Jahre alt, hatte das Abitur in der Tasche und den Kopf voller Träume. Hans kam aus einem reichen Haus. Meine Mutter ließ sich davon beeindrucken. Sehr sogar und mehr als mir lieb war.

„Hat er ernste Absichten?“
„Ich glaube schon.“
„Und?“
„Was und?“
„Du wirst doch nicht nein sagen, wenn er dich fragt?“
„Ich denke, einen Mann muss man lieben wenn man ihn heiraten will?“
„Sei nicht dumm, Mädel. Eine bessere Partie kannst du gar nicht machen.“
„Erst will ich Fotografin werden. Heiraten kann ich später.“
„So ein Blödsinn! Nimm den Hans Biermann, da brauchst du nie mehr im Leben zu arbeiten.“
„Ich liebe den Hans nicht. Ganz einfach, ich liebe ihn nicht.“
„Was verstehst du von Liebe mein Kind. Das kommt alles später.“
„Du musst es ja wissen, Mutter.“
„Wir wären mit einem Schlag unsere Sorgen los.“
Seit Vaters Tod hatte sich unser Leben verändert. Mit der kleinen Rente kamen wir gerade so über die Runden.

Eines Tages hat er mich gefragt. „Wir könnten heiraten, Helga, was meinst du?“

Für einen Moment setzte mein Herzschlag aus. Dann dachte ich an Mutters Worte:

„Wir wären mit einem Schlag unsere Sorgen los“ und sagte:
„Ja, Hans, könnten wir.“

Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich das erste Mal auf den Mund.

Zärtlich, gefühlvoll. Von Liebe sprachen wir nicht, doch als er mich seinen Eltern vorstellte, strahlte er vor Glück.


An meinem Finger glänzte ein goldener Ring. Die Vorbereitungen zu meiner Hochzeit liefen und Mutter sang jetzt immer, wenn sie die Blumenbeete wässerte.

Es war an einem dieser heißen Sommertage, an denen man drei Mal unter die Dusche sprang und kübelweise Mineralwasser in sich hinein kippte, als Renate, meine Freundin, mit dem Fahrrad vor unserem Gartentor stand und rief, ob ich nicht ins Strandbad mitkommen wolle.
Nur fünfzehn Minuten später hatten wir das Römerbad erreicht. Wir durchschritten eine heitere Badelandschaft mit Schwimmbecken voller kreischender und planschender Menschen, stolperten über bunte Decken, nackte Beine und Kinderspielzeug, bis wir am hinteren Bretterzaun angekommen waren, der Grenze zur Nacktbadezone, vor dem wir uns im Gras niederließen.

„Wie es wohl dahinter ausschaut?“, fragte mich Renate und schickte dem jungen Mann, der gerade durch die Türe mit dem Schild: „Freikörpergelände“ schritt, einen neugierigen Blick nach.
„Nackt schaut‘s da aus“, antwortete ich lachend.
„Interessieren würd’s mich schon“, bohrte meine dunkelhaarige Freundin weiter.
„Mich auch“, gestand ich.
Renate sprang hoch. „Los Helga!“
Geschwind rollten wir unsere Badetücher zusammen und schritten durch die geheimnisvolle Tür. Etwas ratlos standen wir in unseren Badeanzügen herum.
„Ob wir hier schon?“. Renate pellte sich aus dem Anzug, ich machte es ihr nach. Die Sonne blendete, nur undeutlich konnten wir die Umrisse der Nackten erkennen, die sich auf den weit ausgebreiteten Tüchern räkelten. Mit den Baderollen unterm Arm und den Badeanzügen in der Hand, schafften wir es irgendwie bis zu einem stillen Platz in einer grünen Ecke des Geländes.

„Komisches Gefühl“, flüsterte ich Renate zu, die sich eng am Boden liegend einölte.
„Man weiß nicht, wo man hinschauen soll“, gestand sie kichernd.
Ich suchte nach meiner Sonnenbrille, schob sie auf die Nase und fühlte mich gleich etwas angezogener. Nach einer Weile wagte ich es, mich aufzusetzen und riskierte einen Rundblick. Dicke, Dünne, Behaarte und Rasierte, Schlaffe, Straffe, Hängendes und Schwingendes. Ich zuckte zusammen und ließ mich flach auf den Bauch fallen.
„Was ist los?“, Renate beobachtete mich überrascht.
„Da drüben liegt Hans“, meine Stimme zitterte.
Renate war meinen Blicken gefolgt. „Ich fasse es nicht“, sie schnappte nach Luft.
Jetzt lagen wir beide auf dem Bauch und starrten auf das rote Badetuch mit der schwarzen Borte. Mein Hans darauf, nackt, das linke Bein angewinkelt über dem Bauch eines älteren Mannes. Sein Kopf, dicht an das gebräunte Gesicht des anderen geschmiegt, lagen sie wie ein Liebespaar in der Sonne. Schwul, mein Hans war schwul.

Mein Herz schlug schneller, meine Gedanken rasten. Eine Weile lagen wir still.

 

Renate fasste meine Hand. „Was denkst du?“, fragte sie.

Ich schluckte. „Es wird nicht leicht sein, es meiner Mutter zu erklären.“