Von Michael Voß

„Wen soll ich töten?“, fragte ich.

„Einen Galgenschwengel namens Leif Luchsauge Ragnarson. Er hat sich als Söldner bei einer Gauklertruppe verdingt. Der Haufen lagert derzeit auf dem Marktplatz. Du wirst den Hundsfott leicht erkennen, er ist der einzige Elf unter diesen Nichtsnutzen.“

„Was ist sein Vergehen?“

„Er hat meinen Neffen ermordet!“, schnaubte Espejo.

„Wie bitte? Kein Elf hat je einen Mord begangen!“

Das Oberhaupt der Räuber-Gilde wiegelte ab: „Naja, vielleicht kein richtiger Mord. Mein Neffe hatte sich halt an einem Überfall beteiligt. Die Sache schien sicher – Gaukler sind keine Kämpfer. Wer konnte schon ahnen, dass dieser Ragnarson mit Bogen und Schwert umgehen kann wie die Kriegsgöttin!“

Es schien mir unrecht, einen tapferen Söldner zu töten, der nur seine Pflicht getan hatte. Aber mein Auftrag lautete, mir das Vertrauen Espejos zu erschleichen. Der Kaiser selbst hatte das Pergament unterschrieben, was mich notfalls gar zu Folter und Mord ermächtigte, um dieser Verbrecherbande das verruchte Handwerk zu legen. Manchmal müssen eben Opfer gebracht werden. 

Ich begann Erkundigungen einzuziehen. Schnell stellte sich heraus, dass der vermeintliche Elf in Wahrheit der Sohn eines Piraten und einer Elfe war, also ein Halbelf. Leider nicht irgendeiner, sondern jener Halbelf, vom dem erzählt wurde, das er im Kampf um Elixa einen Oger getötet hatte. Im Alleingang und nur mit dem Jagdmesser, wohlgemerkt. Dieser Ragnarson war kein Opfer, sondern ein Gegner. Ein Gegner, gegen den ich, eine ehemalige Amazone im Dienste des kaiserlichen Geheimdienstes, im offenen Kampf nicht bestehen konnte. Mir blieb nur der unehrenhafte Weg, der Meuchelmord.

Es missfiel mir außerordentlich.

Mein erster Versuch, ihn während seiner Nachtwache mit der Armbrust zu erschießen, schlug fehl. Vermutlich hatte sein elfisches Erbe ihn gerettet, verfügt das schöne Volk doch über einen ausgeprägten Gefahrensinn. Beim Klang des Abzuges ließ er sich zu Boden fallen und mein Schuss ging ins Leere. Bevor ich nachladen konnte, war er schon wieder auf den Füßen und legte mit dem Bogen auf mich an. Warum er zögerte, weiß ich nicht, doch es ermöglichte mir die Flucht. 

In den nächsten Tagen spionierte ich ihn weiter aus. Rasch wurde mir klar, dass ich ihn nicht töten konnte, solange er seiner Aufgabe nachging, die Gaukler zu beschützen. Er war einfach zu aufmerksam: an den Verkaufsständen ertappte er Diebe auf frischer Tat, schlichtete Streitigkeiten und komplimentierte pöbelnde Besucher sowie verdächtige Gestalten kurzerhand aus dem Gauklerlager. Er wusste sich geschickt zu wehren und setzte notfalls auch Magie ein, um sich durchzusetzen. 

Ich musste ihn in einem Moment der Unachtsamkeit antreffen. Auf der Suche nach einer Schwäche besuchte ich Sajida, die junge Wahrsagerin der Truppe. Unter dem Vorwand, etwas über den Ausgang eines riskanten Vorhabens erfahren zu wollen, nahm ich im Inneren ihres Ochsenwagens Platz und ließ mir die Karten legen. Sie sagte mir auf den Kopf zu, dass ich von Gefahren und bösen Menschen umgeben sei, prophezeite mir aber auch, dass meine Unternehmung einen glücklichen Ausgang nehmen würde. Im Verlauf der Konsultation fragte ich Sajida beiläufig, was sie denn selbst derzeit bewege. Mein Verdacht, dass sie und Leif einander besonders zugeneigt seien, bestätigte sich nicht. Stattdessen erfuhr ich, dass die beiden Tänzerinnen einen Narren an dem stillen Halbelfen gefressen hatten und des Öfteren mit ihm durch das Nachtleben der kaiserlichen Hauptstadt streiften. 

 

Noch am selben Abend heftete ich mich, verkleidet als Edelfrau, an die Fersen des ungleichen Trios. Nach einem Theaterbesuch betraten die drei den Froschtümpel, eine gut besuchte Taverne, deren Publikum größtenteils aus Söldnern, Huren, Handwerkern und Tagedieben bestand. Ich suchte mir einen Platz am Tresen, von wo aus ich die kleine Gesellschaft unauffällig beobachten konnte. Sie hatten einen freien Tisch ergattert und unterhielten sich, nun, ausgesprochen angeregt. Zu meinem Leidwesen spürte ich eine unangemessene Eifersucht in mir aufsteigen und ertappte mich dabei, dass ich gern selbst an der Stelle dieser geradezu unverschämt gut aussehenden Tänzerinnen gewesen wäre. Aber ich riss mich zusammen; immerhin galt es den Auftrag zu erfüllen. Die Gelegenheit kam, als Luchsauge dem Wirt winkte, dieser einen Becher Wein füllte und neben mir abstellte. Doch bevor die Schankmaid den Trunk abholen konnte, kam der Halbelf schon heran – offenbar wollte er nicht auf die Bedienung warten. Gespielt teilnahmslos blickte ich zur Seite. 

 

„Nui´lhao, edle Frau. Verzeiht mir die Kühnheit: Würdet Ihr mir euren Namen nennen, bevor ich diesen Becher auf Eure Anmut leere?“ 

Langsam, um meine Überraschung zu verbergen, drehte ich den Kopf und musterte ihn überheblich: „Wohlan, mein elfischer Recke. Heißt mich Zebula und lasst mich auch Euren Namen wissen, bevor ich auf euer Wohl trinke.“ 

Er setzte seinen Becher ab: „Ihr wollt mich tatsächlich mit einer Lüge in den Tod schicken, schöne Zebula? Wie überaus pietätlos!“ 

Verflucht! Woher wusste er nur…

Langsam ließ ich die Rechte sinken, doch blitzschnell packte er mein Handgelenk. Sein stählerner Griff schmerzte, doch ich lächelte tapfer.

„Lass es, Zebula!“, sagte er leise. 

Ich dämpfte meine Stimme: „Was soll das? Warum tut ihr mir weh? Und was soll plötzlich diese vertrauliche Anrede?“ 

„Keinesfalls aufgeben, was? Komm schon, der Rock hat im Faltenwurf einen Durchgriff, der Dolch ruht griffbereit am Oberschenkel in einer weichen Lederscheide. Das Giftpulver in meinem Rotwein war eben noch im Ring an deinem Mittelfinger: der in Gold gefasste Opal ist hohl und lässt sich wegklappen. Was ist es? Gavurin? Moruc? Oder Larinon? Und tu nicht so, als ob du meinen Namen nicht kennen würdest. Ich habe ihn dir neulich genannt, als du mich am Kräuterstand der Gaukler danach gefragt hast. Du warst als alte Frau verkleidet, mit falschem Buckel, aufgemalten Runzeln und Altersflecken, sehr gekonnt übrigens. Doch auf mein Wohl zu trinken, bevor ich den Todestrunk hinunterstürze, ist mehr als geschmacklos, findest du nicht?“

Ich fürchte, dass ich meine Fassungslosigkeit nicht vollends verbergen konnte. 

Jedoch, mein Bedauern war ehrlich: „Wahrhaft ein Jammer, dass wir auf verschiedenen Seiten stehen, Leif Luchsauge Ragnarson.“ 

Etwas hatte sich verändert – wortlos wurde ein Waffenstillstand vereinbart. 

Er löste den Griff und ließ seinen Becher fallen, der durch den Aufprall zersprang. Langsam versickerte der Gifttrank zwischen den Dielenbrettern.

Leif klang unbeschwert: „Herr Wirt? Bitte sehe er mir mein Ungeschick nach. Ich komme für den Schaden auf. Wenn ich einen neuen Roten bekommen könnte?“

Wir musterten uns gegenseitig. Seltsam: Es schien mir, als ob ich ihm irgendwie bekannt vorkam. Als sein forschender Blick sich ein wenig nach unten verirrte, ließ ich mein Schultertuch ein Stück verrutschen und beendete damit die Waffenruhe. Doch nur einen Wimpernschlag lang verhakte sich sein Blick in meinem Ausschnitt. 

Seine Stimme wurde hart: „Das Rückenschwimmen kannst du dir sparen, damit betörst du mich nicht. Zumal ich gesehen habe, dass zwei der Stäbe deines Mieders vergiftete Stahlnadeln sind. Also: Sage mir, warum ich dich nicht auf der Stelle in eine andere Sphäre schicken sollte!“

„Du wirst mich nicht töten, Leif.“ 

„Was macht dich so sicher?“

„Deine Ehrenhaftigkeit und deine Skrupel. Du hast schon gezögert, mich mit dem Bogen zu erschießen. Solange ich dich nicht angreife, bin ich sicher.“

Ich hatte ins Schwarze getroffen: in der Tiefe seines Blicks schien sich etwas wie Trauer zu bewegen. 

„Warum willst du mich überhaupt umbringen?“

„Wollen? Es ist meine Arbeit. Ich habe den Auftrag, dich zu töten.“

Kopfschüttelnd fragte er: „Von wem? Die Räuber-Gilde, nehme ich an? Vermutlich gehörst du zu Ihnen?“

Ich nippte an meinem Wein: „Beides ist richtig.“ 

„Wer will meinen Kopf und warum?“

Ich erzählte es ihm. 

„Euer Anführer also. Nicht Manns genug, mich zu fordern, wie? Lieber beauftragt er eine Meuchlerin“, sagte er bedächtig.

„Er weiß, dass er ein Duell mit dir nicht bestehen würde. Ich hingegen…“ 

Bediene mich der Heimtücke, dachte ich den Satz beschämt zu Ende.

„Bisweilen nur schwer zu erkennen, der rechte Weg“, sagte er leise.

Traurig berührt, nickte ich stumm. 

Er stand auf: „Nun, vielleicht begegnen wir uns eines Tages wieder. Dann, so meine Hoffnung, unter anderen Vorzeichen.“

Ich fasste sein Handgelenk: „Halte ein! Für den Fall, dass ich keine Gelegenheit bekomme, dir das Gift in den Becher zu schmuggeln, wartet Espejo draußen mit einem Dutzend Bewaffneter auf dich. Die Hintertür haben sie zuvor mit Balken verrammelt. Es tut mir leid, aber du sitzt in der Falle.“

Doch er lächelte nur und verabschiedete sich mit einem Handkuss: „Lebt wohl, edle Dame, Mörderin, oder was ihr sonst noch seid oder einmal wart. Mögen die Götter Euch auf immer gewogen sein.“

 

Verblüfft sah ich, wie er an seinem Tisch zurückkehrte und mit seinen Begleiterinnen sprach, die sich alsbald in Richtung der Hintertür aufmachten. Leif hingegen nahm eine schwere Öllampe aus ihrem Wandhalter und ging zum Eingang. Er öffnete die Tür und warf die tönerne Leuchte hinaus, die zwischen den Füßen der wartenden Banditen zerschellte. Brennendes Öl spritzte umher und erfasste die Männer. Die Hölle brach aus: Hilfeschreie, Befehle und Wortfetzen schwirrten wild durcheinander. Bevor die überrumpelten Räuber sich gefasst hatten, hatte der Halbelf die Taverne schon wieder durchquert: Krachend zerbarst die Hintertür unter der Wucht seines Donnerkeilzaubers. Einen Augenblick später war er mit den Tänzerinnen verschwunden.  

Beeindruckt griff ich nach meinem Becher. Morgen früh würde ich meinem Kommandanten eine Note senden und ihm empfehlen, Leif Luchsauge Ragnarson als Agenten für heikle Missionen anzuwerben. Erleichtert, keine unehrenhafte Tat begangen zu haben, schob ich mein Stilett tiefer zurück in das Mieder.

Die Wahrsagerin hatte recht behalten: mein Vorhaben würde ein glückliches Ende finden. 

 

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