Von Klaus-Dieter Oettrich

Seit ein paar Monaten stimmte es in der Ehe von Stephanie und Peter nicht mehr.
Früher wurde Abends zusammen gesessen, trank ein Glas Wein und berichtete was am Tag geschehen war. Dann wurde auf dem Sofa gekuschelt bevor gemeinsam ins Bett gegangen wurde.
Nun befand man sich im 7. Ehejahr. Und alles war anders.
Abends wurde kaum mehr miteinander gesprochen und nur gestichelt. Keine Erlebnisse wurden mehr ausgetauscht. Jedes Wort wurde auf die Waagschale gelegt und dann kritisiert.
Nur wenn Besuch kam, benahmen sich Stephanie und Peter wie ein gut zusammen lebendes Ehepaar.

Früher wollte man Kinder haben. Jetzt meinte Stephanie: Das würde gerade noch fehlen.
„Sollen wir uns einen Hund anschaffen?“ Fragte Peter. „Ich habe nichts gegen Tiere. Aber du musst die volle Verantwortung dafür übernehmen und dich um das Tier kümmern. Gassi gehen und versorgen sowie überall mitnehmen. Ins Gericht dürfen keine Hunde.“

Aber sich scheiden lassen kam nicht infrage. Eine verzwickte Situation. Schön kann man dazu nicht sagen, aber ohne den anderen zu leben wollte auch keiner. Ein großer Freundeskreis war nicht vorhanden. Der Beruf stand im absoluten Mittelpunkt. Daher war jeder auch so erfolgreich. Für andere Dinge blieb fast keine Zeit.
Liebschaften hatte auch keiner. Obwohl der Oberstaatsanwalt nicht abgeneigt dazu gewesen wäre. Auch Peter hatte viele Möglichkeiten.

Stephanie, 30 Jahre alt, gut aussehend, schlanke Figur, kurzer blonder Haarschnitt und arbeitete als Staatsanwältin beim Oberlandesgericht in Stuttgart.
Peter, 41 Jahre, leicht beleibt. Aber trotzdem ein sportlicher Typ. Ca. 190 cm groß, schwarzer Schnauzbart, Kurzhaarschnitt, Teilhaber einer Anwaltskanzlei.

Sie wollten die Ehe retten und beschlossen daher vorerst ein paar Tage am Bodensee in einem Wellness Hotel zu verbringen.
Mit dem Auto zu fahren, kam nicht infrage, da es in letzter Zeit immer Streitigkeiten über die Fahrweise des anderen gab. Daher war nur eine Zugfahrt möglich.

Der Bahnsteig war gut gefüllt mit Reisenden. Man hörte schon den ICE in den Bahnhof einfahren. Die Reisenden drängten sich am Bahnsteig.
Plötzlich kam Stephanie aus dem Gleichgewicht und fiel auf die Bahngleise. Entsetzte Schreie der Reisenden ertönten am Bahnsteig.
Der ICE kam 5 Meter vor Stephanie zum Halten.
Die Bahnhofspolizei und Sanitäter waren sofort zur Stelle.
Stephanie wurde gleich ärztlich untersucht. Aber außer ein paar Prellungen wurde nichts festgestellt.
Sie hatte in ihrer Jugend und während der Studienzeit sehr viel Sport getrieben und ihr Körper war wohl dadurch immer noch sehr belastbar.

Die wartenden Reisenden wurden von der Polizei gebeten, den Bahnsteig zu räumen.
Nur Peter hielt Stephanie dort nun in den Armen.
„Das hättest du auch leichter machen können mich los zu werden,“ sagte sie zynisch zu Peter.
„Aber Schatz welche schrecklichen Gedanken hast du. Ich liebe dich doch.“

Die Kriminalpolizei traf ein. Viele Reisende wurden befragt, ob ihnen irgend etwas aufgefallen wäre. „Es war so ein Gedränge auf dem Bahnsteig, wobei meine Frau wohl von jemanden auf die Gleise geschupst wurde“, teilte Peter mit.
„Ich sah einen Mann, mit schwarzer Lederbekleidung, der die Unfallstelle eilig verließ. Ob dies aber mit dem Unfall zusammenhängt, weiß ich nicht“, sagte ein Reisender.
„Kommen sie mit auf die Bahnhofswache. Wir müssen ihre Personalien und ein Protokoll aufnehmen“, sagte ein Kommissar.

Nach einer Stunde fragte Peter, wann der nächste Zug nach Konstanz fahren würde. Ein Bundesbahnangestellter teilte mit: „In 3 Stunden.“
Nachdem der Polizeibeamte alles aufgenommen hatte und das Protokoll fertig war, sagte Peter zu dem Bahnhofsangestellten: „Wir nehmen den nächsten Zug nach Konstanz. Müssen wir neue Fahrkarten kaufen?“
„Natürlich nicht, sie erhalten diese kostenlos von uns.“

Die Beiden gingen in die Bahnhofsgaststätte und bestellten sich zwei Viertel roten Württemberger.
„Siehst du mein Schatz, wir gehören zusammen. Das Schicksal hat es uns gezeigt,“ flüsterte Peter in das Ohr von Stephanie. „Durch deinen Unfall wurde mir plötzlich klar, wie wichtig du in meinem Leben bist. Liebling, ich werde immer an deiner Seite bleiben. Wenn ich daran denke, dass ich durch das fast Unglück es mir wieder klar wurde, ist eigentlich beschämend für mich.“

„Peter, mir ging es ähnlich. Durch den Schock wurde mir wieder ganz klar: Ich liebe dich. Trotzdem musste ich noch so einen blöden Spruch loslassen. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich und nicht mal der Tod kann uns trennen.“
„Ich werde ein besserer Ehemann werden, denn ich liebe dich auch sehr. Ein Prost auf einen wunderschönen, erholsamen Kurzurlaub.“

Auch über Berufserlebnisse wurde wieder gesprochen. „Peter, es ist wirklich furchtbar wie einige Angeklagte einen bös beschuldigen und Rache androhen. Sie denken dabei gar nicht, dass sich dadurch das Strafmaß erhöhen kann,“ teile Stephanie mit. „Mir geht es ähnlich, wenn ich als Strafverteidiger tätig bin. Viele Angeklagten haben wirklich eine Meise,“ fügte Peter hinzu.

„Erst letzte Woche,“ sagte Stephanie, „musste ich ein schwieriges Urteil fällen. Der Staatsanwalt forderte 3 Jahre Gefängnis für den Angeklagten, der immer eine schwarze Lederjacke trug. Ich minderte die Strafe auf zwei Jahre mit Bewährung ab. Der Angeklagte brüllte: Ich war es nicht, ich war es nicht. Durch ihr Urteil bin ich nun vorbestraft und meine Arbeitsstelle als Vertriebsleiter wird mir gekündigt werden. Wie sage ich es meiner Frau, wie sage ich es meinen Kindern. Ich schwöre ihnen Rache.“

Der Staatsanwalt unterbrach den Beschuldigten und sagte: „Wenn sie nicht sofort die Rache gegen die Richterin zurücknehmen, werde ich eine weitere Anklage gegen sie vornehmen. Sie werden dann hinter Gitter kommen.“

„Ich nehme den Satz der Rache gegen die Richterin zurück und entschuldige mich.“

„Peter, er sah mich aber so böse an, dass ich diesen Blick nie vergessen kann. Ich habe wirklich Angst.“

Da jeder nun vier Viertele Wein getrunken hatte, ging man leichten Schrittes zum Bahnsteig. Immer wieder wurde angehalten um sich zu küssen. Ein älterer Reisender bemerkte: „Die könnet es wohl nemme halta“.
Da stand man nun wieder am Bahnsteig. Aber mit dem Unterschied, man umarmte sich und war glücklich.
„Sollen wir überhaupt zum Wellness Hotel fahren? Wir sind ja jetzt schon wieder so sehr verliebt,“ fragte Stephanie.
„Wir haben wieder eine Basis geschaffen, lass uns die kommenden Tage genießen. Es wird wunderschön werden,“ meinte Peter.
„Ja du hast recht. Freuen wir uns auf die kommenden Tage und auf eine wunderbare kommende Zeit.“
„Das Leben kann so schön sein. Warum haben wir es uns in letzter Zeit so schwer gemacht,“ sagte Peter.
„Lass uns nicht zurückschauen, sondern auf eine glückliche Zukunft,“ meinte Stephanie fröhlich.

„Unser liebevolles Zusammenfinden könnte in einer Boulevardzeitung als Kurzgeschichte erscheinen,“ meinte Peter.

„Ja, das könnte wirklich so veröffentlicht werden.“

„Wird es aber nicht,“ meinte Peter, „ wir teilen von unserer Wiedervereinigung – Liebe –  niemand etwas mit. Sie ist nur für uns bestimmt.“

Der ICE fuhr in die Bahnhofshalle ein.
Das Paar wurde wohl von hinten geschupst und fiel auf die Bahngleise. Beide hatten noch ein Lächeln im Gesicht. Der Zug konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und überfuhr das Paar.

War es Mord?

 

V2