Von Jolina Scholz

„Also Frau Haschke, wenn Sie sich dann jetzt wieder beruhigt haben, können wir ja mit der Befragung fortfahren.“

Frau Haschke nickte nur, kalter Schweiß klebte auf ihrer Stirn, ihr Gesicht war noch immer kreidebleich.  

„Gut, dann erzählen Sie doch bitte mal, wie es dazu gekommen ist, dass Sie gestorben sind. Wir brauchen die Informationen über ihren Mörder, damit er nach seinem Tod nicht in den Himmel kommt.“

Ein weiterer Zitteranfall überrollte die Frau, als sie erkannte, dass sie sich im Himmel befand. Als der Anfall nach einigen Minuten endete, begann Frau Haschke zu sprechen.

„Eigentlich war alles wie immer. Sie müssen wissen, dass ich seit Jahren allein lebe … lebte.“, verbesserte sich die Frau. Ihr Verstand konnte immer noch nicht begreifen, dass sie nun nicht mehr lebte. Das sie tot war.

„Dann bekam ich einen Anruf. Anscheinend war er von meiner Enkelin Susi. Wissen Sie, ich habe meine Enkelin seit über vier Jahren nicht mehr gesehen. Nachdem mein Mann gestorben war, ist sie weggezogen, da sie es nicht ertragen konnte immer daran erinnert zu werden.“ Ihr Gesicht bekam kurz einen merkwürdigen Ausdruck. Dann blitzte Erkenntnis in ihren Augen auf.

„Ist mein Mann hier? Kann ich ihn sehen?“, fragte sie hoffnungsvoll den Mann vor sich.

„Ja, er ist hier. Sehen können Sie ihn aber nur, wenn wir mit der Befragung fertig sind.“, lies der Befrager sie ungeduldig wissen.

„Also gut. Wo war ich? Ah ja, also, ich war allein zu Hause und meine Enkelin rief endlich an. Ich dachte ihre Stimme hatte sich sehr verändert, aber das war mir in dem Moment egal. Ich freute mich so, dass sie endlich anrief, dass ich allen anderen Dingen keinen Bedacht schenkte.
Sie erzählte mir von ihrem Leben in Berlin. Immer wieder betonte sie die Hastigkeit und die Menschenmassen, sodass ich mich irgendwann selbst erdrückt und unter Stress fühlte. 

Dann erzählte sie mir von ihrem Geldmangel. Und ich meine, ich habe ja genug Geld gehabt. Ich hatte einen lukrativen Job bis ich in Rente ging und das Geld, von meinem Mann, hatte ich auch geerbt. Ich wollte mein Vermögen ebenfalls gerne weitervererben, aber bis meine Susi anrief, war da niemand, dem ich es hätte geben können. Und als sie mich dann um Geld bat, was hätte ich anderes sagen können statt, ja?“, sie blickte den Befrager traurig an und wartete wohl auf eine Antwort. 

 „Nichts.“, sagte der Befrager gleichgültig. Er hatte schon von tausenden Schicksalen gehört und das der Frau war nicht wirklich schlimmer als andere. Auch ihre Verzweiflung brachte ihn nicht zum Mitgefühl. Also erzählte sie schon fast unter Tränen weiter.

„Sie sagte, sie wolle mir ihre Kontonummer diktieren, damit ich ihr ein bisschen Geld senden könne. Das habe ich dann sofort gemacht. Ich habe mich gefreut, dass ich ihr helfen konnte. Wirklich. Und danach habe ich auch sofort in mein Testament geschrieben, dass mein Erbe an sie, an ihre Kontonummer gehen soll. Wahrlich, ich bereue es. Aber ich hatte mir so lange gewünscht, dass ich wieder von ihr höre. Ich wollte so gerne mein Geld nach dem Tod bei meiner Familie wissen. Immer war da eine Lücke in meinem Testament. Mein Erbe geht an, stand da, mehr nicht. Und ich war nun mal kein Mensch, der es Organisationen spenden wollte.“, schluchzte die Rentnerin lauthals los. Wieder weinte sie minutenlang, während der Mann vor ihr sie unberührt anschaute. 

Er sagte nichts. Hier im Himmel war man nicht böse. Das hieß aber auch nicht, dass man nett sein musste. Als Frau Haschke damit fertig war, in ihr Taschentuch zu schniefen, erzählte sie weiter.

„Ich habe sie auch gefragt, wie sie denn hieße. Denn unter ihrem Namen hatte ich sie nie wiedergefunden. Natürlich hatte ich gesucht. Ich habe sie geliebt. Ich liebe sie immer noch. Aber irgendwann habe ich aufgegeben. Am Telefon sagte sie mir, dass sie geheiratet und sich ihr Nachname geändert hätte. Ich habe mich so für sie gefreut und sie beglückwünscht. Irgendwann fing sie mit dem Thema Erbe an.“

Ein freudloses Lachen stahl sich auf die Lippen von Frau Haschke. Denn durch ihre Erzählung fügten sich nun endlich auch bei ihr die Puzzlestücke zusammen, über das Vorgehen zum Mord. 

„Ha. Darum also, ein wirklich guter Trick. Ich habe es nicht einmal bemerkt.“, sie schluckte, dann noch einmal, bevor sie wieder begann zu reden.

„Ich glaube, sie begann davon zu erzählen, dass sie geheiratet hatte. Ich wollte ihr dann natürlich mitteilen, dass ich sie trotz ihres Umzugs noch so liebte, dass ich ihr mein Erbe geben würde. Und ich dämliche Nuss habe das dann auch gesagt. Sie bedankte sich sehr lange dafür.

Immer wohler habe ich mich während des Gesprächs gefühlt. Irgendwann bat ich ihr dann an, mich zu besuchen. Ich wollte sie so gerne sehen. Ich wollte sehen, was aus ihr geworden ist. Ich will sehen, wie sie aussieht. Oh ja, das will ich immer noch. Ich habe sie nicht mehr gesehen.“, ein weiterer Schluchzer kam über ihre Lippen, die sie fest zusammenkniff. 

Sie wollte vergessen, das sah man ihr an. Das sah auch der Befrager ihr an und so langsam kam auch sein Mitleid hoch. Nicht weil die Situation der Frau so schlimm war, sondern weil ihre Gefühle langsam auch auf ihn übersprungen. Die Trauer, die Wut, die Fassungslosigkeit, die sie ausstrahlte.

„Sie bot mir im Gegenzug an, dass ich zu ihr kommen könnte. Sehr gut eingefädelt, muss ich jetzt sagen. Als ich eine Woche und viele Telefonate später in Berlin mit dem Zug ankam, habe ich mich als erstes verlaufen. Ich muss sagen, die Stadt war schön. Viel zu schön, als dass so etwas dort passieren sollte.“

Und so langsam konnte der Befrager sich das Ende der Geschichte ausmalen. Ein weiterer Fall einer mittlerweile berühmten Bande. Aber er hörte erst einmal weiter zu.

„Irgendwann schaffte ich es dann an den vereinbarten Treffpunkt. Meinen Ausweis und meinen Koffer hatte ich noch bei mir, ich bin ja gleich vom Bahnhof dahin. Es war eine Straße, fast schon eine Gasse. Ich hatte die Hausnummer von Susi bekommen und bin den Angaben blind gefolgt. Wissen sie, Einsamkeit macht blind. Und wenn man dann wieder einen Menschen trifft, dann kann man nur noch ihn sehen. So wie ich meine vermeintliche Susi. Darum klingelte ich auch bei der angegeben Hausnummer. Es war die vierundzwanzig, falls ihnen das irgendetwas bringt. Zwar ein Mehrfamilienhaus, aber ich wusste, dass ich beim Namen Isus klingen sollte.“, wieder hörte sie auf zu erzählen. Es kamen aber dieses Mal keine Schluchzer. Vielmehr richtete sie sich auf und machte sich auf die nächsten Worte gefasst, die sie sagen musste. 

Währenddessen war sich der Befrager sicher, wer es hier auf Frau Haschke abgesehen hatte und notierte sich diese Bemerkung in sein Notizbuch. Denn die Handschrift und das Vorgehen konnten nur von einer Bande kommen. Immer wurden die Opfer in eine unbekannte Situation gelockt. Immer waren Begriffe rückwärts. So auch hier der Nachname. Aber das würde er der Frau nicht sagen. Laufende Ermittlungen blieben geheim.

Frau Haschke atmete einmal tief ein, dann berichtete sie weiter. Nun völlig tonlos, so als wäre sie nur ein Zuschauer, der die ganze Geschichte mitbekommen hatte.

„Die Tür ging eine Zeitlang nicht auf, als ich geklingelt hatte. Als ich fast wieder gehen wollte, öffnete sie sich doch und eine große braunhaarige Frau stand mir gegenüber. Ich dachte, ich hätte die falsche Klingel gedrückt, denn ich wusste, dass es nicht Susi war. Aber nach wenigen Sekunden schnellte die Hand dieser brutalen Frau vor.

Sie fragte mich, ob ich meinen Ausweis dabeihabe. Nach meiner Antwort durchwühlte sie meine Tasche bis sie ihn fand. Dabei drückte sie meinen Kehlkopf immer weiter zu. Ich konnte immer schlechter atmen. Ich hatte nicht mal eine Chance mich zu befreien. Sie war so viel stärker.“, jetzt flossen doch wieder Tränen. Diese Erinnerung würde sie so leicht nicht mehr vergessen werden. Sie zuckte immer wieder zusammen und fasste sich an den Hals. So als bekäme sie wieder keine Luft. Dann riss sie sich zusammen.

„Sie holte eine Graffiti Flasche heraus und sprühte etwas auf den Boden, während ich immer weniger Luft bekam. Ihre Augen blieben die ganze Zeit herzlos. Ich interessierte sie fast gar nicht. ‚Jetzt ist auch hier das neue Zeichen der Drom und Sie sind das neue Opfer der Drom, fühlen Sie sich geehrt‘, sagte sie zu mir. Dann drückte sie fest zu. Ich kämpfte noch, schaffte es aber nicht.“

Dass sie gestorben war, wollte sie nicht laut aussprechen. Sie war wieder verweint, konnte auch nicht mehr damit aufhören. Sich wieder an ihren Mord zu erinnern, machte sie völlig hilflos. 

„Jetzt bekommt sie mein ganzes Geld. Das war also ihr Ziel.“, stellte Frau Haschke mir rauer Stimme fest. 

Der Berater entließ sie daraufhin und wünschte ihr noch gute Besserung. Er hatte einen entscheidenden Hinweis bekommen. Bald würde er wissen, wer zur Drom gehörte. Bald würde er wissen, wer einen Mord nach dem anderen begann.