Von Heike Weidlich

Er kratzte sich unauffällig an den Unterarmen. Dieser Juckreiz am ganzen Körper war unerträglich, am heftigsten war es an den Armen und am schlimmsten, wenn er sich aufregte, was oft der Fall war.

Kaum war dieser Arsch von Einkäufer an ihm vorbeistolziert, öffnete sich die Aufzugstür und die nächste „Oberetagen-Tante“ kam auf ihren Stöckelschuhen daher getrippelt. Wie wichtig sie sich alle vorkamen. Die kochten auch nur mit Wasser und trotzdem sahen sie auf Leute wie ihn herab: Wie satt er das alles hatte!

„Guten Abend Frau von Hermersdorf, kommen Sie gut nach Hause.“

Einen Augenblick glaubte er, sie würde sich umdrehen und seinen Gruß erwidern. Doch sie griff in ihre Kucki-Handtasche oder wie diese teuren Scheußlichkeiten hießen, holte ihr Handy hervor und ignorierte ihn. 

Wieder einmal stand er da wie ein begossener Pudel – wie der Depp vom Dienst. Einmal zu viel! Er hatte genug Geduld mit diesem eingebildeten Pack bewiesen. Jetzt war Schluss damit. Und mit Frau von und zu würde er anfangen.

 

***

 

Als Eva meinte ihren Namen zu hören, wollte sie sich gerade umdrehen als ihr Handy zu läuteten begann. Schnell zog sie es aus ihrer Handtasche, da sie bereits auf den Anruf ihrer Mutter gewartet hatte. „Hallo Mama, bin ich froh,  dass du endlich anrufst. Was hat der Arzt gesagt?“ Sie passierte die Drehtür, ohne den Gesichtsausdruck des neuen Portiers wahrzunehmen. 

 

***

Drei Wochen später.

 

Diese neunmalkluge Frau von Hermersdorf hatte nicht das Geringste davon bemerkt, dass er sie ins Visier genommen hatte. Es war beinahe zum Lachen, wie leicht sie es ihm machte. Er würde sie der Lächerlichkeit preisgeben. Damit sie am eigenen Leib verspürte, wie sich das anfühlte. 

Am Donnerstagabend würde es soweit sein. Der feine Herr von Hermersdorf ging donnerstagabends zum Squash und anschließend saß er mit den anderen Schnöseln im dazugehörigen Kasino. Vor Mitternacht war er in den letzten drei Wochen nie heimgekommen.

Zugang zu diesem exklusiven Club hatten nur eingetragene Mitglieder, Bonzen, allesamt. Ein normal Sterblicher könnte sich hier vermutlich noch nicht einmal ein Glas Mineralwasser leisten, doch diese Herren verspeisten nachts noch Rumpsteak und Kaviar als sei es das Normalste der Welt. 

Er hatte es vom Fenster aus gesehen, bis ihn einer der Kellner bemerkt und weggescheucht hatte wie eine lästige Fliege. 

Der war der Nächste auf seiner Liste!

 

***

 

„Eva, hast du dem Hartmann Dampf gemacht? Wir können nicht mehr länger warten!“

„Ich hab heute mit ihm telefoniert. Er hat mir fest versprochen, dass die Arbeiten morgen früh weitergehen. Ich habe freigenommen, und wenn du etwas später zur Arbeit gehst, können wir alles erledigen, bevor sie kommen.“

Uwe nahm Eva in den Arm: „Morgen Abend gehen wir schön essen und dann vergessen wir die ganze leidige Angelegenheit.“

 

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Bewegungslos, ganz in Schwarz gekleidet, beobachtete er das Haus vom Waldrand aus. Eine Eule glitt beinahe lautlos vorüber. Eine Gänsehaut zog sich über seinen Körper und der Juckreiz setzte wieder ein, heftiger denn je. Er zwang sich zur Ruhe, atmete tief  die nächtliche Waldluft ein. Als er seine Atmung wieder unter Kontrolle hatte, ließ er das Fernglas sinken und setzte sich in Bewegung. Er würde über den hinteren Garten kommen.

Die Terrassentüre war nur angelehnt. Unglaublich leichtsinnig! Undenkbar wäre das in seinem Viertel. Doch diese Leute waren so von der Welt entrückt, fühlten sich unangreifbar. Dachten wohl, der Köter der nachts im Garten herumlief sei Sicherheit genug. Er hatte es schon immer gut mit Tieren gekonnt und sich die letzten Wochen redlich Mühe gegeben, das Vertrauen des Hundes zu gewinnen. Anfangs aus sicherer Entfernung, hie und da mit einer kleinen Leckerei. Seit letzter Woche durch ausgiebige Streicheleinheiten.

 

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Eva seufzte und ließ sich in den Schaumberg sinken. Ihre Nerven waren überreizt. Da waren die Sorgen um ihre Mutter, aber im Moment grauste ihr vor allem vor den nächsten Stunden. 

Uwe war beim Squash und würde nicht vor Mitternacht zuhause sein. Die Routine – der Anschein – musste gewahrt bleiben. Sie würde versuchen, eine Weile zu entspannen. Da sie, ob ihrer Unruhe befürchtete nicht einschlafen zu können, würde sie ein leichtes Schlafmittel nehmen. Die Nacht würde früh zu Ende sein.

 

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Langsam drückte er die Terrassentür ein Stückchen weiter auf. Vorsichtig schob er die, sich im leichten Luftzug bewegende, Gardine zur Seite und schlüpfte ins Haus. 

Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und er sah sich kurz um. Genau so hatte er es sich vorgestellt. Ein völlig überdimensionierter, offener Kamin, Kronleuchter wie bei Königs, einen Tisch, welchen vier Mann kaum würden anheben können.

Diese Leute stanken vor Geld. Davon, wie sauer er sein Geld verdienen musste, hatten sie keine Ahnung und wollten auch nichts davon wissen. Sie hielten sich bewusst fern von Menschen wie ihm, als ob Armut ansteckend wäre.  

Aber jetzt würden sie dafür büßen – für alles – und er freute sich auf den Moment, wenn ihre Blasiertheit, Entsetzen und Scham weichen würde. 

Er fasste in seine Jackentasche und prüfte wohl zum hundertsten Mal deren Inhalt. Alles war vorbereitet! 

 

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Eva zog die Bettdecke bis zum Kinn. In Gedanken, durchdachte sie den morgigen Tag. Hoffentlich würde alles gut gehen.

 

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Er schob den Jackenärmel zurück und sah zum wiederholten Mal auf seine Armbanduhr. 23.08 Uhr. Vor exakt 24 Minuten war  das Licht im Schlafzimmer erloschen. Vorsichtig schob er den Vorhang zur Seite und trat dahinter hervor. 

Lautlos huschte er durch den Raum und die imposante Treppe ins Obergeschoss hinauf. Oben angekommen brauchte er einen Moment um sich zu orientieren. Auf die von ihm beobachtete Seite zum Garten hin, lagen lediglich zwei Räume und der eine war offensichtlich das Badezimmer, dessen weit geöffneter Türe der exotische Duft nach exklusivem Badeschaum entströmte.

Demnach war das zweite Zimmer das Schlafzimmer. Die Tür war nur leicht angelehnt. Leise schob er sie etwas weiter auf und lauschte eine Weile den gleichmäßigen Atemzügen.

 

***

 

„Puh, cooles Match, megaknapper Ausgang. Nächste Woche will ich Revanche!“ Tobias wischte sich mit einem Handtuch über sein schweißnasses Gesicht. 

Uwe lachte: „Kannst du haben. Wollen wir noch eine Kleinigkeit essen, oder gehen wir nur noch ein Bierchen zischen?“

„Du, tut mir leid. Ich hab morgen einen wichtigen Termin und muss früh raus. Nächste Woche wieder.“

„Alles klar, dann bis nächste Woche.“ Angesichts seines Vorhabens war es Uwe gerade recht, dass die Nachsitzung heute ausfiel. Er schnappte sich seine Sporttasche und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.

 

***

 

Er zog den Stift aus der Tasche. Edding, 300, schwarz und schlich auf Zehenspitzen durch den Raum. Vor ihrem Bett blieb er stehen und betrachtete die, mit leicht geöffnetem Mund, schlafende Eva. So ungeschminkt mit nach allen Seiten, noch etwas feuchtem, abstehendem Haar, sah sie wesentlich älter und nur noch halb so beeindruckend aus. Außerdem schnarchte sie, was sie sicherlich vehement bestritten hätte.

Er zog die Kappe vom Stift und begann mit seiner Arbeit. Anfangs übervorsichtig merkte er schnell, dass Eva schlief wie ein Stein. Er konnte seiner Kreativität freien Lauf lassen. Kurz lauschte er, als er glaubte von unten ein Geräusch vernommen zu haben. Nein, nichts – er setzte sein Tun fort. 

Nach einer Weile hielt er inne und betrachtete sein Werk mit leicht zusammengekniffenen Augen. Da lag sie nun, die hochwohlgeborene Frau von Hermersdorf: Mit einem Stoppelbart auf Kinn und Wangen, einem dicken Schnauzer über der Oberlippe, sowie mit dicken, buschigen Augenbrauen.

Er konnte nicht mehr an sich halten und kicherte leise.  Dann riss er sich zusammen, holte sein Handy heraus und fotografierte diese unglaublich dämliche Visage.

Nachher würden diese Bilder in die Welt fliegen und morgen in der Firma die Runde machen. Dank seiner Computerkenntnisse würde niemand in der Lage sein, den Urheber ausfindig zu machen.

 

***

 

Uwe stelle seinen Porsche in die Garage und lief auf’s Haus zu. Als sein Blick auf die Baustelle in seinem Garten fiel, hätte er nicht leugnen können, dass er eine gewisse Aufregung verspürte. 

Er betrat das Haus und wollte soeben das Licht einschalten, als er von oben ein Geräusch hörte. Beinahe gleichzeitig bemerkte er im hereinfallenden Schein der Straßenlaterne, Dreckspuren auf dem weißen Teppichboden. Was zum Henker war hier los? Eva lief nie mit Schuhen in der Wohnung herum.

Als er am offenen Kamin vorbeiging, packte er den gusseisernen Schürhaken und schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinauf.

 

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Zufrieden ließ er das Handy sinken. Das hatte sie jetzt für ihre Arroganz.  Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich um und sah etwas Schwarzes auf sich zusausen. Zeitgleich mit einem schrecklichen Knacken, dessen Ursprung offenbar seinem Schädel entsprang, durchzuckte ihn ein fürchterlicher Schmerz. Dann war Stille. 

 

***

 

Mit vereinten Kräften ließen sie auch den zweiten Sack in die vorbereitete Grube gleiten. Uwe wischte sich den Schweiß von der Stirn, Eva schlotterte am ganzen Leib.

„Eva, nimm dich zusammen. Du musst mir leuchten. Wir haben’s gleich geschafft.“ Damit drückte Uwe ihr die Taschenlampe in die Hand, während er wieder nach der Schaufel griff und das Loch mitsamt den schwarzen Säcken zuschaufelte.

Gegen acht würde der Bautrupp anrücken und spätestens gegen Mittag würde der Beton in die Grube fließen und eine graue Decke des Vergessens über den beiden Losern ausbreiten.

Eine halbe Stunde später war ihr Werk beendet. Eva –  völlig am Ende – war im Haus verschwunden. Uwe musste ein Grinsen unterdrücken: Das erste Mal war’s am schlimmsten. 

Er ging durch den dunklen, weitläufigen Garten und ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Wieder einmal hatte er alle Probleme gelöst. 

Und sollten sich neue Schwierigkeiten auftun – er ließ seine Blicke schweifen und blieb an einer Trauerweide hängen: Daneben würde sich ein Gartenhäuschen gut machen, welches zweifelsohne ein starkes Fundament brauchte.

 

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