Von Julia Kalchhauser

Franzi liegt schwerverletzt auf dem Rücken am Boden. Ein Bein zuckt noch ein, zweimal, bevor ihr ganzer Körper zur Ruhe kommt.

Wenn auch kürzer als gewollt, so hatte ich doch ein gutes Leben, ist der letzte Gedanke, der Franzi durch den Kopf fährt, wie ein Schnellzug der durch die Station braust, bevor der letzte Hauch Leben aus ihrem Körper weicht. Ein kaum spürbarer Luftzug, wenn eine Tür sich schließt. Und sie hatte es wirklich nicht kommen sehen. 

 

Selina säubert den Gegenstand, mit dem sie so präzise zugeschlagen hatte. Kaltblütig und ohne mit der Wimper zu zucken. Einfach ein Leben beendet. So wie sie es an manchen Tagen mehrmals tut. Alles wird feucht abgewischt und der leblose Körper angewidert weggeräumt. Mit Desinfektionsmittel, dessen scharfen Dämpfe Selina in ihre Nase zieht, reinigt sie die gesamte Bodenfläche des Raumes. Auch die höher gelegenen Flächen werden feinstsäuberlich geputzt. Die eckige Glasplatte des niedrigen Couchtisches, auf dem die Fernbedienungen wie eine kleine Armee der Größe nach geordnet aufgelegt werden, genauso wie das Sideboard, in dem sich die heiligen Schallplatten von Heinrich dicht aneinenanderschmiegen. Alles blitzeblank. Als sie fertig ist, ist kein Staubkorn mehr zu finden, keine Wollmaus mehr versteckt, keine Fingerabdrücke und schon gar keine Spur eines Verbrechens.

Reue spürt Selina keine. Sie hat nichts falsches getan. Sie macht bloß das, wofür sie bezahlt wird. Sie streift die Handschuhe ab und wirft sie zu den übrigen Utensilien in den schwarzen Müllsack. Dann wäscht sich selbst gründlich Hände und Gesicht, wischt das Becken danach mit Papier trocken, welches ebenfalls in den Müllsack wandert. Sie zieht sich um, öffnet den Dutt, zu dem sie ihre langen kastanienfarbenen Haare am Oberkopf gebunden hatte, steckt den Umschlag mit der vereinbarten Summe Bargeld ein und verlässt samt Müllsack die Wohnung. Sie muss bereits zum nächsten Auftraggeber. Sie arbeitet verlässlich und gewissenhaft, Zuspätkommen zeugt von wenig Klasse. Niemals würde sie dadurch ihre Reputation beschädigen.

 

Der Schlüssel dreht sich im Schloss und Heinrich betritt die Wohnung. Der Geruch des Desinfekts ist nach wie vor deutlich zu vernehmen. Alles ist aufgeräumt und lupenrein sauber. Er stellt seine Tasche im Vorzimmer ab, schlüpft im Schlafzimmer aus dem Anzug in seine geliebte Jogginghose und geht dann in die Küche. Vorbei am Tatort, nichtsahnend, unwissend.

Eines seiner momentanen Lieblingsjazzstücke pfeifend brüht er sich einen kräftigen Schwarztee, holt das Tablet aus seiner Aktentasche und richtet sich auf dem Sofa ein. Nichts ist für Heinrich so entspannend wie Tee, die internationalen Aktienkurse und ein bisschen Jazz. Er klappt den High-tech Plattenspieler auf und fischt zielgerichtet ein Betty Carter Album aus dem Sideboard. Die Platten sind alphabetisch geordnet, doch wüsste Heinrich ohnehin, selbst mit geschlossenen Augen, wo er welche Scheibe findet.

 

Die Sonne verschwindet gerade hinter den Maisfeldern vor den Fenstern als Leon nach hause kommt. Routiniert drückt er Heinrich einen Begrüßungskuss auf den Mund, und befragt ihn nach dessen Tag, während auch er sich in gemütlichere Klamotten wirft. Heinrich erzählt von den Geschehnissen in der Firma, während Leon unaufhaltsam durch die Wohnung wuselt.
„…und dann meinte Krawinsky wir sollten einen Betriebsausflug machen“, erzählt Heinrich. „Als ob ich die Vögel nun auch noch in anderer Kulisse sehen wollte..“.

Leon huscht zweimal am Tatort vorbei, nimmt aber nichts wahr, keine Spuren sind zu sehen.
„Mit Eis und Gurke?“ schallt Leons Stimme aus der Küche.

„Ja, danke!“

Das Geräusch von Eiswürfel die ins Glas fallen klimpert von der Küche ins Wohnzimmer.
„Ich mein, ganz ehrlich. Wenn die unbedingt eine Klassenfahrt brauchen, dann sollen sie das in ihrer Freizeit machen, aber nicht jeden zwangsbeglücken mit einem verpflichtenden Betriebsausflug. Weißt du was er vorgeschlagen hat?“

„Krawinsky?“ Leon kommt nun zurück ins Wohnzimmer, zwei Gläser Gin Tonic in Händen. Mit viel Eis, und einer dünnen Gurkenscheibe, die gekonnt kunstvoll zu einer Spirale geformt zwischen Eiswürfel und Glasrand thront. Er reicht Heinrich einen der Drinks.

„Danke. Ja, Krawinsky.“ Er prostet Leon zu und nimmt einen kleinen Schluck. „Schlägt der doch allen Ernstes vor, dass es ein Spaß wäre campen zu fahren. Bodensee oder Chiemsee oder so.“
Leon fährt das gekühlte Gemisch beinahe wieder bei der Nase aus, als er so lachen muss, während er noch den Mund voll hat. Er schafft es schließlich doch noch zu schlucken und räuspert sich nach weiterem Lachen.

„Genau“, kichert er noch immer, „du und campen!“ 

„Eben.“ Heinrich zieht die Schultern nach oben. „Da hätten sie genauso gut eine Reise ins Rotlichtviertel Amsterdams vorschlagen können. Mit vorangehendem Besuch eines Coffeeshops. Weiß doch jeder wie sehr ich auf Haschisch und Frauen in roten Strapsen stehe“. Jetzt lachen beide.

 

Leons Blick schweift über die Fenster und die dahinter liegenden Felder in der Abenddämmerung. „Ich liebe Dienstage. Du nicht?“

„Du meinst wegen Selina?“ Heinrich hat seinen Arm liebevoll um seinen Partner gelegt, und folgt dessen Blick.

„Klar. Sie ist so gründlich. Die beste, die wir je hatten, findest du nicht?“

„Auf jeden Fall. Und vertrauenswürdig“, fügt Heinrich hinzu. „Ich muss meine Schallplatten nicht mehr zählen jedes Mal wenn ich dienstags nach hause komme. Da stimmt immer alles.“

„Och, die arme Palme“ Leon blickt auf die Pflanze, welche im Fenster steht und leicht traurig die Blätter hängenlässt. Er steht auf, geht ins Bad und kommt mit einer kleinen violetten Gießkanne zurück. „Hier, du arme hast schon richtig Durst, nicht?“ Bekümmert redet er auf das Bäumchen ein, während er vorsichtig etwas Wasser in die trockene Erde gießt.

„Ohje.“ Leon hält die freie Hand vor seinen Mund.

„Ach, jetzt übertreib mal nicht, die erholt sich schon wieder“ kommentiert Heinrich vom Sofa aus. „Wär ja nicht das erste Mal, dass du die so ein bisschen vernachlässigst.“

„Nein, nicht die Palme.“ Er geht auf die andere Seite der Pflanze und sieht noch einmal genauer nach. „Franzi. Sie ist weg.“

„Ich hab dir doch gesagt, das ist nur eine Frage der Zeit. Selina mag keine Insekten.“

Leon ist verstimmt. Betrübt lässt er den Kopf hängen.

„Spinnen sind keine Insekten“, antwortet er mit ehrlicher Trauer in seiner Stimme.