Von Vivienne Bieri

Es war ein ganz normaler Tag. Normal, normal, normal. Normaler ging es nicht, denn die Vögel zwitscherten, die Wolken zogen über die Stadt hinweg, die Autos fuhren im Schritttempo und ich betrat, wie immer, mein Stamm-Café an der Ecke, keine fünf Minuten von meinem Büro entfernt.
Den Text der Bestellung erprobt und tief verinnerlicht, reihte ich mich gelangweilt in die Schlange ein, bis etwas Seltsames meinen Blick auf sich zog.
Dort, neben den fleissigen Studenten an Computern und den Kaffee fotografierenden Möchtegern Beeinflussern stand, in der Mitte des Lokals, Rüssel nach oben gestreckt mit dem Kronleuchter spielend, ein ausgewachsener Elefant.
Zwei Gedanken rangen nach Oberhand in meinem Schädel, ein Kopf an Kopf Rennen von Fragen ohne Antworten: Was machte der Elefant hier? Und – War das nun ein asiatisches oder ein afrikanisches Tier? Das hatte ich doch mal gelernt.
Als ich noch damit beschäftigt war, mich an die Worte meiner Lehrerin Frau Schulz aus der zweiten Klasse zu erinnern und die Ohren des Elefanten genauer zu betrachten, war ich der erste in der Schlange geworden und bestellte den üblichen Caramel Frappuccino mit extra Sahne und Soja Milch.
Den heissen Becher entgegennehmend sah ich mich nach einem Platz um, darauf bedacht, dem Elefanten nicht zu nahe zu kommen. Meinen Zeh hatte ich mir gestern an einer Kommode angeschlagen, dass Ganze nun mit einem Elefanten zu wiederholen schien mir ungünstig.
Neben einem süssen Typen am Laptop fand ich einen freien Platz, die Augen auf das grosse Ungetüm gerichtet, dass niemand sonst zu beachten schien. Alle tranken Kaffee, lästerten im Flüsterton und assen genüsslich die letzten Krümel ihrer Schoko Muffins.
Wie lange war das Tier schon hier? War das eine dieser verrückten Werbeaktionen? Oder hatte der Dickhäuter sich auf dem Weg zum Zoo verirrt und war ausversehen hier gelandet, um zu bleiben? Tranken Elefanten Kaffee oder Tee?
Die Fragezeichen, die durch mein Unterbewusstsein schwirrten, wurden durch die Frage nach einem Stift von meinem Sitznachbarn unterbrochen. Nachdem ich eine gute Minute in meiner Handtasche gesucht hatte, fand ich das gewollte Objekt und überreichte es dem Herrn mit den blauen Augen. Das Lächeln, dass er mir dafür entgegenwarf, war die Mühe wert gewesen.
Ein Gespräch ergab sich jedoch nicht, weshalb mein Blick zurück zum Elefanten wanderte, der gerade sein Geschäft auf dem Rucksack einer Frau verrichtet hatte. Diese verzog angewidert das Gesicht, flüsterte ihrem Gegenüber etwas zu und begann damit, den Dreck wegzuwischen. Ein Mann, zwei Tische weiter, seufzte laut und sah zu dem Dickhäuter, der vom Kronleuchter abliess, um sich den blonden Locken eines Mädchens zuzuwenden.
Trotz der Tatsache, dass ich keine Antworten auf meine Fragen erhalten hatte, nahm ich an, dass der Geschäftsführer wohl wusste, was er tat. Warum sonst liess er den Elefanten tun und lassen, was er wollte.
Ausserdem, niemanden sonst schien es zu kümmern und so war ich lieber ein niemand, als ein jemand, denn Jemands sind einzelne Individuen, einsam auf weiter Flur, und Niemands sind beisammen in gefüllten Cafés mit teuren Getränken und Instagram Profilen.
So nippte ich also fröhlich weiter an meinem Frappuccino, bis ich den Boden des Bechers zu Gesicht bekam und feststellen musste, dass ich für acht Euro jeden Tag weniger bekam. Vielleicht trank ich auch schneller, das war schwer zu beurteilen.
Es war an der Zeit, ins Büro zurückzukehren. Der Gestank des Elefanten überdeckte bereits den Geruch des Kuchens auf dem Tresen und die Ansammlung von durstigen, gestressten Menschen trübte meine Stimmung, weshalb ich mir meine Tasche über die Schulter warf, dem netten Herrn zuzwinkerte und am Allerwertesten des grauen Riesen vorbeischlich, um auf die Strasse ins Freie zu treten.
Im Büro angekommen setzte ich mich an meinen Tisch und machte dort weiter, wo ich aufgehört hatte, mit neuem Tatendrang und leichter Sehnsucht nach zu Hause.

«Hast du`s schon gehört?» fragte einer der Kollegen.
«Was?» fragte ich, nur mit einem Ohr zuhörend, die Augen auf meinem Telefon.
«Ein Mann hat in der Innenstadt seine Freundin erstochen, nachdem sie sich heftig gestritten hatten. Niemand hat ihr geholfen.»
«Sowas ist doch krank,» meinte ich, von meinem nächsten Frappuccino träumend, eine Hand in den Haaren, «da muss man doch eingreifen.»
«Sollte man meinen, krass sowas.»
Danach ging ich, mit der selben Bahn wie immer, nach Hause, schaute fern und schlief ein, ohne mir die Zähne zu putzen.
Wie gesagt, es war ein ganz normaler Tag. Normal, normal, normal. Normaler ging es nicht.